Aldi-Gründer Theo Albrecht: Die Bescheidenheit in Person

Seine Studie über das Geschäftsmodell von Aldi ist ein weltweiter Bestseller. Marc Sachon erinnert sich an Theo Albrecht.

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Aldi-Gründer Theo Albrecht Quelle: WirtschaftsWoche

Ich werde den blauen Anzug wohl nie vergessen: es war ein Blau das an jenes der Olympischen Spiele 1972 in München erinnerte. Jedenfalls ein Blau das 2005, als ich Herrn Theo Albrecht Senior durch Vermittlung eines guten Bekannten traf, schon etwas aus der Mode gekommen war.  Damals sprachen wir mehrere Stunden über das Geschäftsmodell von Aldi, das in seiner Einfachheit und Kohärenz besticht. Und nebenbei fragte ich mich: Wie passt dieses Blau zu einem Mann der schon zu Lebzeiten eine Legende ist?

Ich sah mich im Büro von Herrn Albrecht etwas um: es war ein einfaches Büro. Kein Luxus, keine Zier (wenn man von der Schreibmaschinensammlung absah), keine atemberaubende Aussicht und kein PC. Konnte dies das Büro eines von nur zwei Deutschen sein die regelmäßig in der Liste der Top Ten der Milliardäre auftauchten?

Doch schon riss mich Theo Albrecht aus den Gedanken: er ging mit mir jede Zeile der Fallstudie durch, die ich über sein Unternehmen geschrieben hatte. Er nahm sich die Zeit 15 Seiten Text zu redigieren, mit Anekdoten anzureichern und mit Hintergrund zu unterfüttern. Da wurde mir klar: der Mann der da vor mir saß gab auch den Details seine Aufmerksamkeit, ging vom Grossen ins Kleinste und war sich nicht zu schade mit seinem Bleistift auf jeder Seite Notizen zu machen.

Das passte zu all jenen Geschichten in denen Herr Albrecht höchstpersönlich seine Filialen besuchte um nach dem Rechten zu sehen, Verbesserungen vorzuschlagen und Neuerungen zu beurteilen. Statt jeden Tag mit Balanced Scorecard, Powerpoint und Excel zu verbringen, stattete er also regelmäßig Besuche in der harten Realität des Einzelhandels ab. Und seine Top Führungskräfte machen es ihm auch heute noch nach. Vielleicht trägt dies auch etwas zum Erfolg von Aldi bei. 

Einzigartige Effizienz bei Aldi

Die große Leistung des Theo Albrecht (und seines Bruders Karl) liegt darin ein Geschäftsmodell geschaffen zu haben, dass von einer einzigartigen Kohärenz gekennzeichnet ist. In diesem Modell greifen alle Teile ineinander, wie in einem großen Puzzle. Doch auf den ersten Blick ist dies nicht sichtbar. So wird zum Beispiel oft das limitierte Produktsortiment bei Aldi kritisiert. Dabei ist es ein Hauptelement der Geschäftsstrategie, vielleicht sogar das definierende. Es erlaubt Effizienz in den Läden, Effizienz in der Logistik, und Effizienz bei den Lieferanten.

Überhaupt ist die Effizienz bei Aldi einzigartig. Einzigartig in der Branche, weltweit. Ein „global benchmark“ wie es in Managerdeutsch heißt. Diese Effizienz spiegelte sich auch auf dem soliden und betagten Schreibtisch von Theo Albrecht wider: sauber, ordentlich und alles griffbereit. Das „alles“ war dabei die Fallstudie – und ein alter Bleistift, mehr nicht. Kein Schnickschnack also, nichts was nicht unbedingt nötig war. Langsam begann ich das Blau des Anzugs zu verstehen.

Marc Sachon, IESE Business School

Den Kunden und ihren täglichen Konsumbedürfnissen galt die besondere Aufmerksamkeit des Theo Albrecht. Auf meine Frage, warum er denn den Preis eines gewissen Produktes, das Aldi und ein französischer Handelskonzern in Spanien verkauften, nicht erhöhte antwortete Albrecht: „Wir wollen nur unsere Marge – sobald wir die haben, geben wir jeden weiteren Cent an unsere Kunden durch.“ Im Falle dieses Produktes „verschenkte“ Albrecht eine sehr große Marge: die Franzosen verkauften das identische Produkt mehr als doppelt so teuer wie Aldi.

Bescheidenheit statt Gier

Albrecht hätte also sehr viel mehr Geld verdienen können.  Aber Theo Albrecht beschloss es nicht zu tun. Das steht im Widerspruch zu jedem Lehrbuch der Mikroökonomie und ist mit mathematischen Formeln nicht zu erklären. Aber in der Welt des Theo Albrecht machte es Sinn: wieso mehr verlangen, wenn man nicht mehr brauchte? Bescheidenheit statt Gier.

In dieser Zeit, in der der Ruf unserer Wirtschaftslenker und Führungskräfte etwas gelitten hat, mag Theo Albrecht als Beispiel dessen dienen was möglich ist: Großes zu leisten im Verborgenen und dabei immer bescheiden sein. Genau das ist auch ein Punkt den ich mit den Führungskräften in unserem AMP München Programm immer in der Aldi Fallstudie diskutiere: was kann man von Herrn Albrecht lernen außer Aldi? Die einhellige Antwort: einiges mehr als Einzelhandel.

Nach drei Stunden war unser Gespräch vorbei. Mein guter Bekannter und ich erhoben uns, Herr Albrecht brachte uns zur Tür, wir bedankten und verabschiedeten uns. Beim Hinausgehen sah ich einen Mercedes des Baujahres 1992. Er passte zum Anzug: etwas alt aber sehr gepflegt und funktionstüchtig. Ich glaube ich habe das Blau verstanden.

Nun ist Theo Albrecht Senior von uns gegangen und reiht sich ein in die Liste jener Wirtschaftskapitäne die zu ihren Lebzeiten wahrhaft Grosses vollbracht haben. Dabei ist eines sicher: er wird auch dort bescheiden sein.

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