Kunsthandwerk Invasion der "Chinamännel"

Die Globalisierung ist bei den Holzschnitzern im Erzgebirge angekommen. Die Billigkonkurrenz wirkt wie ein Weckruf für die alte Branche.

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Original (l.) und Fälschung: Im \

Ringo Müller stellt zwei grüne Räuchermännchen auf den Tisch vor sich. Die beiden Förster gleichen einander auf den ersten Blick wie zwei Klone, die rechte Holzfigur glänzt höchstens etwas mehr. Bei genauerem Hinsehen sieht man allerdings, wie schlampig sie bemalt ist – hier fehlt Farbe, dort ist der Rand unsauber gepinselt. Und das Geweih am Hut oder der Hase, der beim Original aus dem Rucksack lugt, sind beim Plagiat schlicht nicht da. „Irgendwo müssen sie ja sparen“, sagt Müller lakonisch. Der 37-Jährige ist Geschäftsführer des gleichnamigen Handwerksbetriebs aus dem Örtchen Seiffen im Erzgebirge, südlich von Dresden.

„Sie“, das sind die Chinesen, die immer mehr und immer billiger Räuchermännchen, Nussknacker und Weihnachtspyramiden produzieren. „Nur noch zehn Prozent der in Deutschland verkauften Weihnachtsartikel kommen aus dem Inland“, sagt Müller, der den Familienbetrieb in der vierten Generation führt.

Der raue Wind der Globalisierung bläst den Seiffenern direkt ins Gesicht. In einem Hinterhof, mitten in dem 2600-Seelen-Örtchen unweit der tschechisch-deutschen Grenze, hat ein Kaufmann aus dem Emsland einen Laden eröffnet. Hier verkauft er Chinaware und lässt sich inspirieren für neue Modelle, die er dann erneut in China herstellen lässt. Doch was vor einem Jahr ein Schock war für die Seiffener, kann sich nun als notwendiger Weckruf für die Region erweisen. Denn erst unter Druck entdeckten die Sachsen, wie wichtig Werbung für ihre Produkte ist, welche Chancen ein gemeinsames Logo und Auftreten der traditionsreichen Branche bietet.

Jahrzehntelang ging es mit Seiffen aufwärts. Zu DDR-Zeiten wanderten noch 70 Prozent der geschnitzten und gedrechselten Artikel in den Export und die eigenen Landsleute gingen leer aus; das änderte sich nach Wende und Wiedervereinigung. Plötzlich hatten alle Kunden die freie Auswahl. Seiffen tat das gut: „Vor dem Mauerfall gab es hier nur drei Geschäfte“, sagt Ringo Müller. Direkt nach der deutsch-deutschen Währungsunion eröffnete sein Vater den ersten neuen Laden im Ort. Bald darauf machte an jeder Ecke einer auf. Die Touristen kamen busladungsweise, die Umsätze stiegen zweistellig. Die rund 120 Handwerksbetriebe und ihre gut 2000 Beschäftigten kommen heute alle gemeinsam auf gut 50 Millionen Euro Umsatz. Über die ersten „Chinamännel“ konnte man damals noch lachen: Da purzelten Räuchermännchen mit Schlitzaugen und gelbem Teint aus den Containern – allenfalls skurril, aber nicht ernst zu nehmen.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Kopien aus Fernost wurden immer besser und sind deutlich billiger als das Original: 44 Euro kostet der Förster von Ringo Müller, die chinesische Kopie hat er in Chemnitz für 8,95 Euro gekauft. Angesichts allgemein steigender Preise für viele Kunden ein gutes Argument, auf den echten Sachsen-Qualmer zu verzichten.

Zahlreiche Prozesse

Doch das war nicht alles: Gleichzeitig sank die Nachfrage nach Glimmständern und Schnitztürmen. Die Stammkundschaft – 40 Prozent ihrer Umsätze machen die Erzgebirgler noch immer im eigenen Bundesland – hat oft schon Heerscharen von Holzknechten im Wohnzimmer drapiert. „Wer 100 Räuchermännchen hat, braucht nicht noch eins mehr“, sagt selbst Herfried Dietel vom Verband Erzgebirgischer Kunsthandwerker. Seit 2000 sinken die Umsätze der Seiffener bei steigenden Holzpreisen und einer Arbeitslosenquote, die zweistellig wurde.

In der Situation kam ausgerechnet Johannes Schulte, Kunstgewerbehändler und gelernter Schmied aus Haren im Emsland, nach Seiffen. Er und die sächsischen Schwibbogenschnitzer sind einander seit Jahren in herzlicher Abneigung verbunden. Zahlreiche Prozesse füllen die Biografien auf beiden Seiten. Allein der „Räuchermännchen-Krieg“, den die Kunstgewerbewerkstätten Olbernhau (KWO), wenige Kilometer entfernt von Seiffen, gegen Schulte führten, zog sich über sieben Jahre hin. Am Ende bekam KWO vom Landgericht Leipzig recht. Als Schulte selbst versuchte, in Olbernhau einen Laden zu eröffnen, wurde er offenbar regelrecht weggemobbt: „Die haben mich bedroht und vertrieben“, sagt er. Der Mietvertrag wurde ihm gekündigt. Die Frontscheibe seines Transporters mit einem Stein eingeworfen. So machte er den Laden in Olbernhau zu und einen in Seiffen auf. Seit einem Jahr verkauft er dort seine chinesischen Weihnachtsartikel, zusammen mit Restposten aus dem Erzgebirge.

Der Feind im eigenen Dorf hat allerdings auch sein Gutes für die Seiffener: Dank Schulte entdeckten sie, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben würden, über die engen Grenzen des Freistaates hinaus auf sich und ihre Produkte aufmerksam zu machen. Sie lernten, auf ihre lange Geschichte zu verweisen – immerhin wird im Erzgebirge seit dem 17. Jahrhundert gedrechselt und gehobelt. Als um 1750 der Erzbergbau in die Krise kam, begannen sie damit, Holzspielzeug zu basteln. Und als ihnen 100 Jahre später industriell gefertigtes Blechspielzeug Konkurrenz machte, da erfanden die Seiffener ihre Weihnachtspyramide, den Nussknacker und den Räuchermann.

Statt nur zu lamentieren, gründeten sie einen Verband und einigten sich auf ein Markenzeichen – einen Reiter auf einer Holzschaukel. Außerdem starteten sie die zwei Millionen Euro teure Werbekampagne „Die Kunst zum Leben“, die auch Räucherwesen im modernen Look zeigt: Hier telefonieren die Männlein mit dem Handy oder hocken vor dem Computer. Vorreiter der Verjüngung war KWO, die Feuerwehrmännel mit US-Fahne und Fußballfans zur WM produzierten.

Die Geschichte der Räuchermännchen-Globalisierung hat jedoch noch eine weitere Pointe, die belegt, dass Gut und Böse oft recht dicht beieinanderliegen. Ausgerechnet das Traditionsunternehmen KWO sorgte für Zweifel am neuen Slogan „Original statt Plagiat“. Auf den Nussknacker-Packungen, die im Verkaufsraum der KWO-Fabrik in Olbernhau auf Kundschaft warten, steht „Hergestellt im Erzgebirge“. Doch ein Schild vor dem Stapel verrät die eigentliche Herkunft: Es ist „Holzkunst aus dem böhmischen Erzgebirge“. Tschechien ist nur wenige Kilometer entfernt, KWO hat dort eine Holzspielzeugfabrik gekauft. „Das sind nur Restposten“, beteuert KWO-Gesellschafter Gerhard Feldevert eilig. Denn beinahe wäre der größte Hersteller aus dem Verband ausgeschlossen worden. Nun hat er sich verpflichtet, hier keine tschechischen Figuren mehr zu verkaufen.

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