Banken Bankberater packen aus: "Ich habe Sie betrogen"

In vielen Filialen deutscher Banken herrschen Zustände wie in einer Drückerkolonne. Jetzt packen Bankberater aus: Wie sie Kunden belügen, weil sie dem Vertriebsdruck, den Drohungen und Demütigungen ihrer Vorgesetzten nicht mehr gewachsen sind. Sie sind Opfer und Täter zugleich. Der Report über ein Tabuthema.

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Beratungsgespräch in einer Bank Quelle: Commerzbank AG

Besser könnte der Eindruck nicht sein. Eine Dame in dunklem Anzug kommt dem Bankkunden schwungvoll entgegen. Karina B.* ist um die 30 und Privatkundenbetreuerin einer Filiale der SEB Bank im Ruhrgebiet. Sie lächelt verbindlich, nimmt den Kunden in der Eingangshalle mit festem Händedruck in Empfang und führt ihn zu ihrem tadellos aufgeräumten Schreibtisch. Bei einer Tasse Kaffee erkundigt sich Karina B. nach dem persönlichen Befinden – „und was machen die Kinder?“ Sie kennt den Kunden gut, sie weiß, was er auf der hohen Kante hat. Deswegen hat sie ihn ja heute eingeladen. Nach wenigen Minuten lenkt sie das Gespräch auf eine „ganz besondere Anlagechance“, ein Zertifikat für 10.000 Euro. Das, sagt sie, sei genauso sicher wie Festgeld, die Rendite garantiert, genau das Richtige für ihn. Der Kunde ist schnell überzeugt: „Wenn Sie das sagen, wird es schon stimmen.“

Ein Fehler. Das Produkt, das ihm Karina B. gerade verkauft hat, ist in Wahrheit hoch spekulativ. Das Geld ist genauso wenig sicher wie die versprochene Rendite. Die schicke Dame hat ihren Kunden eiskalt angelogen. Am Morgen hatte ihr Chef die Devise ausgegeben, jeder Berater der Filiale müsse ein 10.000-Euro-Zertifikat verkaufen. Und Karina B. weiß: Wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten will, muss sie die Vorgaben erfüllen. Egal wie. Die SEB wollte zu dieser Verkaufspraxis keine Stellungnahme abgeben.

So beschreibt Karina B. ihren Arbeitsalltag. Die WirtschaftsWoche hat in den vergangenen Monaten Dutzende von Filialangestellten verschiedener Banken in Deutschland interviewt – von Commerzbank und HypoVereinsbank bis zur schwedischen SEB, von der kleinen Weberbank in Berlin bis zur Deutschen Bank und den großen Sparkassen. Karina B. ist eine von ihnen, die in langen Gesprächen ausgepackt haben: über die Angst vor Kollegen und Vorgesetzten und darüber wie sie Kunden Produkte aufschwatzen, die diese gar nicht brauchen. Der WirtschaftsWoche liegen interne Mails und Papiere vor, die belegen, dass in der vermeintlich seriösen Branche nicht selten Zustände herrschen wie in einer Drückerkolonne.

Der Fall des Derivatehändlers Jérôme Kerviel, dessen betrügerische Spekulationen seine Bank, die französische Société Générale, 4,9 Milliarden Euro kosteten, sorgte in den vergangenen Tagen weltweit für Schlagzeilen. Ein solch gigantisches Betrugsvolumen ist ein Ausnahmefall. Allerdings, das belegen Recherchen der WirtschaftsWoche, gehören Tricksereien zum Alltag des Bankgeschäfts. Sicher: Nicht jeder Bankmitarbeiter bedient sich unlauterer Methoden, um die von ihm geforderten Ziele zu erreichen. Doch die wachsende Vertriebsnot in den Filialen treibt viele Mitarbeiter gerade dazu an. Zum Schaden der Banken – vor allem aber der Kunden.

Es ist ein ausgeklügeltes System individueller Vertriebsziele – unterfüttert mit Drohungen und Demütigungen –, das den Traumjob Banker für viele Privatkundenberater zum Albtraum macht. Und für die Kunden den Besuch einer Filiale zum unkalkulierbaren Risiko. Denn aus dem Berater von früher ist ein Verkäufer geworden, der oft leichtes Spiel hat: „Wenn sich jemand ein Auto kauft, vergleicht er vorher die Preise, wenn jemand ein Bankprodukt kauft, tut er das nicht“, sagt ein Berater der Berliner Weberbank. „Deshalb funktioniert der Vertriebsdruck der Banken so gut“, sagt Friedrich Schade, der 15 Jahre lang angestellter Banker bei verschiedenen Instituten war und heute für einen Finanzdienstleister arbeitet. „Die Menschen vertrauen den Bankern oft blind.“ Sie verzichten darauf, sich Verträge durchzulesen, Renditen zu vergleichen oder sich bei verschiedenen Banken beraten zu lassen.

Die individuellen Vertriebsziele unterscheiden sich von Bank zu Bank: Einige Institute fordern von ihren Mitarbeitern, ein bestimmtes Ertragsziel zu erfüllen, andere schreiben den einzelnen Beratern genau vor, wie viele Lebensversicherungen, Kredite oder Fonds sie pro Woche verkaufen müssen und für wie viele Neukunden sie zu sorgen haben. Und diese Vorgaben haben sie zu erfüllen. Irgendwie. Sie stehen unter ständiger Beobachtung ihrer Vorgesetzten, müssen sich rechtfertigen, wenn ein Kunde die Filiale verlässt, ohne einen Vertrag abzuschließen. In den Aufenthaltsräumen einiger Filialen hängen Mitarbeiter-Rankings aus, die schlechte Verkäufer bloßstellen. Oft wird auch mit Kündigung gedroht.

„Wenn es darauf ankommt, verkaufen wir einem Eskimo einen Kühlschrank“, sagt Claudia S.*, langjährige Mitarbeiterin der Dresdner Bank. „Signalisiert der Vorgesetzte, dass er Sie schon irgendwie aus dem Job kriegt, falls Sie die Ziele nicht erreichen“, sagt ein Betriebsrat einer Frankfurter Großbank, „dann kommt es eben so weit.“ Die Dresdner Bank möchte die Äußerung ihrer Mitarbeiterin nicht kommentieren.

Karina B. und viele ihrer Kollegen bei anderen Banken empfehlen den Kunden, neue gegen alte Aktien zu tauschen, auch wenn es gar nichts bringt; sie drehen den Kunden Zertifikate an, selbst wenn Fest- oder Termingelder sinnvoller wären; sie drängen zum Abschluss überflüssiger Versicherungen. Und all das nur, weil sie die Produkte aktuell noch verkaufen müssen oder der Bank hohe Provisionen winken.

„Die Zahl von Falschberatungen hat in den vergangenen Jahren zugenommen“, sagt Eva Raabe, Bankenexpertin bei der Verbraucherzentrale Hessen. Viele Banker, mit denen sie spricht, würden ganz offen sagen: „Wir müssen doch unsere Ziele erreichen.“ Genau darin liegt für Kritiker das Problem: „Die Mitarbeiter würden anfangen, den Kunden Produkte anzudrehen, die sie nicht brauchen“, sagt ein Sprecher der ING Diba, die auf individuelle Vertriebsziele verzichtet. „Eine solche Kultur wollen wir nicht bei uns.“ Das Institut ist so immerhin Direktbank-Marktführer in Deutschland geworden.

Auch bei der GLS Bank in Bochum, die sich auf ethisch-ökologische Investitionen spezialisiert hat, gibt es die umstrittenen Vorgaben nicht. „Die individuellen Ziele können Mitarbeiter so unter Druck setzen, dass der Kunde die für ihn falschen Produkte angedreht bekommt“, sagt GLS-Chef Thomas Jorberg. „Mit vorgegebenen aggressiven Vertriebsmethoden schafft ein Vertriebsverantwortlicher die Voraussetzung für unzufriedene Kunden und Schäden durch Falschberatung.“

So wie im Fall Karina B. Das 10.000-Euro-Zertifikat hat sie heute schon verkauft. Nun sitzt ein Neukunde vor ihr. Der Mann plaudert offen über seine Vermögenssituation, wo er investiert hat und wo nicht. Vor allem aber erfährt Karina B., wie gut er informiert ist – wie weit sie also bei ihm gehen kann.

Sie empfiehlt ihm, sein Gespartes in einen Fonds einzuzahlen. Und da er, wie er sagt, jeden Monat einige Hundert Euro übrig hat, soll er gleich noch einen Fonds-Sparplan abschließen. Um seine Altersvorsorge müsse er sich ebenfalls kümmern: „Sie wollen mit 65 doch nicht jeden Cent dreimal umdrehen müssen?“ Natürlich nicht. Genauso wenig will er sich die Top-rendite der Fonds entgehen lassen, die Karina B. ihm prophezeit.

Trotzdem. Heute unterschreiben will er nicht. Er möchte sich die Unterlagen zu Hause noch einmal in Ruhe durchsehen. Für Karina B. ist das eine Katastrophe.

Sie muss den Kunden irgendwie überzeugen, auch wenn sie nur allzu gut versteht, dass er nichts überstürzen will. Denn wenn er jetzt nicht unterschreibt, wird sie gleich ihrem Chef erklären müssen, warum sie in dieser Stunde keinen Ertrag für die Bank erwirtschaftet hat. Erfahrungsgemäß kommt der Kunde zwar wieder, das Geschäft verzögert sich nur um ein paar Tage. Doch sie darf ihm nicht dazu raten, die Unterlagen daheim noch einmal in Ruhe zu lesen. Ihr Chef hat früher schon einmal deutlich gemacht, dass er solch „geschäftsschädigendes Verhalten“ nicht duldet: „Wenn Sie das noch einmal machen, gibt es eine Abmahnung“, drohte er damals. Die SEB möchte über diesen Aspekt der Vertriebspraxis keine Stellungnahme abgeben.

Karina B. muss, so berichtet sie, wöchentlich einen Rohertrag, abzüglich aller Kosten, in Höhe von rund 1500 Euro erwirtschaften. Mit den individuellen Vertriebszielen konfrontiert, beharrt die SEB auf ihrer Vertriebsphilosophie: „Natürlich messen wir auch Produktabschlüsse. Vertriebs- und Ergebnisorientierung bedeutet für die SEB Bank auch, Mitarbeiter an den Vertriebserfolgen zu messen“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Die Vorgaben von Karina B. sind in Einzelziele für die verschiedenen Produktkategorien unterteilt. Pro Woche musste sie im vergangenen Jahr, wie aus internen Dokumenten hervorgeht, im Durchschnitt 1,3 Konsumentenkredite über 12.000 Euro verkaufen, dazu 0,4 Restschuldversicherungen, 1,4 neue Kunden musste sie werben. Solche Vorgaben gibt es für jedes Produkt.

Zu ihren eigenen Verkaufsvorgaben muss Karina B. auch die der Filiale erfüllen, also die Schwäche anderer Kollegen ausgleichen. Von der SEB heißt es dazu, dass es zu einer ertragsorientierten Organisation gehöre, „Vertriebsziele für Standorte zu definieren, nachzuhalten und zu überprüfen. Im Vordergrund stehen die Teamleistung und das Teamergebnis“.

Was Karina B. gerade ihren Kunden empfiehlt, orientiert sich auch daran, in welchen Kategorien sie oder die Filiale aufholen müssen. Am 3. Mai vergangenen Jahres schreibt ein Vorgesetzter an die Mitarbeiter eine E-Mail, die der WirtschaftsWoche vorliegt: „Im Vorsorgebereich ist die Produktion für diese Woche bei 0“, heißt es da. „Auch die Vorwoche hat nicht zum 100%igen Ergebnis geführt. Die Aktivitäten sind umgehend in Form von Cross-Selling aus den vorhandenen Terminen sowie Termingenerierung sofort zu erhöhen.“ Am 7. Mai heißt es in einer weiteren Alarm-E-Mail, die Wochenplanung bedinge „eine Erhöhung der Produktion im Sofortkreditgeschäft“. Und im Vorsorgegeschäft „ist die wöchentliche Produktion zu 100% zu erbringen, d.h. tägliche Produktion“. Zwei Tage später dann die Ermahnung, sich weiter auf Sofortkredite und Vorsorge zu konzentrieren, „hier reicht es noch nicht aus. Wir brauchen hier noch ein paar Tickets für die Woche“.

Noch vor zehn Jahren sah die Bankenwelt anders aus. „Damals wurden auch Ertragsziele formuliert, allerdings für das ganze Jahr“, sagt Ex-Banker Schade. „Wir hatten genügend Zeit, um die Leute anzusprechen und interessengerecht zu beraten. Trotzdem haben wir jedes Jahr unsere Ergebnisse gesteigert.“ Ziele für einzelne Produkte habe es nicht gegeben. Es war kein Problem, wenn der Wertpapierexperte mehr Wertpapiere und der Versicherungsfachmann mehr Versicherungen verkaufte.

Die großen Gewinne machten die Banken damals ohnehin im Investmentbanking. Als diese Einnahmequelle nach dem Börsencrash 2001 zunächst nicht mehr so viel abwarf und die Provisionen nicht mehr von alleine flossen, sollten die Privatkunden mehr Produkte kaufen und die Gewinneinbrüche mildern.

Vor dem Problem standen alle Banken weltweit, doch in Deutschland ist der Privatkundenmarkt aufgrund der starken Position der Sparkassen und Genossenschaftsbanken besonders umkämpft. Gerade Geschäftsbanken, die über Jahre ihre Privatkunden vernachlässigt hatten, versuchten in den vergangenen Jahren mit niedrigen Kreditzinsen und hohen Guthabenzinsen Privatkunden zu ködern.

Das hat zu einem Preisverfall geführt, der Zinsüberschuss – der Gewinn aus dem klassischen Bankgeschäft, dem Leihen und Verleihen von Geld – sank in den vergangenen Jahren kontinuierlich (siehe Grafik). Daher sind die Institute stärker auf Provisionen aus der Vermittlung etwa von Fonds oder Versicherungen angewiesen. Dieses Geschäft anzukurbeln ist die Hauptaufgabe der Berater in den Filialen, wo „gerade bei den großen Banken oft gnadenloser Druck herrscht“, sagt Schade. „In den vergangenen Jahren sind die Renditeerwartungen im Privatkundengeschäft sehr deutlich gestiegen“, sagt Uwe Foullong,Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi und zuständig für Finanzdienstleistungen, „der Verkaufsdruck auf die Mitarbeiter ist spürbar stärker geworden.“

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