Schwarzmarkt-Zigaretten Russenmafia hält EU und Tabakkonzerne zum Narren

Mit Zigaretten der Marke Jin Ling erobert die Russenmafia den deutschen Schwarzmarkt. Russische Behörden, EU und Tabakkonzerne lassen sich vom Hersteller hinters Licht führen.

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Zigaretten der Marke Jin Ling Quelle: dpa

Wenn Westwind weht, ist der Kaliningrader Zollfahnder Anton Peschkow besonders frustriert. Die Brise von der Ostsee trägt den Geruch frischen Tabaks in sein Büro – vor allem wenn bei der Baltischen Tabakfabrik (BTF) neue Rohstoffe angeliefert werden. Deren Maschinen drehen daraus jeden Monat mehrere Millionen Zigaretten, die auf Europas Schwarzmärkten landen.

„Wir kämpfen Tag und Nacht mit allen Kräften gegen den Schmuggel“, sagt Peschkow verzweifelt. Aber an die Tabakfabrik, die am Anfang der Schmuggelkette steht, kommt die Behörde nicht heran. Für den Zollfahnder ist es eine Provokation: Die BTF-Zentrale liegt nebenan, nur einen Steinwurf vom Zollamt entfernt, mit einem Bahndamm als Demarkationslinie zwischen Recht und Verbrechen.

Das Gelände jenseits der Gleise wirkt unscheinbar: Die Fabrik liegt versteckt in einem Gewerbegebiet, dessen Gebäude allesamt dieselbe Adresse tragen: Rechte Uferstraße 10. Kein Firmenschild verrät die Existenz der Fabrik, nur die Überwachungskameras lassen auf die gut gesicherte BTF-Zentrale schließen.

Hinter der Fassade verbirgt sich ein Imperium: BTF ist einer der größten russischen Tabakhersteller. Doch im Fischladen nebenan, wo die Hafenarbeiter zwischen fünf Dutzend Zigarettensorten wählen können, ist Jin Ling nicht bekannt. Die Kultmarke von BTF hat eine gelbe Bergziege auf der Packung, die an das „Camel“-Kamel erinnert. Verkauft wird sie in der Hälfte aller EU-Staaten.

Enorme Margen

Die Marke aus der russischen Exklave Kaliningrad ist das erfolgreichste Produkt von BTF. Ein Großteil der Glimmstängel landet auf illegale Weise in Deutschland. Erst vorigen Montag stellten Fahnder im Münsterland mehr als 3,3 Millionen Jin-Ling-Zigaretten sicher. Der Schwarzmarkt blüht: Offiziell kostet eine Schachtel fünf Euro – das Päckchen mit der Bergziege nur zwei Euro.

„Die Margen sind enorm“, sagt Austin Rowan, der beim europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) in Sachen Zigarettenschmuggel ermittelt. Die Behörde schätzt, dass den Steuerzahlern der EU-Länder jährlich mehrere Hundert Millionen Euro verloren gehen. Es sieht ganz danach aus, dass sich der Umfang der illegalen Ausfuhren 2010 verdoppelt: In den ersten fünf Monaten hat der Zoll in Kaliningrad eine Million Zigaretten beschlagnahmt – fast so viele wie 2009 und doch nur ein Bruchteil des tatsächlichen Schmuggelvolumens.

Bestens organisiert

Die russische Zigarettenmafia ist bestens organisiert: Der Jin-Ling-Vertrieb funktioniert wie ein gut geöltes Uhrwerk. Die Schmuggler empfangen die Ware legal ab Werk oder auf einem Parkplatz außerhalb der Stadt und schleusen sie über die EU-Außengrenzen. Bevor eine Ladung Deutschland erreicht, wechselt sie zwei bis vier Mal den Besitzer.

Riskante Kurierjobs übernehmen oft Berufspendler mit EU-Visa, transportiert werden die Zigaretten im zweiten Tank ihres Autos. Lkw-Fahrer verstecken stangenweise Jin Ling in einem Geheimabteil im Laderaum hinter Frischfisch oder Altmetall. Andere schmuggeln klassisch: Im Norden Kaliningrads überqueren sie die Memel, nach ein paar Ruderschlägen ist die EU-Außengrenze erreicht, denn am anderen Ufer liegt Litauen.

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