60 Jahre Bundesrepublik Wie Gründerlegende Werner Otto ein Imperium schuf

Die ersten 300 Kataloge klebte Otto noch selbst, dann stieg er zum größten Versandhändler der Welt auf. Gründerlegende Werner Otto schuf ein Imperium, dass nun ein familienfremder durch die Rezession lotsen muss.

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Michael Otto, Sohn von Firmengründer Werner Otto, leitete 10 Jahre das Unternehmen. Quelle: REUTERS

Die eine Aktentasche barg ein Stück Speck, die andere fast wertlose Reichsmark. Die beiden Taschen waren das Startkapital von Werner Otto, der 1948 als Kriegsflüchtling aus Westpreußen in Hamburg eine Schuhfabrik aufbaute. Doch am Anfang fand Otto sich gar nicht gut. „Ich verstand nichts von Schuhen und hatte noch nie eine Schuhfabrik gesehen“, erinnerte er sich später in seinem Buch „Die Otto-Gruppe“. Dass er überhaupt in dem Geschäft anfing, lag nur daran, dass ihm ein Bekannter zuvor erzählt hatte, es gebe im Norden zwar eine Lederproduktion, aber keine Schuhe. Otto stürzte sich in die Arbeit, doch „die Schuhe waren schlecht, wir nannten sie Gurken. Sie wurden uns trotzdem aus den Händen gerissen“.

Nicht lange. Die traditionellen Schuhfabriken begannen ebenfalls wieder zu arbeiten und fegten die Hamburger „Gurken“ vom Markt. Doch Otto gab nicht auf. „Mein Vater hat immer gern etwas Neues ausprobiert“, sagt sein Sohn Michael heute, „ging das eine schief, klappte das andere.“

Zwei Kataloge von Schuhhändlern brachten ihn auf die Idee: Statt Ware zu produzieren, beschloss er, in das Versandgeschäft einzusteigen. Ottos Motor war dabei keine große Vision, er wollte nur seine Frau und die zwei kleinen Kinder über Wasser halten, als er am 17. August 1949 sein Versandhaus gründete. Wenig später erschien sein erster Katalog: 14 Seiten in einer Auflage von 300 Stück. „Wir klebten auf jede Seite zwei Fotos“, der Preis wurde „von Hand daneben geschrieben“, erinnerte sich Otto. Eine Paketschnur hielt das Heft mit insgesamt 28 Schuhangeboten zusammen. Bestell-Hit war der California Damenschuh für 30 Mark.

„Im nächsten Katalog“, so Otto, „erweiterten wir das Sortiment um zwei Trenchcoats sowie vier Aktentaschen.“ Zum Verkaufsschlager entwickeln sich aber die umgeschneiderten Marineklapphosen aus alten Wehrmachtsbeständen, die Otto für 29 Mark anbietet. Die Grundlage des Erfolgs ist gelegt, auch, weil die Kunden nicht wie bei der Konkurrenz per Vorkasse, sondern per Rechnung zahlen können. Ein neues Gesellschaftsspiel beginnt: die Sammelbestellung. In der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz sammelt ein Kunde alle Orders ein und erhält fünf Prozent Rabatt. Das ist nicht nur für viele Menschen in Kleinstädten und Dörfern ein Erlebnis, es stachelt auch ihren Geschäftstrieb an.

Einer profitiert immer: der Otto-Versand Hamburg. Schon 1951 erreicht das junge Unternehmen die erste Umsatz-Million, und jedes Jahr verdoppelt sich der Absatz. Doch dass die Kataloge die Basis für einen der größten deutschen Handelskonzerne legen und die Familie Otto in die Liga der reichsten Deutschen katapultieren würden, war damals nicht vorstellbar.

Nachhaltiges Wachstum als Erfolgsstrategie

Heute ist Otto der größte Versandhändler der Welt. 10,1 Milliarden Euro setzte das Hamburger Unternehmen 2008 um. Und zum Firmenimperium zählt längst nicht mehr nur der Versandhandel. Auch der Post-Konkurrent Hermes, der Spielzeuganbieter MyToys sowie Europas größter Shoppingcenter-Betreiber ECE gehören zum Reich der Ottos.

Von der späteren Weltgeltung ist Anfang der Fünfzigerjahre nichts zu spüren. Das Alltagsgeschäft muss bewältigt werden, und die Kunst, die richtigen Artikel im Katalog zu haben, die nötige Ware im Lager zu horten und dann auch schnell zu liefern, stellt Ottos Truppe vor erhebliche Probleme. Zwar setzt Otto schnell auf neue Technik wie Lochkartensysteme, um die Abwicklung der Bestellungen zu vereinfachen. Allein an der Bedienung hapert es.

Wegen einer Eingabepanne erhält etwa eine Kundin jeden zweiten Tag einen neuen Teppich, eine andere wird permanent mit Nachtschränkchen beliefert. Zu den technischen kommen menschliche Fehler: Mal wird Otto von einem Lieferanten reingelegt, der ihm Billigstoffe als feinste Wollware verkauft. Mal ordert der Einkaufsleiter irrtümlich Plisseeröcke, die für fünf Jahre gereicht hätten. Und in den ersten Katalogen werden aus strohfarbenen Kleidern plötzlich schokoladenbraune Textilien. Werbetexte à la „Herren-Unterhosen – auch für die Arbeit geeignet“ lassen die Kunden schmunzeln.

Doch Werner Otto – vermutlich eines seiner wichtigsten Erfolgsrezepte – findet sich mit den Gegebenheiten nicht ab, sondern beschäftigt sich mit einem Problem, bis es gelöst ist. 14 Werbechefs jagt er in den ersten sechs Jahren davon – dann findet er endlich den richtigen und hält ihn 20 Jahre im Unternehmen.

Um die Qualität seiner Artikel zu steigern, richtet Otto früh eine systematische Warenprüfung ein. Auch Buchhaltung und Einkauf bringt er auf Vordermann. Statt mit Niedrigpreisen den Umsatz weiter anzukurbeln, schaltet Otto einen Gang zurück. „Nach den Jahren des Mangels hatten wir jetzt ein anderes Problem – uns am schnellen Wachstum nicht zu verheben“, erinnert sich sein Sohn Michael. Die Unternehmensstrukturen müssen mit dem Umsatzanstieg Schritt halten, damit die Kunden zufrieden bleiben. Als nachhaltiges Wachstum würden Experten heute wohl die Strategie bezeichnen.

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