Arbeitsmarkt Krise ist für die Zeitarbeit nur Zwischentief

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Unternehmer Birkner: Als der frühere Arbeitgeber dicht machte, bot sich für den gelernten Personaler der Einstieg in dier Zeitarbeit an Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Birkner ist ein Paradebeispiel für die Branche und ihre aufstrebenden Player – keine der zahlreichen „Klitschen“, die nach Ansicht des einst für Wirtschaft und Arbeit zuständigen Superministers Wolfgang Clement „das Prädikat Arbeitgeber nicht verdienen“, aber auch kein Konzern.

Zwar dominieren internationale Namen wie Randstad, Adecco und Man-power die Branche mit Milliardenumsätzen. Die drei Führenden im deutschen Ranking stellen fast ein Fünftel aller Zeitarbeiter. Aber neun von zehn Arbeitnehmer-Verleihbetrieben hatten Mitte 2008 nicht mehr als 100 Beschäftigte – wie Birkner. Wie bei ihm sind die meisten Zeitarbeiter auch branchenweit Männer (74 Prozent), weil die meisten Kräfte immer noch an die Industrie entliehen werden. Ein Drittel der Unternehmen der jungen Branche entstand nach 2003 – so auch Birkners Firma in Hattingen.

Für Ulrich Birkner war die Unternehmensgründung ein Befreiungsschlag. 33 Jahre hatte der gebürtige Bochumer in der Personalabteilung der Henrichshütte in Hattingen gearbeitet. 15 Jahre trug er als Personalchef dort die Verantwortung – und verwaltete den Abbau von 10.000 auf 150 Mitarbeiter. Der Betrieb gehörte unter dem Namen Vereinigte Schmiedewerke zur Georgsmarienhütte Unternehmensgruppe des heutigen RWE-Chefs Jürgen Großmann. Die machte am Ende das Stahlwerk dicht. Am 30. Juni 2004 ging der Personalchef als einer der Letzten selber von Bord.

Zeitarbeitsbranche profitierte von Schröder und Clement

Birkner war damals Ende 40 und wollte nicht mehr umziehen. Er „hatte gehört, dass die Zeitarbeit eine kommende Branche“ sei. Und in Hattingen war noch kein Verleihunternehmen aktiv. So wurde der Angestellte, der die Personalarbeit von der Pike auf gelernt hatte, Unternehmer. „Birkner Personaldienstleistungen GmbH“ ließ er sich Ende 2004 auf Visitenkarten drucken, stellte einen Personaldisponenten ein und eine Sekretärin. Sein Hauptkapital neben Abfindung und öffentlichen Fördergeldern waren Beziehungen.

einbruch

Die Ehemaligen von der Henrichshütte kannten ihn schließlich seit 30 Jahren. „Die wussten: Der verarscht uns nicht“, sagt Birkner. Personalchefs anderer Unternehmen, die er kannte, versuchte er nun seine Fachkräfte zu vermitteln. Viele davon waren 50 Jahre und älter. Einige Monate hat Birkner die Leute „angeboten wie sauer Bier“. Zum 1. März 2005 vermittelte er seinen ersten Leiharbeiter. Mitte 2005 traf er auf Spicer-Geschäftsführer Lars Christoph Schäfer. Den Mann mit dem markanten Glatzkopf kannte Birkner bis dahin nur flüchtig. Spicer suchte Dreher. Die konnte Birkner vermitteln. Von nun an ging’s bergauf.

Dass er Fuß fassen konnte, verdankt der Unternehmer aus der NRW-Provinz auch weitreichenden Entscheidungen in Berlin. Der 54-Jährige profitierte – wie die ganze Zeitarbeitsbranche – von den Rahmenbedingungen, die Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Minister Clement vor fünf Jahren schufen.

Der Aufstieg der Leiharbeit war politisch gewollt. Bei einer Zeitarbeitsfirma anzuheuern sollte die Arbeitsmarktchancen zuvor Arbeitsloser verbessern und den Unternehmen mehr Flexibilität bei der Veränderung ihrer Belegschaften geben. Ende 2003 traten die entscheidenden Liberalisierungen in Kraft: Die zwölfmonatige Befristung der Leiheinsätze entfiel, ebenso das sogenannte Synchronisationsverbot. Das hieß, Leiharbeitsfirmen durften Verträge mit Zeitarbeitnehmern für die Dauer ihrer Einsätze schließen, sie danach entlassen und erst bei der nächsten Einsatzmöglichkeit neu einstellen – wiederum befristet.

Lars Christoph Schäfer stellte seine ersten Zeitarbeiter 2003 ein. „Wir erwarteten schwankenden Bedarf“, sagt der Geschäftsführer von Spicer Gelenkwellenbau in Essen, „wir wollten flexibel werden im Rahmen der Schweinezyklen.“ Er orderte Personal von Persona Service, später von Randstadt und anderen bekannten Zeitarbeitsunternehmen. Im Mai 2005 entstand der Kontakt zu Birkner, einen Monat später traten die ersten Birkner-Leute bei ihm an.

Spicer wurde Birkners bester Kunde, orderte aber weiterhin auch bei anderen Anbietern. 2007 und 2008 gab es in Produktion und Verwaltung 125 Zeitarbeitskräfte beim Tochterbetrieb des US-Autozulieferers. Nun, nach 60 Prozent Auftragsrückgang innerhalb von vier Monaten, sind es 20. Für einen Teil der 580 Mitarbeiter an den beiden Standorten in Essen hat Schäfer Kurzarbeit angemeldet. „Die Zeitarbeit“, sagt der Geschäftsführer, „dient dem Schutz der Stammbelegschaft und erspart uns zum jetzigen Zeitpunkt betriebsbedingte Kündigungen, Verhandlungen über einen Sozialplan und die damit verbundenen Kosten.“

Doch Schäfer weiß nicht nur die Flexibilität zu schätzen. Vier Leiharbeiter übernahm der 48-Jährige in die eigene Belegschaft – Fachkräfte, die die Agentur für Arbeit ihm nicht vermitteln konnte. Sogar den Fachkräfte-Nachwuchs zieht er sich inzwischen gemeinsam mit Birkner heran. Birkner gehört zu den wenigen Zeit-arbeitsunternehmen, die selber Azubis beschäftigen. Sechs Zerspanungsmechaniker und zwei Industriekaufleute werden formal bei Birkner und faktisch bei Spicer ausgebildet.

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