Der Urvater

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Rotwein, Portwein, Rum. Importiert aus Frankreich, Portugal, Martinique, exportiert nach Schweden, Norwegen, Finnland. Eigentlich schien der Lebensinhalt von William Alexander Wilkens schon früh festzustehen. Erst recht, als der Sohn eines angesehenen Hamburger Weinhändlers nach Abschluss der Schule bei einem Kaufmannskontor in die Lehre ging. Doch Wilkens überließ die Familientradition seinem Bruder, wandte sich 1872 dem Wirtschaftsjournalismus zu. Und bekleidete schon früh eine leitende Position beim „Hamburger Correspondenten“, der damals angesehensten und weltoffensten Zeitung der Stadt, deren Lektüre schon Heinrich von Kleist und Friedrich Engels geschätzt hatten. Bald kümmerte sich Wilkens nicht nur um redaktionelle Inhalte, sondern verantwortete auch den Anzeigenbereich des Blattes. Das Annoncengeschäft wuchs damals rasant. Anzeigen füllten oft zwei Drittel des Gesamtumfangs der Zeitung. Und waren schon damals entscheidende Grundlage für den kommerziellen Erfolg eines Blatts. Offenbar auch dank Wilkens’ guter Arbeit, für die sich die Verleger auf ihre Weise erkenntlich zeigten: Als Wilkens 1874 heiratet, druckt der „Hamburger Correspondent“ die Hochzeitsanzeige mit Goldrand ab. 

Was Wilkens nicht daran hindert, bald eigene Wege zu gehen. 1876 macht er sich mit 25 Jahren selbstständig, gründet das Central Annoncen Büro, spezialisiert auf das Schalten von Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften. Sie war die Keimzelle für die erste Werbeagentur Deutschlands und eine der ältesten der Welt. Lediglich die Agenturnetzwerke J. Walter Thompson sowie Foote, Cone & Belding (FCB) und Ayer – allesamt aus den USA – sind älter. Und als frühe Full-Service-Agenturen auch Vorbild für Wilkens: Schrieb der doch als gelernter Journalist nicht nur die Anzeigentexte für die von ihm akquirierten Kunden, sondern betrieb als leidenschaftlicher Fotograf auch sein eigenes Atelier – damals keine Selbstverständlichkeit. 

Aber höchst erfolgreich – Wilkens’ Kundenkartei konnte sich sehen lassen: Er warb für den Pharmakonzern Beiersdorf, in dessen Auftrag Kampagnen für Labello und Elastoplast entstanden. Er arbeitete für den Tierpark Hagenbeck, mit dessen Familie Wilkens nicht nur geschäftlich, sondern auch freundschaftlich eng verbunden war. Und er betreute viele große Schifffahrtslinien mit Routen nach Übersee. Seine Kontakte knüpfte er bevorzugt an der Hamburger Börse, wo er stets im Zylinder auftrat und als Unikum galt. Offenbar auch in Künstlerkreisen. Sollen doch befreundete Schauspieler in einem Stück des Thalia Theaters Wilkens als eine Art Hamburger Original karikiert haben. 

„Mein Großvater war vielseitig interessiert und allem Neuen sehr aufgeschlossen“, erinnert sich Enkel William Harry Wilkens. Das gilt auch außerhalb des Berufs: Wilkens senior ist passionierter Radfahrer, einer der ersten in Hamburg überhaupt, seine Touren führen ihn durch ganz Deutschland. Wilkens verlegte auch die Zeitschrift „Allheil“ – das erste Organ des Bundes Deutscher Radfahrer. „Mein Großvater“, sagt Enkel Wilkens, „war wie eine Kerze, die an beiden Ecken brannte.“ 

Und früh verlischt: Stirbt William Alexander Wilkens bereits 1911, mit 59 Jahren, an einer Lungenentzündung. 

Seine Werbeagentur jedoch bleibt über drei Generationen eine feste Größe in der deutschen Werbelandschaft. Sohn William Henry reüssiert Mitte der Zwanzigerjahre mit Werbung für Seebäder. Damals auf Wilkens’ Lehrlingsliste: Max Schmeling, zuständig in erster Linie fürs Spitzen der Bleistifte. In einem Prospekt („Werben müssen Sie – aber werben Sie richtig!“) zur Eröffnung neuer Büroräume 1931 wirbt Wilkens in eigener Sache, für die gesamte Bandbreite der Agenturdienstleistungen: von der Anzeige über das Plakat bis hin zur Verkehrsmittel-, Licht-, Film- und Rundfunkreklame. Zu den Kunden zählen Agfa, Bahlsen, Beiersdorf, Karstadt, Philips, Sarotti, Telefunken, Togal und Volvo. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg stecken Markenartikler erst nach und nach wieder Geld in Reklame – vor allem in so genannte Erinnerungswerbung: wenig Text, viel Markennamen und Symbole, fast ausschließlich selbst gestaltet. „Eine unerfreuliche Zeit“, so Gründerenkel William Harry Wilkens. Erste Kunden der Nachkriegszeit: Beiersdorf, Schwarzkopf, Sunlicht, Philips, Reemtsma. Erster ausländischer Auftraggeber: die US-Schifffahrtslinie United States Lines, die Angehörige der US-Streitkräfte von Bremerhaven zum Urlaub in die Heimat brachte. Kontakte mit Agenturen aus Großbritannien und den USA brachten Wilkens Kunden wie Hoover, Gillette und TWA. 1955, nach dem Tod seines Vaters, übernimmt Gründerenkel William Harry Wilkens die Leitung der Agentur. Die machte mit großen Kampagnen unter anderem für Johnny Walker ( „Der Tag geht, Johnny Walker kommt“), die Reemtsma-Zigarettenmarke Attika („Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben“) oder die BAT-Damenzigarette Kim („Für Männerhände viel zu chic“) immer wieder auf sich aufmerksam. Zum 100-jährigen Jubiläum 1976 war Wilkens mit 124 Millionen Mark Umsatz die größte deutsch geführte Agentur. 

Um das Unternehmen auch international zu stärken, gibt Wilkens 1986 die Selbstständigkeit auf und wird nach 110 Jahren Teil des amerikanischen Agenturnetzwerks Ayer. Seit 1997 gehört Wilkens zur Agenturgruppe FCB, zu der Wilkens schon ein halbes Jahrhundert vorher erste Kontakte geknüpft hatte. „So“, sagt William Harry Wilkens, „hat sich dieser Kreis geschlossen.“ men a 

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