Arbeitsmarkt Wie SPD und Gewerkschaften den Jobmotor Zeitarbeit ausbremsen

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Grafik Starkes Wachstum bei Zeitarbeits-Unternehmen Quelle: Grafik: WirtschaftsWoche

Aus Schätzes Brusttasche lugt ein Kugelschreiber mit dem DIS-Schriftzug. Als Andenken. „Es war ja immer mein großes Ziel, dass ich fest angestellt werde“, sagt Schätze. Die Zeitarbeit sei für ihn eine Chance gewesen. Nach seiner Ausbildung hatte er einen Job gesucht. Vergeblich. Eine Weile schlug er sich als Hausmeister durch. „Aber ich brauche nun mal Eisenspäne in meinem Leben“, sagt Schätze. Er hat sich angestrengt bei KSB, jeden Tag, und fast genauso oft den Betriebsleiter gefragt, wie es denn mit einer Übernahme aussieht. „Ich habe was gezeigt – und das hat sich jetzt ausgezahlt“, sagt Schätze.

200 Meter weiter sitzt Christian Haag an einem wuchtigen Schreibtisch aus Holz. Auf den Schrank hat er eine gerahmte Collage gestellt, eine Bastelarbeit in Blau und Rot. „Der perfekte Werksleiter“, ist sie überschrieben. Ein Geschenk der Mitarbeiter zum 40. Geburtstag, das man kaum übersehen kann. „Ansonsten ein netter Chef“, haben die Damen aus dem Sekretariat unter sein Foto geschrieben.

Christian Haag hat Schätze eingestellt. Und er ist einer der wenigen, die offen darüber sprechen, warum sie in ihren Unternehmen auf Zeitarbeiter nicht verzichten können. 450 Mitarbeiter beschäftigt KSB in Halle. Die Zahl der Zeitarbeiter ändert sich ständig, manchmal erreicht sie zehn Prozent der Stammbelegschaft. Das Rekruting für seine Firma, sagt Werksleiter Haag, laufe fast ausschließlich über Personaldienstleister. Nur drei Mitarbeiter arbeiteten in der KSB-Personalabteilung in Halle, und die hätten schon genug zu tun. Zeitarbeit sei da eine gute Möglichkeit, „neue Mitarbeiter in Echtbedingungen zu testen“.

Vor allem aber braucht Haag die Zeitarbeiter, um schnell auf neue Aufträge reagieren zu können. KSB stellt Spezialpumpen her. Echte Einzelstücke. Pumpen des Unternehmens verteilen das Trinkwasser über 150 Stockwerke im höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Tower Dubai. Sie versorgen Shrimps-Farmen in Saudi-Arabien und bewässern Fischtreppen in Argentinien.

„Wenn ich auf Zeitarbeiter verzichten müsste, hätten wir viele Aufträge ablehnen müssen“, sagt Haag. Wie etwa den Großauftrag, die iranische Hauptstadt Teheran mit Trinkwasser zu versorgen. In 2200 Meter Höhe mussten die Ingenieure und Facharbeiter eine Pumpstation bauen. Dazu hatten sie gerade mal zwei Monate Zeit, nur im Juli und August liegt auf den iranischen Höhen kein Schnee. „Allein mit unserem Stammpersonal hätten wir das nicht geschafft“, sagt Haag. Von der Lohndumping-Theorie der Gewerkschaften hält er ohnehin nichts. Es sei für ihn gar kein Anreiz, mit Zeitarbeitern „drei Euro fuffzig“ beim Lohn zu sparen. In seinem Geschäft ginge es eher darum, schnell zu sein.

Für die Unternehmen ist Zeitarbeit ein notwendiges Instrument zur Flexibilität, eine Art mobile Eingreiftruppe für Auftragsspitzen aller Art. Wenn die Auftragsbücher voller werden, weiten sie zuerst die Überstunden aus. Dann setzen sie auf Zeitarbeit, später auf befristete Neueinstellungen. Und erst, wenn Personalleiter ernsthaft glauben, dass der Aufschwung dauerhaft ist, besetzen sie feste Stellen. Zu groß ist die Angst, wegen des starren Arbeitsrechtes einem Mitarbeiter nicht mehr kündigen zu können, wenn man ihn eigentlich nicht mehr beschäftigen kann. „Zeitarbeit schützt ein Unternehmen, an Fixkosten hängen zu bleiben in Zeiten, in denen diese nicht mehr verdient werden können“, sagt Ulrich Brocker, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

Im Jahr 2004 hatte die rot-grüne Bundesregierung das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geändert. Seitdem können Leiharbeiter ohne zeitliches Limit eingesetzt werden. Doch was als flexibles Instrument für Auftragsspitzen gedacht ist, gerät inzwischen in Misskredit. Gewerkschaften fürchten, Zeitarbeit könne reguläre Stellen verdrängen – und als Beleg gilt ihnen der Fall BMW. Von den 3500 Beschäftigten, die im Leipziger Werk die Wagen der 3er-Reihe zusammenschrauben, sind rund 1000 über eine Zeitarbeitsfirma angestellt. Diese Personalpolitik beklagen die Gewerkschaften sehr laut. Ihre Solidarität war jedoch eher leise, als im Dezember durchsickerte, dass der Konzern in Deutschland 8000 Arbeitsplätze streicht – fast alle in der Zeitarbeit. Mit Gewerkschaften können die meisten Zeitarbeiter wenig anfangen.

Doch für die These, dass Unternehmen ihre Stammbelegschaft flächendeckend vor die Tür setzen, um sie durch billigere Zeitarbeiter auszutauschen, gibt es keinen Beweis. Auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung analysiert: „Die Zahlen legen nahe, dass es bislang keinen weitverbreiteten Trend gibt, vollzeitbeschäftigte Stammarbeiter durch Leiharbeiter zu ersetzen.“

Allerdings streiten die Experten auch darüber, wie hoch der Klebeeffekt in der Branche tatsächlich ist. Während die Arbeitgeber auf die Zahlen der BA verweisen, nach der jeder dritte Beschäftigte die Zeitarbeit nur als Sprungbrett in einen regulären Job nutzt, sagen die Gewerkschaften, dass nur jeder 20. Zeitarbeiter übernommen wird. Unbestritten aber ist, dass Facharbeiter häufig von ihren Kundenunternehmen umgarnt und umworben werden, Hilfskräfte dagegen haben es schwer.

Daniel Reuß hatte sechs Monate lang einen Job gesucht, bevor er bei einem großen deutschen Leiharbeits-Unternehmen anheuerte. Der 24-Jährige stand bei einem Automobilzulieferer am Band, füllte für ein Chemieunternehmen Kunststoffgranulat in Säcke, stemmte auf dem Bau Wände auf. Und immer schwang die Hoffnung mit, dass er irgendwann eine echte Chance bekommen könnte, dass ein Kunde ihn einstellen würde. Für immer. „Das Wort Fest-anstellung“, sagt Reuß, „lässt bei jedem Leiharbeiter die Augen funkeln.“ Einmal hätte es fast geklappt. Ein Kunststoff-Veredelungsbetrieb wollte Reuß übernehmen. Doch sein Verleihunternehmen forderte eine Abfindung von fast 5000 Euro. Am Ende verzichtete der Kunde. Zu teuer, hieß es.

Dass Zeitarbeitsunternehmen eine Ablösesumme fordern, wenn ein Kunde einen Mitarbeiter übernehmen will, ist branchenüblich. Im Rahmen-Arbeitnehmerüberlassungsvertrag der Firma Randstad heißt es etwa: „Bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher/Auftraggeber und einem Randstadt-Bewerber oder -Mitarbeiter wird ein Vermittlungshonorar in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern fällig.“ Randstad erklärt, es sei selbstverständlich, die Vermittlungsdienstleistung zu berechnen. Schließlich betreibe ein Personaldienstleister erheblichen Aufwand für die Personalsuche, und bei einer Abwerbung sei das Personal „durch die Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr zu amortisieren“. Doch während Vermittlungshonorare für Facharbeiter gezahlt werden, sind sie für Hilfskräfte eine Hürde.

Inzwischen allerdings tummeln sich immer mehr Fachkräfte auf dem Markt. „Vor fünf Jahren lag der Anteil der Ingenieure bei den Zeitarbeitern noch bei null, inzwischen sind es vier bis fünf Prozent“, sagt Ingrid Hofmann, Vizepräsidentin im Bundesverband Zeitarbeit Personal Dienstleistungen. Nach einer Studie des Bonner IWG gelten heute schon zehn Prozent der Zeitarbeiter als Spezialisten: Ingenieure, Techniker, IT-Experten, Ärzte oder Wirtschaftsprüfer. Auch bei Branchenriesen wie Randstad oder Manpower werden mehr und mehr Experten nachgefragt.

In Berlin hat sich der Unternehmer Arnd Schumacher längst auf Experten spezialisiert. Mit seiner Firma S&W Personaldienstleistungen vermittelt er kaufmännische Fach- und Führungskräfte, Controller und Assistenten, Buchhalter und Sekretärinnen. Sechs Monate ist die Verweildauer im Unternehmen. Dann würden die meisten Mitarbeiter abgeworben.

Schumacher ist gelernter Ingenieur – und wurde vor Jahren selbst arbeitslos. Nach der Wende sprang er als Jobvermittler beim Berliner Arbeitsamt ein, das von einer kundenfreundlichen Agentur damals weit entfernt war. Später wechselte er zu Adecco. Und 1996 gründete er schließlich das eigene Zeitarbeitsunternehmen.

Bewerber warten heute vor einem großen Aquarium im sonnengelb gestrichenen Flur, Mitarbeitergespräche führt der Chef beim Kaffee auf der kleinen Dachterrasse. Schumachers Firma gehört zu den lokalen Marktführern, 250 Mitarbeiter hat er in seiner Zeitarbeitskartei. Und doch macht er sich Sorgen. „Es heißt zwar, dass die Zeitarbeit boomt“, sagt er. „Aber in der Branche bemerken wir, dass die Unternehmen wieder unsicherer werden. Man spürt ihre Sorge über die Konjunktur.“ Die Zeitarbeit sei nun einmal Seismograf der Konjunkturlage – und der politischen Befindlichkeiten.

Die Gewerkschaften bemühten sich, die Zeitarbeit in der öffentlichen Debatte schlecht darzustellen, das erkläre auch die Anfeindungen aus der Politik und die Debatte um den Mindestlohn. Seit Tagen denkt Schumacher daher darüber nach, ob sich für die viel kritisierte „Leiharbeit“ nicht ein besserer Begriff finden ließe. Leasing? Zu platt. Überlassung? Klingt bürokratisch. Modernes Arbeiten, so etwas in der Richtung müsste es sein. Schließlich geht es in Schumachers Job darum, Flexibilität zu vermarkten – und Chancen.

Im Profil-Papier, das er an seine Kunden verschickt, hat er über eine Mitarbeiterin kürzlich Folgendes geschrieben: „Sympathische und gepflegte Erscheinung. Teamfähig und belastbar. Hohes Maß an Engagement und Flexibilität.“ Die Mitarbeiterin heißt Sabine Schweers.

Für die Buchhalterin hat sich die Zeitarbeit ausgezahlt. Im Mai wird sie von der Firma GWB übernommen. In Festanstellung. Als ganz normale Kollegin eben. Den Vertrag hat sie schon unterschrieben.

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