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Unternehmen+Management Hat Klinikgründer und Aufsichtsratschef Ulrich Marseille mit Rückkaufgarantien den Aktienkurs der Marseille-Kliniken unzulässig gestützt? 

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Ulrich Marseille ist ein Selfmade-man wie er im Buche steht: Der ehemalige Jurastudent ohne Abschluss gründete eine der größten privaten Pflegeheim-Ketten in Deutschland. Die Hamburger Marseille-Kliniken machten im vergangenen Geschäftsjahr mit 49 Seniorenheimen und 11 Rehabilitationskliniken einen Umsatz von gut 200 Millionen Euro. 

Zwar zog sich der Mehrheitsgesellschafter, ein Schlaks mit explosivem Temperament, bereits vor sechs Jahren in den Aufsichtsrat des Unternehmens zurück. Aber Ulrich Marseille ist ein Macher, kein Aufseher. Nachdem er 1996 rund 25 Prozent der Kliniken an die Börse gebracht hatte, musste der stolze Gründer mit wachsendem Missvergnügen zusehen, wie der Kurs von fast 22 Euro im Sommer 1997 bis zum Frühjahr 2003 auf unter vier Euro abstürzte. Das war dem Großaktionär, der zusammen mit seiner Frau Estella-Maria circa 75 Prozent an dem Unternehmen hält, entschieden zu wenig. Er sann auf Abhilfe. 

Im Mai 2003 heuerte Aufsichtsratschef Marseille – nicht der Vorstand der Kliniken – den Aktienprofi Günther S. an (Name geändert). Er sollte dem Kurs der Marseille-Kliniken eine Wendung zum Besseren geben. S. ist Spezialist für Investor-Relations-Arbeit der besonderen Art. Kernstück seines Vertrags mit Marseille war eine so genannte Kontingentvereinbarung. Darin verpflichtete sich S., bis Ende Juli desselben Jahres bis zu 800 000 Aktien der Marseille-Kliniken (MK) über die Börse zu kaufen. Im Gegenzug garantierte Marseille, die Papiere – wenn gewünscht – mit einem Aufschlag von bis zu 1,50 Euro auf den Kaufpreis nach rund einem Jahr zurückzunehmen. 

Eine höchst zweifelhafte Stützungsaktion: Aktienrechtler halten es für fragwürdig, ob Ulrich Marseille als Aufsichtsratschef und Insider derartige Optionsgeschäfte tätigen darf. Noch dazu sei im Zweifel der Vorstand und nicht ein Aufsichtsratsmitglied fürs Tagesgeschäft zuständig. Nach Einschätzung des Münchner Aktienrechtlers Jochen Weck handelt es sich bei Marseilles Eingreifen gar um eine unerlaubte Marktbeeinflussung. » 

Die eigenmächtige Aktion des Klinikgründers zur Kursverbesserung ergibt sich aus Unterlagen, die der WirtschaftsWoche vorliegen und Marseilles Unterschrift tragen. Um Stellungnahme gebeten, erklärte Marseille, es müsse sich bei den vorliegenden Dokumenten um eine „Fälschung handeln oder Unterschriften müssen gefälscht oder verfälscht worden sein“. Günther S. bestätigte die Vorgänge jedoch gegenüber der WirtschaftsWoche an Eides statt. 

800 000 Aktien sind viel bei einem Unternehmen wie den Marseille-Kliniken. Insgesamt macht der gesamte Streubesitz nur rund drei Millionen Aktien aus. Bis Frühjahr 2003 wurden an den meisten Tagen weniger als 10 000 MK-Aktien gehandelt. So war bei einem Kauf von bis zu 800 000 Aktien innerhalb von weniger als drei Monaten ein spürbarer Einfluss auf den Kurs zu erwarten. 

Börsenprofi S. griff bei seiner Arbeit für den streitlustigen Mehrheitsgesellschafter auf ein Netzwerk an Investoren zurück, die die Papiere der Hamburger Kliniken kauften. Im Gegenzug für den Kauf bekamen sie von Ulrich Marseille das Angebot zugesandt, die Papiere mit einem Aufschlag von bis zu 1,50 Euro nach rund einem Jahr zurückzukaufen. Sie konnten dabei nur gewinnen: Wer im Mai 2003 auf dieser Basis Aktien der Marseille-Kliniken zum Kurs von vier Euro kaufte, sicherte sich innerhalb eines Jahres eine garantierte Verzinsung auf sein Investment von rund 35 Prozent – zuzüglich Dividende. 

Seinen Vorteil rechnete sich auch Ulrich Marseille aus. Parallel zu den organisierten Aktienkäufen startete S. im Auftrag von Marseille ein flankierendes Investor-Relations-Programm. Ziel der Aktion war offenbar, den Kurs der Marseille-Kliniken weit über das hinaus zu befördern, was Marseille den Investoren garantiert hatte. Infolgedessen konnten diese ihre Aktien mit höherem Gewinn über die Börse verkaufen, ohne dass der Klinikgründer in die eigene Tasche greifen musste. Ein Geschäft, das für „alle Beteiligten nur Vorteile“ hatte, so Börsenprofi S. Marseille bestreitet auch das Investor-Relations-Programm. 

Allerdings macht es in dem Zusammenhang viel Sinn. Gerät nämlich der Kurs eines Nebenwertes wie der Marseille-Kliniken erst einmal in Bewegung, kann sich die Entwicklung schnell selbst verstärken: Andere Investoren werden auf das Papier aufmerksam und treiben den Kurs weiter. S. versorgte institutionelle Investoren, Vermögensverwalter und wohlhabende Privatpersonen, wie er gegenüber der WirtschaftsWoche erklärte, „systematisch mit Informationen“ zum Unternehmen. Er platzierte die Klinik-Gruppe in Online-Diskussionsforen wie Wallstreet-online oder Yahoo-Finanzen. Er organisierte Vorträge auf Gesundheitskonferenzen. Auf diese Weise erschienen die Kliniken erstmals auf dem Radar vieler potenzieller Anleger. 

Gleichzeitig empfahl S. nach eigener Aussage den Marseille-Kliniken, Research-Institute verstärkt mit dem Schreiben von Analystenberichten zu beauftragen. Klinik-Gründer Marseille bestreitet auch dies. Tatsache jedoch ist, dass etwa Independent Research, SES Research oder GSC Research seitdem das Hohe Lied auf die Marseille-Kliniken anstimmten. Was davon zu halten ist, erfährt der Leser nur bei sorgfältiger Lektüre des Kleingedruckten. So heißt es im Bericht der GSC Research beispielsweise auf der letzten Seite, dass „die vorliegende Studie ... im Auftrag des analysierten Unternehmens erstellt“ wurde. Damit nicht genug: „Der Verfasser oder andere Mitarbeiter von GSC Research halten unmittelbar Aktien der Gesellschaft oder darauf bezogene Derivate.“ 

Um das Image der Marseille-Kliniken zu polieren, das durch allerlei persönliche Rechtshändel des Gründers Ulrich Marseille in Mitleidenschaft gezogen worden war, engagierte Börsenprofi S. zudem einen so genannten Web-Seiten-Optimierer. Der weiß, wie man den eigenen Internet-Auftritt so gestaltet, dass er sich in der Google-Trefferrangliste vor die Web-Seiten mit unliebsamen Inhalten schiebt. Marseille ließ ein paar hübsche Seiten zu seiner Person und seinem sozialen Engagement programmieren, so S. gegenüber der WirtschaftsWoche. Der Web-Spezialist sorgte dafür, dass die negativen Schlagzeilen in den Hintergrund rückten. Marseille bestreitet, jemals einen solchen Auftrag erteilt zu haben. Doch wer heute auf die erste Seite der Google-Trefferliste schaut, könnte meinen, der Klinik-Gründer sei eine Seele von Mensch. Auch hier alles nur Zufall? 

Wie auch immer: Im März dieses Jahres lag der Kurs der MK-Aktie erstmalig sieben Tage hintereinander über elf Euro. Damit endete vereinbarungsgemäß der Auftrag des Günther S. Das Ergebnis war für alle Beteiligten positiv. Am meisten profitierte natürlich Großaktionär Marseille. Der Wert seines Aktienpakets ist seit Frühjahr 2003 von damals 36 Millionen Euro auf heute weit über 100 Millionen Euro gestiegen. 

brigitte.haacke@wiwo.de 

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