„Rote Staatsanwältin“ Urteil im Berlusconi-Prozess erwartet

Ärger mit der Justiz ist der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi (68) gewohnt, doch so aufregend und bedrohlich wie jetzt es noch nie. Auch in Italien ist es ein Novum, dass ein amtierender Regierungschef in einem Prozess über die Bestechung von Richtern verurteilt werden könnte.

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HB MAILAND/ROM. Noch gibt sich Berlusconi, der in der Vergangenheit ein halbes Dutzend Prozesse „erfolgreich“ hinter sich gebracht hat, ruhig und siegessicher. Doch in Rom mehren sich die Stimmen, dass auch ein Freispruch wegen Verjährung an diesem Freitag, ein „Freispruch zweiter Klasse“ sozusagen, seine Mitte-Rechts-Koalition unter erheblich Druck setzen könnte. Gibt es dann Neuwahlen? Seit vier Jahren tobt die Justizschlacht in Mailand. Beide Seiten haben schwere Geschütze aufgefahren. Kaum ein anderes Thema hat das Land, die Medien und die politische Klasse des Landes so sehr in Wallung versetzt. Da ist etwa die streitbare Staatsanwältin Ilda Boccassini, 53 Jahre alt, rothaarig, von manchen Kommentaren in Rom schon fast als Volksheldin im Kampf gegen Korruption verehrt, von anderen als „Ilda la rossa“, als rote Ilda geschmäht. Akribisch und penibel, leidenschaftlich und furchtlos suchte die zierliche Juristin in dem Mammut-Prozess die verschlungene Kette von Banktransfers zu rekonstruieren, über die Berlusconis Fininvest- Konzern in den 80er und 90er Jahren Bestechungsgelder an Richter geschleust haben soll. Nur: Wusste Berlusconi tatsächlich davon, gab er die Zahlungen in Auftrag, war er der Drahtzieher? Selbst Berlusconi-Kritiker räumen ein, dass es möglicherweise am alles entscheidenden, letzten Beweis mangeln könnte. Schwerste Geschütze hatten vor allem auch Berlusconi und seine Anwälte aufgefahren: Als „rote Roben“, die seine Regierung stürzen wollten, beschimpften sie die Mailänder Staatsanwälte, versuchten, den Prozess in eine andere Stadt zu verlagern. Später peitschte die Regierungsmehrheit gar ein Immunitätsgesetz durch das Parlament, dass den laufenden Prozess in Mailand zu Fall bringen sollte. Fast wäre das geglückt, wenn nicht das Verfassungsgericht eingeschritten wäre. Pikant und misslich für Berlusconi ist es auch, dass kürzlich sogar der Staat als Nebenkläger in dem Prozess aktiv wurde. Er verlangte einen saftigen Schadensersatz von dem Angeklagten - gleichsam für den moralischen Schaden, der durch die mutmaßlichen Bestechungsgelder entstanden sei. In Italien rechnet kaum jemand damit, dass Berlusconi tatsächlich jemals ins Gefängnis gehen müsste. Zuvor müssten eine Richterspruch in zweiter und dritter Instanz bestätigten werden. Spätestens bis zu solchen Urteil wären mögliche Straftaten verjährt. Dennoch, dass eine Verurteilung Berlusconi erheblich unter Druck setzen würde, gilt als sicher. Kein Wunder also, dass er derzeit bereits über Änderungen des Wahlsystems nachdenkt, meinen Kommentoren - Änderungen, die seinem Regierungslager ein Urnengang erleichtern würden.

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