Arbeitsmarkt Krise ist für die Zeitarbeit nur Zwischentief

Keine Branche spürt die Wirtschaftskrise so wie die Zeitarbeit. Doch der Absturz ist nur ein Zwischentief. Vieles deutet darauf hin, dass die Arbeitskräfteverleiher in Deutschland vor einem historischen Boom stehen.

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Manager Schäfer, Zeitarbeitsunternehmen Birkner, Leiharbeitere Felder (v.l.): Weichen gestellt für den Aufschwung 2010 Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Ulrich Birkner sitzt in seinem 80-Quadratmeter-Büro im kuscheligen Fachwerk-Städtchen Hattingen am Ostrand des Ruhrgebiets und vertröstet Anrufer, die bis vor ein paar Wochen noch auf seiner Gehaltsliste standen. „Fragen Sie im März noch mal nach. Wir halten Kontakt.“

Birkner, 54, ist Zeitarbeitsunternehmer. Er stellt Leute ein, um sie an andere Betriebe zu verleihen. Der Mann mit dem D’Artagnan-Bart hat seine Firma vor gut vier Jahren gegründet . Jetzt erlebt er „die härteste Phase seitdem“, sagt er. Mitte 2008 suchte er noch händeringend nach Zerspanungsmechanikern, wie Fräser und Dreher heute heißen. Wenn er welche bekam, waren sie pausenlos im Einsatz. Inzwischen hat Birkner von seinen 100 Leiharbeitskräften nur noch 51 unter Vertrag. Zwei sitzen zu Hause und warten auf Beschäftigung. Mit ihren Qualifikationen im Bereich Elektrotechnik und Metallbearbeitung sind sie für Birkner so wertvoll, dass er sie auch fürs Nichtstun erst einmal weiterbezahlt.

Zeitarbeit wird vermutlich größter Gewinner nach der Krise sein

Der nordrhein-westfälische Mittelständler ist typisch für eine Branche, die vermutlich zu den größten Gewinner zählen wird, wenn die gegenwärtige Wirtschaftskrise erst einmal überwunden ist. So sehr der Abschwung den Personaldienstleister im Moment herunterzieht, so optimistisch blickt er zugleich in die Zukunft: „Was jetzt passiert, ist für die Zeitarbeit langfristig nicht schlecht, sondern gut. Viele Unternehmen begreifen jetzt erst, wie massiv Ausschläge sein können, wie wichtig Flexibilität beim Personal ist und dass die Zeitarbeit die Lösung für diese Probleme bietet.“

boom

Mit der Einschätzung befindet sich Birkner in guter Gesellschaft. Auch Volker Enkerts, Präsident des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA), glaubt, die Branche habe ihre besten Zeiten noch vor sich. Trotz des akuten Einbruchs der Beschäftigtenzahlen werde die Zeitarbeit in Deutschland „bis 2010 die Millionengrenze knacken“. Der Zeitarbeiteranteil an den Erwerbstätigen, prognostiziert der Hamburger Unternehmer, werde sich von jetzt 1,6 Prozent bis 2015 verdoppeln. Deutschland hat Nachholbedarf. In Großbritannien etwa liegt der Anteil der Zeitarbeiter an den Erwerbstätigen fast dreimal so hoch, bei fünf Prozent.

Viele Hürden, die solch eine Entwicklung früher bremsten, sind aus dem Weg geräumt. „Vor zehn Jahren noch“, meint Birkner, sagten die Betriebsräte einem Chef, der Zeitarbeiter ordern wollte: „Nichts da, die werden fest eingestellt.“

Heute hingegen sind Betriebsräte froh, wenn Leiharbeitskräfte die Arbeitsplätze der fest Beschäftigten sicherer machen. Die Leih-Kollegen fungieren als Verfügungsmasse für gute Zeiten/schlechte Zeiten in der Wirtschaft. Der bayrische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer hält heute „fünf Prozent Leiharbeiteranteil an einer Belegschaft für vertretbar“. Michael Sommer, dem Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), geht es nicht mehr darum, „Zeitarbeit zu verteufeln, vielmehr wollen wir sie aus der Schmuddelecke befreien“.

Weiter steigen wird der Anteil höher Qualifizierter an den Zeitarbeitern. Eine Zeitarbeitsphase im Lebenslauf ist kein Makel mehr. Selbst der Geschäftsführer und Mitinhaber der Modeschmuck-Kette Bijou Brigitte, Roland Werner, hat zwischen BWL-Studium und einem Job bei Europcar mal als Leiharbeiter sein Geld verdient.

Als Überbrückung von Beschäftigungslücken sind Zeitarbeitsjobs alternativlos. Dank fairer Standards erleben viele Beschäftigte mehr Vor- als Nachteile der Leihjobs, sehen sie als Sprungbrett zu Kundenfirmen und als Chance, verschiedene Unternehmen kennenzulernen. Dumpinglöhne dürften der Vergangenheit angehören, wenn ein für die Zeitarbeit jetzt noch umkämpfter Mindestlohn erst einmal definiert ist. Spätestens 2011 dürfte es so weit sein, weil sonst Konkurrenten aus Osteuropa jeden Tariflohn unterbieten könnten.

Der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Gerald Weiß, warnt, ohne einheitliche Lohnuntergrenze würde Deutschland „bei der EU-weiten Arbeitnehmer-Freizügigkeit Zeitarbeit auf niedrigstem Lohnniveau importieren“. BZA-Präsident Enkerts ist deshalb sicher, dass es in zwei Jahren zu einer Regelung kommt: „Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und BDA-Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner haben uns signalisiert, dann im Tarifausschuss des Bundesarbeitsministeriums für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zu votieren, der ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wird.“

Die Wild-West-Zeit der Personalvermittler geht dem Ende entgegen – auch wenn es im Moment nach Niedergang aussieht.

So schnell und tief wie die Zeitarbeitsbranche ist kein anderer Wirtschaftszweig in die Krise gestürzt. Von Juli bis Dezember 2008 reduzierte sich die Zahl ihrer Mitarbeiter nach Angaben des BZA von 821.000 auf 657.000 – ein Rückgang um 20 Prozent, der sich im Januar und Februar fortgesetzt haben dürfte. Am heftigsten schickten die Autokonzerne und ihre Zulieferer die Fremdkräfte weg, weswegen es Birkner in Hattingen auch so hart traf. Mitte 2008 hatte er noch 71 Mitarbeiter an die Firma Spicer Gelenkwellenbau, eine Tochter des amerikanischen Dana-Konzerns, verliehen, der an zwei Essener Standorten für die Automobilindustrie und für Maschinenbauer produziert. Heute sind noch 16 Birkner-Leute bei Spicer, 55 mussten gehen.

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