60 Jahre Bundesrepublik Wie Max Herz sein Tchibo-Imperium schuf

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Langfristige Kundenbindung statt plumper Produktwerbung

Der Unternehmenschef kennt seine Kunden – und er weiß um ihre Nöte. Herz beschließt die Lieferungen mit einer Gratis-Produktzugabe aufzupeppen. Er lässt den Kaffee in Handtüchern, Stoffservietten oder Geschirrtüchern verpacken, die in jedem Haushalt gebraucht werden. Für Furore sorgt auch eine Klarsichtkaffeebox, die als Messbecher für Mehl und Zucker wiederverwendet werden kann. Seinen Kunden einen zusätzlichen Nutzen zu bieten und sie damit langfristig an die Marke zu binden ist auch das Konzept hinter dem Tchibo-Kundenmagazin, das erstmals 1952 erscheint. Statt plumper Produktwerbung werden die Leser mit Rezepten, Modetipps und Horoskopen versorgt. Ganz nebenbei erfahren sie, dass ihr Kaffee in Einzelröstung hergestellt wird. Dies sei zwar aufwendiger, garantiere aber eine konstant hohe Qualität. Beim Fabrikverkauf, direkt neben der Tchibo-Rösterei, können sich die Kunden davon überzeugen.

„Die Kaffeepäckchen flogen nur so über den Tresen“, erinnert sich Herz’ Ehefrau Ingeburg. „Wir machten alles im Laufschritt, holten neue Ware aus der Rösterei. Natürlich habe ich da mitgearbeitet, zehn Stunden am Tag und mehr.“ Vor allem die sogenannten „dicken Wochen“ machen den Tchibo-Mitarbeitern damals zu schaffen. In der Nachkriegszeit fällt der Kaffeekauf meist mit dem Empfang des Monatslohns zusammen. Regelmäßig zum Ende und Anfang eines jeden Monats bricht über Tchibo daher ein Bestellansturm herein, der nur durch pausenloses Rösten und Versenden bewältigt werden kann. Für ihren Einsatz während der „dicken Wochen“ dürfen die Röster per Taxi zwischen Firma und Wohnung pendeln. Zur Schicht gibt es einen Liter Milch, ein halbes Pfund Butter und vier Brötchen zur Stärkung. Und das Ende der Woche lässt Herz zünftig mit Kartoffelsalat und Würstchen für alle feiern.

Riesen-Erfolg mit Coffeeshop-Idee

Heute würden Personaler die Salatpartys wohl als Teambuilding-Events preisen, doch der Effekt ist der gleiche: Die Mitarbeiter werden motiviert. Das Tchibo-Lächeln überzeugt wiederum die Kunden, die ab 1955 die Möglichkeiten bekommen, ihren Kaffee in den ersten Tchibo-Filialen zu kaufen. Das Besondere: Für zwei Groschen können Kunden eine Tasse Mocca Gold vor Ort probieren. Die Coffeeshop-Idee schlägt ein. Tchibo eröffnet weitere Läden und dringt mit sogenannten Depots in Bäckereien und später in den Einzelhandel vor. Heute verkauft das Unternehmen in rund 900 deutschen Filialen und 10.000 Depots jedes Jahr Kaffee und Gebrauchsartikel für über drei Milliarden Euro.

Zwar machte Tchibo in den vergangenen Jahren der Preisdruck durch Discounter wie Aldi und Lidl zu schaffen. Doch die Traditionsfirma mit der dampfenden Bohne im Emblem ist noch immer der viertgrößte Kaffeeproduzent der Welt, die Marke hat sich bei 99 Prozent der Bundesbürger ins Gedächtnis gebrannt. Statistisch betrachtet besitzt jede zweite Frau im Land einen Tchibo-BH. Und jeder vierte Mann trägt Tchibo-Socken.

Max Herz hat von dem Siegeszug nur wenig mitbekommen. 1965 starb er im Alter von 59 Jahren an einem Herzinfarkt. Inzwischen ist sein Sohn Michael wieder an die Spitze der familieneigenen Konzernholding Maxingvest gerückt und führt unter dem Blick seines Vaters die Geschäfte. Während Mr. Pithey die Filialen ziert, lächelt der Firmengründer in der Eingangshalle der Tchibo-Zentrale am Hamburger Überseering von einem Ölgemälde.

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