60 Jahre Bundesrepublik Wie Max Herz sein Tchibo-Imperium schuf

Mutiger Nachkriegs-Röster: Wie Tchibo-Gründer Max Herz mit neuen Werbeformen und geschickter Kundenbindung sein Kaffeeimperium aufbaute.

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Tchibo - die Marke wurde von Quelle: dpa/dpaweb

Mr. Pithey ist wieder da. Ausgestattet mit Schnauzbart, dunklem Anzug und Homburger-Hut steht der legendäre Tchibo-Kaffeeexperte zurzeit als Pappkamerad in den Verkaufsstellen und beschwört zwischen Herrenunterhosen, Holland-Fahrrädern und Tafelbesteck die Firmenhistorie. Tchibo feiert 60. Geburtstag – und fast scheint es so, als hätte Kaffee-Onkel Pithey persönlich das Unternehmen gegründet. 15 Jahre lang gab der Schauspieler in Werbespots den Bohnen-Kümmerer und reiste als Tchibo-Kaffeekontrolleur zu den Massai und Indios, um Transport und Ernte zu inspizieren. Das prägt.

Der echte Tchibo-Gründer aber heißt nicht Mr. Pithey, sondern Max Herz. 1949 startete er sein Unternehmen in einem Kaffeekontor im Hamburger Freihafen. War das Wetter schlecht, mussten die Mitarbeiter unter Regenschirmen am Schreibtisch sitzen, um trocken zu bleiben. Das Dach war durch Kriegsbomben größtenteils zerstört. Den Kaffee der ersten Stunde taufte Herz auf den Namen „Frisch-Röst-Kaffee Sorte Brasil A“. Innerhalb weniger Wochen war er ausverkauft.

Kein Wunder: Schon zu Kriegszeiten ist Kaffee Mangelware, nach 1945 spitzt sich die Lage zu. Die Vorräte in der Hamburger Speicherstadt sind erschöpft. Mit Runkelrüben oder gerösteter Gerste versuchen die Menschen, den Geschmack nachzuahmen. Hartgesottene brauen sich aus Eicheln ihren Sud. Erst 1947, zwei Jahre nach Kriegsende, wird wieder Rohkaffee in die westdeutschen Besatzungszonen importiert. Doch die Zuteilung ist streng reglementiert. Auch nach der Freigabe des Kaffeehandels bleiben die Bohnen rar und die Preise hoch. Wer jetzt Zugang zur Ware hat, kann ein Vermögen machen.

Pfundsidee zur flächendeckenden Kaffeebelieferung

Max Herz verfügt über die besten Voraussetzungen. Der gelernte Rohkaffeehändler hatte nach der Weltwirtschaftskrise die Importfirma seines Vaters Walter Herz wieder auf die Beine gestellt. Die Geschäftskontakte des damals 44-Jährigen zu Produzenten in Südamerika haben den Krieg überstanden und sind nun Gold wert. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Carl Tchilling-Hiryan gründet er am 15. März 1949 das Unternehmen. Obwohl Tchilling-Hiryan wenig später wieder aussteigt, bleibt sein Name bis heute präsent. Aus Tchilling und Bohne wird Tchibo.

Schwieriger als die Namensfindung ist der Transport der Ware zu den Kunden. Eine flächendeckende Lieferkette durch die zerstörte Republik aufzubauen ist illusorisch. Herz und Tchilling beschließen, ihren kostbaren Kaffee auf Bestellung per Post zu versenden – je nach Kundenwunsch auch in regelmäßigen Abständen. Schon wenige Wochen nach dem Start weitet Tchibo das Bohnenabo von Hamburg auf ganz Westdeutschland aus. Trotz Notstandspreisen von 12,50 Mark pro Pfund reißen sich die Kunden um die Päckchen. Vor allem die neu kreierte Mocca-Mischung kommt an.

Obwohl die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt und Tchibo in den Anfangsjahren kaum Konkurrenz zu fürchten braucht, will Herz Stammkunden gewinnen und setzt dabei auf Instrumente, die heute in keinem Marketinghandbuch mehr fehlen: Kundennähe, Werbung, Qualität und Mitarbeitermotivation.

Zum Weihnachtsfest 1949 etwa versendet das junge Unternehmen die Festtagsmischung in speziellen Schmuckdosen, die für die Kaffee kochenden Hausfrauen in ihren tristen Nachkriegswohnungen so belebend wirken wie ein doppelter Espresso. In den Folgejahren wiederholt Herz die Weihnachtsprozedur und weckt so die Sammelleidenschaft der Kaffeefans.

Langfristige Kundenbindung statt plumper Produktwerbung

Der Unternehmenschef kennt seine Kunden – und er weiß um ihre Nöte. Herz beschließt die Lieferungen mit einer Gratis-Produktzugabe aufzupeppen. Er lässt den Kaffee in Handtüchern, Stoffservietten oder Geschirrtüchern verpacken, die in jedem Haushalt gebraucht werden. Für Furore sorgt auch eine Klarsichtkaffeebox, die als Messbecher für Mehl und Zucker wiederverwendet werden kann. Seinen Kunden einen zusätzlichen Nutzen zu bieten und sie damit langfristig an die Marke zu binden ist auch das Konzept hinter dem Tchibo-Kundenmagazin, das erstmals 1952 erscheint. Statt plumper Produktwerbung werden die Leser mit Rezepten, Modetipps und Horoskopen versorgt. Ganz nebenbei erfahren sie, dass ihr Kaffee in Einzelröstung hergestellt wird. Dies sei zwar aufwendiger, garantiere aber eine konstant hohe Qualität. Beim Fabrikverkauf, direkt neben der Tchibo-Rösterei, können sich die Kunden davon überzeugen.

„Die Kaffeepäckchen flogen nur so über den Tresen“, erinnert sich Herz’ Ehefrau Ingeburg. „Wir machten alles im Laufschritt, holten neue Ware aus der Rösterei. Natürlich habe ich da mitgearbeitet, zehn Stunden am Tag und mehr.“ Vor allem die sogenannten „dicken Wochen“ machen den Tchibo-Mitarbeitern damals zu schaffen. In der Nachkriegszeit fällt der Kaffeekauf meist mit dem Empfang des Monatslohns zusammen. Regelmäßig zum Ende und Anfang eines jeden Monats bricht über Tchibo daher ein Bestellansturm herein, der nur durch pausenloses Rösten und Versenden bewältigt werden kann. Für ihren Einsatz während der „dicken Wochen“ dürfen die Röster per Taxi zwischen Firma und Wohnung pendeln. Zur Schicht gibt es einen Liter Milch, ein halbes Pfund Butter und vier Brötchen zur Stärkung. Und das Ende der Woche lässt Herz zünftig mit Kartoffelsalat und Würstchen für alle feiern.

Riesen-Erfolg mit Coffeeshop-Idee

Heute würden Personaler die Salatpartys wohl als Teambuilding-Events preisen, doch der Effekt ist der gleiche: Die Mitarbeiter werden motiviert. Das Tchibo-Lächeln überzeugt wiederum die Kunden, die ab 1955 die Möglichkeiten bekommen, ihren Kaffee in den ersten Tchibo-Filialen zu kaufen. Das Besondere: Für zwei Groschen können Kunden eine Tasse Mocca Gold vor Ort probieren. Die Coffeeshop-Idee schlägt ein. Tchibo eröffnet weitere Läden und dringt mit sogenannten Depots in Bäckereien und später in den Einzelhandel vor. Heute verkauft das Unternehmen in rund 900 deutschen Filialen und 10.000 Depots jedes Jahr Kaffee und Gebrauchsartikel für über drei Milliarden Euro.

Zwar machte Tchibo in den vergangenen Jahren der Preisdruck durch Discounter wie Aldi und Lidl zu schaffen. Doch die Traditionsfirma mit der dampfenden Bohne im Emblem ist noch immer der viertgrößte Kaffeeproduzent der Welt, die Marke hat sich bei 99 Prozent der Bundesbürger ins Gedächtnis gebrannt. Statistisch betrachtet besitzt jede zweite Frau im Land einen Tchibo-BH. Und jeder vierte Mann trägt Tchibo-Socken.

Max Herz hat von dem Siegeszug nur wenig mitbekommen. 1965 starb er im Alter von 59 Jahren an einem Herzinfarkt. Inzwischen ist sein Sohn Michael wieder an die Spitze der familieneigenen Konzernholding Maxingvest gerückt und führt unter dem Blick seines Vaters die Geschäfte. Während Mr. Pithey die Filialen ziert, lächelt der Firmengründer in der Eingangshalle der Tchibo-Zentrale am Hamburger Überseering von einem Ölgemälde.

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