Analyse Versicherungsbranche auf schwierigem Kurs

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Allianz-Chef Michael Diekmann Quelle: Andreas Pohlmann für WirtschaftsWoche

Die wohl größte Hürde auf dem Weg zu loyaleren Kunden liegt für die Versicherungen in ihrem schlechten Image. Von kaum einer Branche halten die Deutschen so wenig wie von den Versicherern. Die Bain-Experten haben jeweils 100 Kunden gefragt, wie wahrscheinlich es ist, dass sie ihren Versicherer einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen. Das niederschmetternde Ergebnis: Bei fast allen Versicherungen ist die Zahl der Kritiker höher als die derjenigen, die den Anbieter weiterempfehlen würden. „Die Versicherer denken noch zu wenig aus Kundensicht“, sagt Wagner.

Deutlich wird dies schon in der Struktur vieler Versicherungen. Traditionell sind bei ihnen die Sparten „Leben“ und „Kranken“ sowie „Schaden- und Unfall“ strikt voneinander getrennt. Policen, die Elemente aus allen Bereichen enthalten, lassen sich so kaum entwickeln – auch wenn sie bei den Kunden auf Interesse stoßen würden. So bestimmt die interne Organisation der Anbieter und nicht der Markt die Produkte. Zumal so der Querverkauf schwieriger ist. Die Folge: Viele Deutsche haben etliche Versicherungen von verschiedenen Gesellschaften. Dies zu ändern ist den Studienautoren zufolge eine der Herausforderungen der Branche.

Oft geht es in puncto Kundenorientierung auch einfach darum, wie der Versicherer den Kunden anspricht. Ein typisches Beispiel aus der Schadensabwicklung: In einem Schreiben erklärt ein Versicherer seinem Kunden auf drei Seiten, warum der Schaden von seiner Police nicht gedeckt ist – um ihm dann auf Seite 4 mitzuteilen, dass er die Rechnung kulanzhalber dennoch übernimmt. „Bis dahin liest der Kunde aber gar nicht“, sagt Wagner. Schon nach der ersten Seite hat der nämlich den Hörer in die Hand genommen und wütend bei seiner Versicherung angerufen. Es wäre so einfach, dem Kunden schon auf Seite 1 zu sagen, dass er sein Geld bekommt. Das hört sich einfach an – kommt bei manchen Versicherungen allerdings einer Kulturrevolution gleich.

Policen kaum noch voneinander unterscheidbar

Hinzu kommt: Für die Kunden sind die Policen selbst heute kaum mehr wirklich voneinander zu unterscheiden. Das Problem wird sich verstärken, denn ein weiterer Trend in der Branche sind sogenannte Versicherungsfabriken. Dabei designt ein Anbieter standardisierte Policen, die er dann unter verschiedenen Markennamen und über verschiedene Vertriebswege verkauft. Der Vorteil für die Konzerne: Sie erhöhen ihre Produktivität.

Der Nachteil für die Kunden: Er verliert womöglich komplett den Überblick. Außer, die Versicherungen schaffen es, die Marken zu Orientierungspunkten zu machen. Die „emotionale Aufladung der Marke“ werde immer wichtiger, schreiben die Bain-Experten. Doch Versicherungspolicen sind eine so komplexe und sperrige Materie, dass sich die meisten Kunden nur ungern damit beschäftigen und kaum ein positives Gefühl für eine Marke aufbauen.

Einen Sportwagen kann sich der stolze Besitzer in die Hofeinfahrt stellen und die neiderfüllten Blicke der Nachbarn genießen; beim Schnäppchen im Schlussverkauf genießt der Konsument vielleicht noch das Glücksmoment eines cleveren Einkaufs. Die Versicherer bemühen in der Werbung seit Jahrzehnten die heile Familienwelt oder versuchen mit Personen wie jenem berühmten Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer eine gewisse Bindung herzustellen.

In Zukunft könnten neue Konzepte das Schema ablösen. Das Thema Fitness etwa; oder einer Versicherung gelingt es, sich als Preisführer darzustellen. Die fränkische HUK Coburg, die zweitgrößte Autoversicherung in Deutschland, hat das geschafft: In den Köpfen der Verbraucher gilt sie als günstigster Anbieter, obwohl sie gar nicht immer die billigsten Policen im Angebot hat. Doch das sind erst die ersten Schritte. Das Problem wird die Versicherungen und ihre Marketingabteilungen noch eine ganze Weile verfolgen.

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