„Schlimmer als der Satan“

Griechische NS-Opfer fordern Entschädigung von Deutschland.

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DISTOMON. Das ist meine Schwester“. Jannis Basdekis zeigt auf einen Totenschädel in der dritten Reihe von oben. „Und hier“, er bückt sich und deutet auf die vierte Reihe von unten, „hier ist meine Mutter.“ Dann schweigt der hagere Mann, blickt auf das Holzregal – drei Meter hoch, fünf Meter breit. 218 Totenköpfe starren Basdekis an. Er wendet sich ab, geht ins Freie: „Was hier geschehen ist, darf niemals in Vergessenheit geraten.“ Die Gedenkstätte liegt auf einem Hügel über dem Dorf. Dessen Na-men, Distomon, kennen bisher nur wenige Deutsche. Der Ort nahe des antiken Delphi ist Schauplatz eines der furchtbarsten Verbrechen, das deutsche Besatzer während des 2. Weltkrieges in Griechenland verübten. Um Rache für einen Partisanenüberfall zu nehmen, verwüstete die Waffen-SS am 10. Juni 1944 den Ort und tötete 218 Männer, Frauen und Kinder. Was damals geschah, beschäftigt nun den Bundesgerichtshof. An diesem Donnerstag wollen die Karlsruher Richter über die Klage des Griechen Argyris Sfoundouris und seiner drei Schwestern entscheiden. Die Geschwister fordern von Deutschland Entschädigung für den Tod ihrer Eltern, die vor 59 Jahren von den Deutschen ermordet wurden. Das Urteil könnte weit reichende Folgen haben. Denn was den Geschwistern Sfoundouris widerfuhr, ist kein Einzelfall. Und das Gemetzel von Distomon war nicht das einzige Massaker. „Wäre der Satan über Distomon hergefallen, er hätte nicht furchtbarer wüten können als diese Barbaren“, sagt Jannis Basdekis. Er hat in langjähriger Arbeit dokumentiert, was damals geschah. „Sie haben alles Leben ausgelöscht, haben Menschen und Tiere in einer Blutorgie abgeschlachtet“, sagt Basdekis. „Mit ihren Bajonetten haben sie den Menschen die Bäuche aufgeschlitzt. Einer Schwangeren haben sie den Fötus aus dem Leib geschnitten, den Dorfpriester geköpft.“ 1997 sprach das Landgericht der Kreisstadt Livadia den Hinterbliebenen der Opfer von Distomon Entschädigungen von 29 Mill. Euro zu. Die Bundesregierung ging in Revision und siegte vor dem Obersten griechischen Sondergericht. Die Staatenimmunität, so die Richter, lasse es nicht zu, dass Bürger eines Staates vor den Gerichten ihres Landes einen anderen Staat verklagen. Argyris Sfoundouris und seine Schwestern versuchen es nun vor den deutschen Gerichten. Sollte der Bundesgerichtshof die Ansprüche der Geschwister anerkennen, käme wohl eine Prozesswelle auf die deutsche Justiz zu. In den dreieinhalb Besatzungsjahren exekutierten die Deutschen in Griechenland 130 000 Zivilisten und verschleppten 70 000 griechische Juden in die Vernichtungslager. 300 000 Griechen verhungerten oder erfroren, weil die Besatzer Nahrungsmittel und Brennstoffe konfiszierten. 115 Millionen Mark hat die Bundesregierung 1960 als Entschädigung an Griechenland überwiesen. Damit seien alle Ansprüche abgegolten, heißt es in Berlin. 65 000 Schadenersatzklagen waren vor griechischen Gerichten anhängig und könnten, wenn der BGH die Ansprüche der Geschwister Sfoundouris bestätigt, auf deutsche Gerichte zukommen. Es geht um viel Geld: Widerstandsorganisationen beziffern die Reparationsforderungen auf 100 Milliarden Euro.

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