Discounter Netto wertete Tausende Mitarbeiter-Mails aus

Der Billigheimer ließ Tausende E-Mails seiner Mitarbeiter auswerten – zunächst ohne deren Wissen.

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Franz Pröls nutzte seine Chance. Kaum hatten Betriebsräte den Chef von Netto Marken-Discount von der Einführung eines internen Mindestlohns überzeugt, präsentierte sich der Manager als eine Art Robin Hood der Billigliga. Mindestens 7,50 Euro würden Aushilfen nun bei Deutschlands drittgrößtem Discounter hinter Aldi und Lidl pro Stunde verdienen. „Ein partnerschaftliches Verhältnis zu unseren Mitarbeitern“ habe schließlich „oberste Priorität“, tönte Pröls im April.

Doch was der Netto-Frontmann partnerschaftlich nennt, ist für viele Mitarbeiter gewöhnungsbedürftig, für andere schlicht untragbar. Nach Recherchen der WirtschaftsWoche wurden Tausende E-Mails von Netto-Mitarbeitern nicht nur an die vorgesehenen Empfänger verschickt, sondern parallel auch an die Zentrale weitergeleitet – zunächst ohne Wissen der Absender. Anschließend wurde die Post akribisch ausgewertet.

In der ersten Phase zwischen Oktober und November 2010 wurden alle Nachrichten, die auf ausgewählten E-Mail-Konten von Verkaufsleitern (VL) in der Region Süd eingingen, automatisch an die Zentrale weitergeleitet. In der zweiten Phase, im Januar und Februar 2011, wurde die Zahl der VL-Postfächer noch deutlich erhöht.

Nur zum Mitarbeiterwohl

Eine Unternehmenssprecherin bestätigt zwar, dass „Mails an die Zentrale weitergeleitet“ wurden. Dies sei aber unter „Einhaltung der gesetzlichen und datenschutzrechtlichen Vorgaben“ erfolgt. Nach Darstellung von Netto dienten die Analysen allein dem Mitarbeiterwohl, um überflüssige Post zu identifizieren und so die interne Mailflut zu reduzieren. Die Weiterleitung von Mails sei „auf ausdrücklichen Wunsch der Verkaufsleiter durchgeführt“ worden.

Tatsächlich gilt die E-Mail-Menge als Problem, und die betreffenden Verkaufsleiter haben schriftlich ihr Einverständnis erklärt. Dass sie ihr Postfach jedoch auf eigenen Wunsch zur Chef-Lektüre angemeldet haben, bezweifeln Insider. Immerhin unterrichteten einige der Verkaufsleiter ihre Kollegen und Vorgesetzten über die Aktion. Denn die – und das ist das eigentliche Problem – erfuhren offiziell nichts oder allenfalls zeitversetzt von der automatischen Weiterleitung ihrer E-Mails. Egal, ob sie Informationen zu Warenbestellungen einholten oder Rundschreiben an die betreffenden Verkaufsleiter schrieben – sofort ploppte die elektronische Post auch in der Netto-Zentrale im bayrischen Ponholz auf, bei Assistentinnen des Nationalen Vertriebschefs Süd.

Nach der ersten Kontrollphase soll der Regionalfürst, der über rund 900 Filialen wacht, seinem Führungszirkel die Erkenntnisse aus der Lektüre von rund 2000 Mitarbeiter-Schreiben per PowerPoint-Präsentation nähergebracht haben, fein aufgedröselt nach Adressatengruppe, inhaltlichen Mängeln, durchschnittlicher E-Mail-Öffnungsgeschwindigkeit und garniert mit Lesebeispielen.

Im Januar ließ er die Erfassung ausweiten. Diesmal wurden 15 Verkaufsleiter zum Postdienst verpflichtet. Wieder rein freiwillig, wieder datenschutzrechtlich korrekt, meint zumindest Netto.

Das mag formal stimmen, da private Mails bei Netto tabu sind. Doch jenseits juristischer Finessen stellt sich die Frage, warum nicht von Anfang an sämtliche Mitarbeiter informiert wurden. Netto kämpft ohnehin mit erheblichen Imageproblemen, wie aus vielen der mehr als 5000 Kommentare zu dem Artikel Billigriese "Netto lehrt die Discounter das Fürchten" hervorgeht.

Nicht freiwillig zahlen

Doch dass es mitunter wenig erfreulich ist, wenn E-Mails bei Empfängern landen, die für die Lektüre nicht bestimmt waren, hat sich in Ponholz offenbar noch nicht herumgesprochen. Man sehe in der Mail-Aktion „keine negative Beeinflussung des Betriebsklimas“, heißt es. Zum besseren Verständnis der Weiterleitungsproblematik daher noch ein Beispiel. 

Kaum hatte Netto-Chef Pröls Anfang April die Einführung eines Mindestlohns „plus tarifliche Leistungen“ angekündigt, fragten Aushilfen ihre Vorgesetzten, ob sie nun Anspruch auf Urlaubsgeld und andere tarifliche Leistungen hätten. Ihre Chefs reichten die Anfragen an die Netto-Rechtsabteilung weiter. Die Antwort: „Wir werden nicht von uns aus und automatisch die Leistungen gewähren (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, tariflichen Urlaubsanspruch)“, heißt es in einer internen E-Mail, die der WirtschaftsWoche vorliegt. „Wenn der Mitarbeiter diese aber geltend macht, kommen wir um eine Gewährung nicht umhin.“

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