Deutsche Telekom Telekom-Skandale: Die Ermittlungsakten der Staatsanwälte

Um den Kundenschwund zu stoppen, hat die Deutsche Telekom einen gigantischen Vertriebsapparat mit unzähligen Subunternehmern und Callcentern aufgebaut. Doch das System entglitt über weite Strecken der Kontrolle. Abzocker bedienten sich, Partnerfirmen gingen pleite, Millionen von Kundendaten gerieten in falsche Hände. Das ganze Ausmaß der Folgen zeigen jetzt erstmals interne Unterlagen und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten, die der WirtschaftsWoche vorliegen.

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Logo der Deutschen Telekom Quelle: dpa

Manfred Balz ist ein Unikum im Telekom-Vorstand. Kurz vor Weihnachten wurde der hochgewachsene Jurist mit den blond-grauen Locken 65 Jahre alt. Doch aufs Altenteil will sich der Spätberufene, der infolge der Spitzel- und Datenskandale im Oktober 2008 als Chefaufklärer in den deutlich jüngeren Vorstand rückte, nicht setzen lassen, sagt er. „Ich bin kein bisschen amtsmüde.“

Balz steht – trotz seines fortgeschrittenen Alters – am Anfang einer schwierigen Mission, deren Ausgang niemand abschätzen kann. Noch kurz vor Weihnachten hat er umfangreiche Aufräumarbeiten bei dubiosen Callcentern und anderen Vertriebspartnern der Deutschen Telekom angekündigt. Balz will einen 34-Punkte-Plan mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen dem Vorstand vorlegen, um Datendiebe abzuschrecken: Die Kundennummern aller Telekom-Kunden sollen ausgetauscht, seit Jahren im Vertrieb arbeitende Telekom-Manager versetzt und neue Provisionssysteme für Händler und Callcenter entwickelt werden, damit alte Seilschaften zerbrechen und den Kriminellen der finanzielle Nährboden entzogen wird.

Es geht um einen der größten Datenskandale in der Geschichte Deutschlands. Als die WirtschaftsWoche im Dezember 2008 aufdeckte, dass auf dem Schwarzmarkt die Daten und Kontoverbindungen von 21 Millionen Deutschen vagabundieren, gab es erste Hinweise auf gravierende Lücken bei der Deutschen Telekom (WirtschaftsWoche 50/2008). Inzwischen gehen Experten davon aus, dass große Teile des Datenbestandes des Konzerns in Deutschland – 39 Millionen Mobilfunk-, 27 Millionen Festnetz- und 11 Millionen Internet-Kunden – in irgendeiner Form in dubiose Hände geraten sind. Der Diebstahl und Missbrauch von 20 Millionen Kundendaten ist bereits Gegenstand von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bonn.

Deutsche Telekom wurde streckenweise zur Chaosmaschine

Der WirtschaftsWoche vorliegende Ermittlungsakten und interne Unterlagen der Telekom zeigen nun erstmals, weshalb die Deutsche Telekom – zumindest streckenweise – zur Chaosmaschine werden konnte. Der massenhafte Diebstahl von Kundendaten war nämlich kein Werk von Einzeltätern in dubiosen Callcentern und Shops. Die Lecks erweisen sich aus heutiger Sicht viel mehr als zwangsläufige Folge eines neuen, gigantischen pyramidenförmigen Vertriebssystems, das Telekom-Chef René Obermann kurz nach seinem Amtsantritt im November 2006 gemeinsam mit seinem damaligen Vertriebsvorstand Timotheus Höttges installierte.

Obermanns Ziel war es, mehr Geschäft direkt mit den Telefon-, Mobilfunk- und Internet-Nutzern zu machen, statt dieses Dienstleistern wie 1&1 oder Debitel zu überlassen. Diese kaufen zu Großhandelskonditionen bei der Telekom ein und schnüren daraus eigene Angebote. Dadurch banden sie zeitweise über ein Drittel aller Telefon-, Mobilfunk- und InternetNutzer an sich. „Shift to direct sales“, auf Deutsch: „Schwenk zum Direktvertrieb“, nannte Obermann deshalb den Strategieschwenk, der den Kundenschwund im Festnetz stoppen und der Telekom die Kontrolle über die entglittenen Kunden zurückbringen sollte. Der Deutschland-Chef von T-Mobile, Philipp Humm, bekam den Spezialauftrag, den Direktvertrieb schnell auszubauen und nach neuen Absatzkanälen Ausschau zu halten.

Um das zu erreichen, wollte Obermann möglichst viele schnelle Internetanschlüsse unter das Volk bringen, die Verträge der bestehenden Kunden um zwei Jahre verlängern und den Marktanteil bei neuen DSL-Kunden auf mindestens 45 Prozent steigern. Dazu sollten alle verfügbaren Telekommunikationsshops und Callcenter für den Magenta-Konzern tätig werden. Die Telekom erhöhte deshalb innerhalb eines Jahres die Zahl ihrer eigenen Verkaufsstationen, der sogenannten T-Shops, auf 804 Läden (plus 181). Gleichzeitig ernannte sie 1011 Großhändler (plus 767) wie die Filialisten dug und The Phone House zu Hauptvertriebspartnern. Sie bildeten die Spitze der Telekom-Verkaufspyramide und spannten im Auftrag der Telekom rund 12 000 Subunternehmen ein, die als Fachhändler oder Callcenter die Kunden keilen sollten. Zugleich erhöhte die Telekom den ohnehin üppigen Etat für Provisionen von weit mehr als einer Milliarde Euro kräftig, damit die neue Verkaufsmaschine binnen weniger Monate auf Touren kommt.

Damit legte die Telekom jedoch, wie Recherchen der WirtschaftsWoche und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen, den Grundstein für ein nie da gewesenes Organisationschaos sowie die späteren Datenskandale. Jede noch so kleine Telefonbude bekam Zugriff auf die Kundendaten. Obendrein nutzten auch noch windige Geschäftemacher die günstige Gelegenheit, sich auf Kosten der Telekom oder anderer Vertriebspartner zu bereichern. Im alten Vertriebssystem war das in diesem Umfang nicht möglich.

Was sich die Telekom damit einhandelte, wird Vorstandschef Obermann und seine Leute noch lange beschäftigen. Chefjurist Balz spricht inzwischen von einem „System mit kriminogenen Strukturen“. Andere Telekom-Manager räumen hinter vorgehaltener Hand ein, was binnen weniger Monate aus dem Boden gestampft worden sei, habe „halbseidene Geschäftsmacher“ angelockt.

Um Licht ins Dunkel zu bringen, musste die Telekom im vergangenen Jahr mehrmals Anzeige gegen Vertriebspartner und Mitarbeiter bei der Staatsanwaltschaft Bonn erstatten, die daraufhin Ermittlungen „wegen des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Computerbetrugs“ einleitete. Die Verdächtigen sollen persönliche Daten von mehreren Millionen Kunden aus den Telekom-Beständen gestohlen und gegen Bares an Unbefugte weitergereicht haben.

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