Führungs-Spitzen

Stuttgart 21: Alle Macht geht vom Kunden aus

Ganz losgelöst von den Sachfragen ist der Krawall um "Stuttgart 21" ein Lehrstück zum Thema Führungs- und Kommunikationsversagen: Sowohl bei der Bahn wie in der baden-württembergischen CDU ist die Produktentwicklung völlig am Kunden vorbei gelaufen. Gleichzeitig haben die Schweizer ihr Mega-Projekt Gotthard-Tunnel fertig gebaut – ohne Krawall und weitgehend ohne Staatsknete. So macht man das!

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Proteste gegen Stuttgart 21 Quelle: REUTERS

Nicht nur die Schweizer, die Weltpresse jubelt: Von "Figaro" bis "New York Times" freuen sich alle über den Bau des Gotthard-Tunnels, der laut "FAZ" für die Schweizer ein Akt der Selbstbestätigung war wie für die Amerikaner die Landung auf dem Mond.

Neben der Technik beeindruckt auch die Finanzierung des 57 Kilometer langen Großprojekts, das zu zwei Dritteln über Maut, Schwerverkehrsabgaben und Mineralölsteuer von Europas Spediteuren getragen wird, alles im vollen Einverständnis mit der Bevölkerung.

Als 1999 am Schweizer Berg das erste Gestein gesprengt wurde, war auch in Deutschland das Motto „mehr Verkehr auf die Schiene“ in aller Munde. Seit der Bahn-Reform von anno 1994 wird entsprechend an der Verbesserung des Schienennetzes gearbeitet, 60 Milliarden Euro hat die Bahn dafür bislang vom Steuerzahler bekommen. Das Ergebnis ist weniger eindrucksvoll: Die Zahl der Fahrgäste sank seither um 16 Millionen, das transportierte Gütervolumen stieg nur unwesentlich, stattdessen wurden 7500 Kilometer Strecke stillgelegt.

Heiner Thorborg ist einer der führenden Personalberater Deutschlands Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Vor diesem Hintergrund wird "Stuttgart 21" zum Stresstest für eine Strategie, die in Kategorien wie "London – Warschau" oder "Kopenhagen – Marseille" denkt und dabei die Bürger vergisst, die im Nahverkehr versauern.

Die Bahn und ihre Kontrolleure in der Politik operierten seit Beginn der 90er Jahre sowohl bei der Produktentwicklung als auch bei der Strategiedefinition am Kunden vorbei. So etwas kann nur passieren, wenn ein Unternehmen wie ein Erbhof betrieben wird, denn „Auf den Kunden kommt es an!“ ist die Lektion 1.0 der Betriebswirtschaftslehre. Der Befund lautet jedenfalls: Eklatantes Führungs- und Kommunikationsversagen im Vorstand und im Aufsichtsrat. Passiert so etwas in einem Konzern, der nicht politisch gesteuert am Staatstropf hängt, wird der Laden vom Markt gefressen.

Besser vorher das Volk fragen

Wer den Unterschied zwischen den Schweizer Erfolgen und dem deutschen Debakel daher nur im schwächelnden Demokratieverständnis diesseits der Grenze sucht, macht es sich zu einfach. Das Schweizer System ist getragen von Volksabstimmungen, während wir auf repräsentative Demokratie setzen. Aber Kunden und Bürger zu befragen, geht in jedem System. Vor allem besticht die Weisheit der Schweizer, die Leute am Anfang zu Rate zu ziehen - und nicht nur am Ende eines Projekts, wie es jetzt die Befürworter einer Volksabstimmung für Stuttgart wollen.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat mit seiner Bemerkung recht: „Ein nachträglicher Volksentscheid stellt ein ernsthaftes Problem dar. Irgendwann muss ein Schlusspunkt gesetzt werden, spätestens dann, wenn die höchsten Gerichte über das Projekt entschieden haben.“ Eine Volksabstimmung alias Kundenbefragung hätte viel früher kommen müssen: 1992 wurde mit den Franzosen ein Staatsvertrag zum Ausbau des Schienenschnellnetzes unterschrieben, 2008 stimmte der Bundestag „Stuttgart 21“ zu, 2009 wurden die Verträge unterzeichnet.

Der Versuch der Grünen, das Führungsversagen bei Bahn und Bund nun exklusiv Rüdiger Grube unter dem Motto „er eskaliert, provoziert, polarisiert“ in die Schuhe zu schieben, ist allerdings ebenfalls Blödsinn, Grube ist seit Mai 2009 Chef der Deutschen Bahn, er hat den Schlamassel und die unterschriebenen Verträge nur geerbt.

Zurück kann Grube nicht, die Verträge für Stuttgart 21 zu kündigen, würde ihn seine Glaubwürdigkeit kosten und die Bahn nach eigenen Angaben 1,4 Milliarden Euro an Konventionalstrafen und Rückabwicklung. Die Devise kann daher jetzt nur heißen: Augen zu und durch! Der Kunde wird in den Landtagswahlen zu Wort kommen. Für die Zukunft jedoch gilt: Augen auf und in die Schweiz gucken! Da weiß man schon lange, das am Ende die Macht vom Kunden – Sorry! Vom Volk - ausgeht.

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