Großhandel Metros erste Angebote: Radios, Kühlschränke, Braunbären

Die Keimzelle des größten deutschen Handelskonzerns liegt in Essen. Dort wurde 1963 der erste Metro-Markt der Welt eröffnet – mit einem ebenso erfolgreichen wie ungewöhnlichen Sortiment.

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Einkaufswagen vor einem Quelle: AP

Würde im Dunkeln nicht das gelbe Logo durch die Häuserzeilen von Essen Altenessen schimmern, könnte man das Gebäude für einen leeren Bahnhof halten. Auf dem Parkplatz vor dem Eingang zum Metro-Großmarkt stehen zwei Kassiererinnen und rauchen. Drinnen haben ihre Kollegen Dutzende Müllschlucker der Sorte „Kickmaster für 129,71 Euro aufgebaut. Nichts weist darauf hin, dass der Markt die Wiege des Metro-Konzerns, eines der größten Handelsunternehmen der Welt, ist. Mit ihren Tochterunternehmen, der Kaufhauskette Kaufhof, den Elektronikmärkten von Media Markt und Saturn, den SB-Warenhäusern von Real und den Großmärkten, ist der Konzern in 31 Ländern vertreten, beschäftigt rund 300.000 Mitarbeiter und setzte 2008 rund 68 Milliarden Euro um.

Erfolg mit Cash & Carry

Von solchen Geschäftsdimensionen ist am 8. November 1963 noch nichts zu ahnen. In Essen eröffnet der erste Metro-Markt, eine 5000 Quadratmetern große Halle, zu der ausschließlich Gewerbetreibende Zugang bekommen. Die beiden Metro-Gründer, Wilhelm Schmidt-Ruthenbeck und sein Bruder Ernst, umgehen dadurch geschickt die gesetzlichen Ladenöffnungszeiten und die Preisvorgaben der Hersteller. Werktags von morgens sechs bis abends zehn Uhr können sich Gastronomen, kleine Händler, Bäcker, Trinkhallenbesitzer und Metzger in dem Markt mit einer Fülle von Produkten eindecken - zu konkurrenzlos günstigen Preisen.

Denn die Schmidt-Ruthenbecks kaufen nicht nur in großen Stückzahlen ein und trotzen den Lieferanten so Rabatte ab, sie bringen ihre Kunden dazu, die Waren selbst dem Großhandels-Regal zu entnehmen und nach Hause zu transportieren (carry) und bei dieser Abholung bar zu bezahlen (cash).  Den Einkaufsvorteil geben sie zum größten Teil an ihre Kunden weiter und sichern sich so das Image des Preisführers mit der Sortimentsbreite eines Kaufhauses. „Das sprach sich herum wie ein Lauffeuer“, erinnert sich Walter Vieth, der erste Geschäftsführer des Essener Metro-Marktes. Der damals 26-Jährige hatte per Post lediglich 25.000 Werbesendungen mit Zeichnungen des Marktes und einigen Preisangeboten verschickt – einen Monat später war der Laden voll.

Beisheim sorgt für schnelles Wachstum

Otto Beisheim, der oft als Gründer der Metro bezeichnet wird, stößt erst 1964 dazu. Er veranlasst seinen damaligen Chef Wolfgang Schell, den Inhaber der Elektrogroßhandlung Stöcker & Reinshagen in Mülheim an der Ruhr, mit den Schmidt-Ruthenbecks die Gemeinschaftsfirma Metro-SB-Großmärkte GmbH & Co. KG zu gründen und eröffnet als angestellter Geschäftsführer der neuen Firma den zweiten Markt in Mülheim. Otto Beisheim ist es auch, der später den Duisburger Familienclan Haniel als Kapitalgeber gewinnen kann. Damit ist das Fundament für die schnelle Expansion gelegt. Das Unternehmen wächst.

Beisheim gewinnt den niederländischen Konzern SHV als Partner für die ersten Expansionsschritte im Ausland und eröffnet 1968 in den Niederlanden die erste Filiale jenseits der deutschen Grenzen.

Auch die Keimzelle in Essen wächst. Die Mitarbeiterzahl in dem Markt steigt innerhalb weniger Jahre von 120 auf rund 300. Von Anfang an setzt Geschäftsführer Vieth auf modernste Technik in dem Markt. Die Waren werden per Lochkartensystem abgerechnet, die Kunden erhalten maschinengedruckte Rechnungen. Und ein weiterer Vorteil lockt schon Anfang der sechziger Jahre: Wer im Besitz des Metro-Ausweises war, kann seinen Privat-Bedarf gleich mit einkaufen – zu Großhandelspreisen. „Das war ein Zusatzgeschäft, das wir von vornherein nicht mit einkalkuliert hatten und das wir in engen Grenzen zu halten suchten“, sagt Vieth. Früher hätte er seinen Markt nach einer solchen Aussage wohl schließen müssen. Immer wieder zweifelten Markenhersteller und das Finanzamt in den ersten Jahren den Status der Metro als Großhändler an.

Fortan prüfte das Unternehmen besonders streng, dass tatsächlich nur Gewerbetreibende zu Kunden wurden. Doch wer erst einmal im Besitz der Metrokarte war, konnte zumindest in der so genannten Nonfood-Halle manches als Gewerbebedarf deklarieren, was nicht immer zum Bedarf seines Gewerbes gehörte. „Es war reizvoll zu den Privilegierten zu gehören“, sagt Vieth. Auch deshalb standen seine Kunden Schlange, um sich mit Tiefkühl-Hähnchen, Kühlschränken, Radios, Teppichen und rund 20.000 weiteren Artikeln einzudecken. Selbst zwei „Braunbären im Pelz“ ließ Vieth jedes Jahr aus Russland importieren, um seinen Kunden, etwa dem Chef des Rathausrestaurants in Kalkar, zum Weihnachtsfest etwas Besonderes zu bieten. „Wir waren wendig“, sagt Vieth, „vielleicht war das unser Erfolgsrezept.“

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