Arbeitsmarkt Wie SPD und Gewerkschaften den Jobmotor Zeitarbeit ausbremsen

Die Zeitarbeit ist der zentrale Wachstumsmotor auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Diese Branche hat auch Chancenlosen wieder Jobs verschafft. Doch mit Mindestlöhnen und gesetzlichen Hürden wollen SPD und Gewerkschaften den Aufschwung bremsen. Ein Branchenporträt von WirtschaftsWoche-Reporterin Cornelia Schmergal.

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Sabine Schwers Quelle: Markus Altmann für WirtschaftsWoche

Der letzte Chef wollte sich ihren Namen gar nicht erst merken. Wenn er ihr etwas auf den Schreibtisch legte, vermied er es einfach, sie direkt anzusehen oder anzusprechen. „Niemand hat sich dafür interessiert, wie ich heiße“, sagt Sabine Schweers. Es war ja sowieso klar, dass auf ihrem Stuhl in drei Tagen wieder eine andere hocken würde. „In manchen Unternehmen ist man als Zeitarbeiter austauschbar. Daran gewöhnt man sich.“

Doch beim nächsten Einsatz war alles anders. Als Sabine Schweers sich zum ersten Mal an ihren neuen Schreibtisch bei der Berliner Wohnungsgesellschaft BWG setzte, klebte ihr Name schon auf einem Schild am Telefon. Es dauerte nur eine Woche, bis sie sich eine Primel auf ihren Schreibtisch stellte. Zwei Wochen später nahm sie die Box mit ihren Lieblingsstiften mit ins Büro. Und als vier Wochen vergangen waren, schleppte sie ihre kleine Zen-Schale mit Kieselsteinen in die Firma. Sie war angekommen – und fühlt sich seither wie eine der anderen. Wie eine ganz normale Kollegin eben. Auch wenn das – genau genommen – gar nicht stimmt.

Sabine Schweers ist Zeitarbeiterin. Ihren Arbeitsvertrag hat sie bei der Berliner S&W Personalvermittlung unterschrieben. Seit acht Monaten ist sie nun bei der BWG als Buchhalterin im Einsatz. Ausgeliehen, um korrekt zu sein. Schweers verdient zwar deutlich weniger als ihre Kolleginnen am Nebentisch, die zur Stammbelegschaft gehören. Sie arbeitet anderthalb Stunden länger in der Woche als ihre Büro-Nachbarinnen und sie hat sechs Tage weniger Urlaub im Jahr. Aber sie hat wieder einen Job. Und das ist für sie das Wichtigste.

Bevor Sabine Schweers als Zeitarbeiterin anheuerte, war sie arbeitslos. „Nicht gerade erhebend für das Selbstbewusstsein“, sagt die 40-Jährige. Sie wollte nicht als ABM-Kraft beim Rübenzupfen versauern, sondern einen neuen Job. Und sie wollte nicht ewig darauf warten. So entdeckte sie im Internet ein Stellenangebot: „Sprungbrett Zeitarbeit“, stand da. Kurz darauf heuerte sie als Zeitarbeiterin an. Ihr erster Kunde war ein Verlag, danach hütete sie das Sekretariat eines Bauunternehmens, bis es sie zur BWG verschlug. „Man hat immer die Hoffnung“, sagt Schweers, „dass man irgendwo landet, wo man bleiben kann.“

In Deutschland arbeiten über 700.000 Menschen in Zeitarbeitsunternehmen. Die Zeitarbeit boomt. Nirgendwo sonst entstehen so viele Stellen. Von den 800.000 neuen Jobs, die im Aufschwung der Jahre 2006 und 2007 insgesamt geschaffen wurden, gehen 37 Prozent auf den Anstieg der Zeitarbeit zurück, errechnete das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn (IWG). Mehr als 60 Prozent der Zeitarbeiter waren zuvor arbeitslos. Sie müssen flexibel sein, dürfen aber auf den Job für immer hoffen. So stellt die Bundesagentur für Arbeit fest, dass jeder dritte Zeitarbeiter von seinem Kundenunternehmen oder einem anderen Betrieb übernommen wird.

Allerdings spaltet die Zeitarbeit die Gemüter. Für Arbeitgeber und Ökonomen ist sie die Rettung schlechthin, ein willkommenes Instrument, um den Kündigungsschutz zu umgehen und den verkrusteten Arbeitsmarkt aufzubrechen. Eine neue Zukunft für Arbeitslose, die sich längst aufgegeben hatten, und eine letzte Chance für gering Qualifizierte und schwer Vermittelbare. 40 Prozent der Zeitarbeiter sind Hilfskräfte. Für die Gewerkschaften indes ist die Zeitarbeit gerade deshalb das Schmuddelkind des Arbeitsmarktes, ein Sündenfall der Hartz-Reformen, ein Nährboden für Lohndumping und Unterdrückung.

In der großen Koalition wollen die Sozialdemokraten die Jobquelle Zeitarbeit jetzt trockenlegen, indem sie ihr die entscheidenden Vorteile nehmen: die niedrigen Kosten und die Flexibilität. Als Erstes will die SPD in der Zeitarbeitsbranche Mindestlöhne durchsetzen. Arbeitsminister Olaf Scholz möchte die Branche in das Entsendegesetz aufnehmen. Noch bis zum 31. März können Branchen die Aufnahme in das Regelwerk beantragen. Scholz hatte die großen Zeitarbeitsunternehmen geradezu gedrängt, mit den DGB-Gewerkschaften einen Mindestlohn-Tarifvertrag auszuhandeln. Wenn die Regierung diesen Abschluss für allgemeinverbindlich erklären würde, müssten Zeitarbeiter mindestens 7,31 Euro im Westen und 6,36 Euro im Osten verdienen.

Dumm nur, dass die kleineren Unternehmen der Branche, die im Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) organisiert sind, dabei nicht mitmachen wollen. „Ein Mindestlohn würde vor allem die Stellen für gering Qualifizierte vernichten“, sagt AMP-Geschäftsführer Thomas Hetz. Der AMP hat mit den christlichen Gewerkschaften einen anderen Tarifvertrag ausgehandelt – und der ist sehr viel günstiger. Experten sprechen von „konkurrierenden Tarifverträgen“. Der Verband will sich daher keinesfalls einem fremden Lohndiktat beugen und droht im Zweifel auch mit dem Gang vor Gericht. »

Beim Mindestlohn für die Zeitarbeit geht es ums Prinzip: Zeitarbeiter sind bundesweit in allen Wirtschaftszweigen im Einsatz. Würden sie in einem Kundenbetrieb einen Mindestlohn erhalten, könnte das den Gewerkschaften als Argument dienen, auch für dessen Stammbelegschaften Mindestlöhne zu fordern. Lohnuntergrenzen in der Zeitarbeitsbranche hätten daher „eine Art Rammbock-Charakter“, warnt Professor Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Über einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche könnte man die Löhne in allen Branchen steuern.“

Die Koalition hat sich daher über den Mindestlohn entzweit. Im Vorstand der CDU hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits den Kurs vorgegeben, Mindestlöhne für die Zeitarbeitsbranche kategorisch abzulehnen. Darauf dringt vor allem der Wirtschaftsflügel. In einem vierseitigen Positionspapier schreibt CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, wer bei der Zeitarbeit durch einen Mindestlohn „die Axt anlegt“, zerstöre einen wichtigen Zweig des Arbeitsmarktes: „Wer die Zeitarbeit in ihrer Flexibilität einschränken will, der nimmt vielen Menschen Chancen am Arbeitsplatz.“

Während die CDU also ihre wirtschaftsfreundlichen Wurzeln wieder entdeckt, gilt die Zeitarbeit der SPD als Symbol des Schlechten, als Hort des abgehängten Prekariats. Damit die Branche gar nicht erst ein positives Image entwickeln kann, sprechen die Sozialdemokraten beharrlich von „Leiharbeit“ – so als handele es sich um entrechtete, geknechtete chinesische Wanderarbeiter. „Leiharbeit“ klingt nach Arbeit ohne Wert. Zeitarbeiter kosten aber Geld, sind sozialversicherungspflichtig und meistens sogar unbefristet beschäftigt. „Unsereiner kann nur bedauern, dass auch Vertreter meiner Partei wieder dabei sind, die Zeitarbeit als prekäre Beschäftigungsform zu denunzieren“, sagt der frühere Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, SPD, der inzwischen als Ratgeber für das Zeitarbeitsunternehmen Adecco arbeitet.

Allerdings werden Angestellte auf Zeit an ihren Einsatzorten schlechter bezahlt als ihre Kollegen. Die Löhne liegen oft 30 Prozent unter denen der Stammbelegschaft. Was die SPD als „Lohndumping“ geißelt, begründen die Unternehmen mit höheren Kosten: Ist ein Zeitarbeiter einmal nicht im Kunden-Einsatz und faktisch ohne Arbeit, überweist das Zeitarbeitsunternehmen weiter das normale Gehalt. Das Risiko trägt also das Zeitarbeitsunternehmen.

Die Sozialdemokraten wollen das nicht gelten lassen. So fordert Parteichef Kurt Beck: „Grundsätzlich muss gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.“ Beim Mindestlohn soll es daher nicht bleiben. Auf ihrem Hamburger Parteitag hat die SPD beschlossen, dass Zeitarbeiter „nach einer angemessenen Einarbeitungszeit“ genauso bezahlt werden sollen wie Stammarbeiter.

Im April startet auch die IG Metall unter dem Slogan „Gleiche Arbeit, gleiches Geld“ eine große Kampagne. Das Ausmaß der Leiharbeit habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und nichts mehr damit zu tun, nur Auftragsspitzen abzufangen, sagt Detlef Wetzel, stellvertretender Vorsitzender der IG Metall. „Hier handelt es sich um Ungerechtigkeiten, um Missbrauch – die Unternehmen überziehen bei diesem Thema. Wir müssen die Schraube wieder ein Stück zurückdrehen.“

David Schätze Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

David Schätze ist gelernter Werkzeugmechaniker und arbeitet tatsächlich jeden Tag mit Schrauben. Die neue Qualität in seinem Leben macht sich daran bemerkbar, dass er seit zwei Monaten mehr Geld verdient. Und daran, dass der Wäschekorb in seiner Wohnung nicht mehr überquillt. Als Schätze noch Zeitarbeiter war, da musste er seine Latzhose nach der Arbeit selbst in die Waschmaschine stecken. Doch seit er zur Stammbelegschaft gehört, arbeitet er in der blauen Betriebskluft mit dem Firmenlogo auf der Brust. Seine Hose wird jetzt im Betrieb gewaschen. Auf Firmenkosten.

Der 24-Jährige hat einen neuen Job, der eigentlich der alte ist: Mit einer Zentriermaschine fräst er Löcher in Stahlwellen. Die Späne, die er mit dem Präzisionsgerät aus armdicken Zylindern schält, fallen in zarten Locken aus der Maschine. Seit anderthalb Jahren arbeitet der gelernte Werkzeugmechaniker schon für das Pumpenunternehmen KSB AG in Halle. Zuerst fuhr er jeden Morgen als Zeitarbeiter in den Betrieb. Seinen Arbeitsvertrag hatte er beim Personaldienstleister DIS AG unterschrieben. Im Februar wurde Schätze als Stammarbeiter von KSB übernommen. „Jeden Morgen freue ich mich darüber“, sagt er.

Grafik Starkes Wachstum bei Zeitarbeits-Unternehmen Quelle: Grafik: WirtschaftsWoche

Aus Schätzes Brusttasche lugt ein Kugelschreiber mit dem DIS-Schriftzug. Als Andenken. „Es war ja immer mein großes Ziel, dass ich fest angestellt werde“, sagt Schätze. Die Zeitarbeit sei für ihn eine Chance gewesen. Nach seiner Ausbildung hatte er einen Job gesucht. Vergeblich. Eine Weile schlug er sich als Hausmeister durch. „Aber ich brauche nun mal Eisenspäne in meinem Leben“, sagt Schätze. Er hat sich angestrengt bei KSB, jeden Tag, und fast genauso oft den Betriebsleiter gefragt, wie es denn mit einer Übernahme aussieht. „Ich habe was gezeigt – und das hat sich jetzt ausgezahlt“, sagt Schätze.

200 Meter weiter sitzt Christian Haag an einem wuchtigen Schreibtisch aus Holz. Auf den Schrank hat er eine gerahmte Collage gestellt, eine Bastelarbeit in Blau und Rot. „Der perfekte Werksleiter“, ist sie überschrieben. Ein Geschenk der Mitarbeiter zum 40. Geburtstag, das man kaum übersehen kann. „Ansonsten ein netter Chef“, haben die Damen aus dem Sekretariat unter sein Foto geschrieben.

Christian Haag hat Schätze eingestellt. Und er ist einer der wenigen, die offen darüber sprechen, warum sie in ihren Unternehmen auf Zeitarbeiter nicht verzichten können. 450 Mitarbeiter beschäftigt KSB in Halle. Die Zahl der Zeitarbeiter ändert sich ständig, manchmal erreicht sie zehn Prozent der Stammbelegschaft. Das Rekruting für seine Firma, sagt Werksleiter Haag, laufe fast ausschließlich über Personaldienstleister. Nur drei Mitarbeiter arbeiteten in der KSB-Personalabteilung in Halle, und die hätten schon genug zu tun. Zeitarbeit sei da eine gute Möglichkeit, „neue Mitarbeiter in Echtbedingungen zu testen“.

Vor allem aber braucht Haag die Zeitarbeiter, um schnell auf neue Aufträge reagieren zu können. KSB stellt Spezialpumpen her. Echte Einzelstücke. Pumpen des Unternehmens verteilen das Trinkwasser über 150 Stockwerke im höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Tower Dubai. Sie versorgen Shrimps-Farmen in Saudi-Arabien und bewässern Fischtreppen in Argentinien.

„Wenn ich auf Zeitarbeiter verzichten müsste, hätten wir viele Aufträge ablehnen müssen“, sagt Haag. Wie etwa den Großauftrag, die iranische Hauptstadt Teheran mit Trinkwasser zu versorgen. In 2200 Meter Höhe mussten die Ingenieure und Facharbeiter eine Pumpstation bauen. Dazu hatten sie gerade mal zwei Monate Zeit, nur im Juli und August liegt auf den iranischen Höhen kein Schnee. „Allein mit unserem Stammpersonal hätten wir das nicht geschafft“, sagt Haag. Von der Lohndumping-Theorie der Gewerkschaften hält er ohnehin nichts. Es sei für ihn gar kein Anreiz, mit Zeitarbeitern „drei Euro fuffzig“ beim Lohn zu sparen. In seinem Geschäft ginge es eher darum, schnell zu sein.

Für die Unternehmen ist Zeitarbeit ein notwendiges Instrument zur Flexibilität, eine Art mobile Eingreiftruppe für Auftragsspitzen aller Art. Wenn die Auftragsbücher voller werden, weiten sie zuerst die Überstunden aus. Dann setzen sie auf Zeitarbeit, später auf befristete Neueinstellungen. Und erst, wenn Personalleiter ernsthaft glauben, dass der Aufschwung dauerhaft ist, besetzen sie feste Stellen. Zu groß ist die Angst, wegen des starren Arbeitsrechtes einem Mitarbeiter nicht mehr kündigen zu können, wenn man ihn eigentlich nicht mehr beschäftigen kann. „Zeitarbeit schützt ein Unternehmen, an Fixkosten hängen zu bleiben in Zeiten, in denen diese nicht mehr verdient werden können“, sagt Ulrich Brocker, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

Im Jahr 2004 hatte die rot-grüne Bundesregierung das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geändert. Seitdem können Leiharbeiter ohne zeitliches Limit eingesetzt werden. Doch was als flexibles Instrument für Auftragsspitzen gedacht ist, gerät inzwischen in Misskredit. Gewerkschaften fürchten, Zeitarbeit könne reguläre Stellen verdrängen – und als Beleg gilt ihnen der Fall BMW. Von den 3500 Beschäftigten, die im Leipziger Werk die Wagen der 3er-Reihe zusammenschrauben, sind rund 1000 über eine Zeitarbeitsfirma angestellt. Diese Personalpolitik beklagen die Gewerkschaften sehr laut. Ihre Solidarität war jedoch eher leise, als im Dezember durchsickerte, dass der Konzern in Deutschland 8000 Arbeitsplätze streicht – fast alle in der Zeitarbeit. Mit Gewerkschaften können die meisten Zeitarbeiter wenig anfangen.

Doch für die These, dass Unternehmen ihre Stammbelegschaft flächendeckend vor die Tür setzen, um sie durch billigere Zeitarbeiter auszutauschen, gibt es keinen Beweis. Auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung analysiert: „Die Zahlen legen nahe, dass es bislang keinen weitverbreiteten Trend gibt, vollzeitbeschäftigte Stammarbeiter durch Leiharbeiter zu ersetzen.“

Allerdings streiten die Experten auch darüber, wie hoch der Klebeeffekt in der Branche tatsächlich ist. Während die Arbeitgeber auf die Zahlen der BA verweisen, nach der jeder dritte Beschäftigte die Zeitarbeit nur als Sprungbrett in einen regulären Job nutzt, sagen die Gewerkschaften, dass nur jeder 20. Zeitarbeiter übernommen wird. Unbestritten aber ist, dass Facharbeiter häufig von ihren Kundenunternehmen umgarnt und umworben werden, Hilfskräfte dagegen haben es schwer.

Daniel Reuß hatte sechs Monate lang einen Job gesucht, bevor er bei einem großen deutschen Leiharbeits-Unternehmen anheuerte. Der 24-Jährige stand bei einem Automobilzulieferer am Band, füllte für ein Chemieunternehmen Kunststoffgranulat in Säcke, stemmte auf dem Bau Wände auf. Und immer schwang die Hoffnung mit, dass er irgendwann eine echte Chance bekommen könnte, dass ein Kunde ihn einstellen würde. Für immer. „Das Wort Fest-anstellung“, sagt Reuß, „lässt bei jedem Leiharbeiter die Augen funkeln.“ Einmal hätte es fast geklappt. Ein Kunststoff-Veredelungsbetrieb wollte Reuß übernehmen. Doch sein Verleihunternehmen forderte eine Abfindung von fast 5000 Euro. Am Ende verzichtete der Kunde. Zu teuer, hieß es.

Dass Zeitarbeitsunternehmen eine Ablösesumme fordern, wenn ein Kunde einen Mitarbeiter übernehmen will, ist branchenüblich. Im Rahmen-Arbeitnehmerüberlassungsvertrag der Firma Randstad heißt es etwa: „Bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher/Auftraggeber und einem Randstadt-Bewerber oder -Mitarbeiter wird ein Vermittlungshonorar in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern fällig.“ Randstad erklärt, es sei selbstverständlich, die Vermittlungsdienstleistung zu berechnen. Schließlich betreibe ein Personaldienstleister erheblichen Aufwand für die Personalsuche, und bei einer Abwerbung sei das Personal „durch die Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr zu amortisieren“. Doch während Vermittlungshonorare für Facharbeiter gezahlt werden, sind sie für Hilfskräfte eine Hürde.

Inzwischen allerdings tummeln sich immer mehr Fachkräfte auf dem Markt. „Vor fünf Jahren lag der Anteil der Ingenieure bei den Zeitarbeitern noch bei null, inzwischen sind es vier bis fünf Prozent“, sagt Ingrid Hofmann, Vizepräsidentin im Bundesverband Zeitarbeit Personal Dienstleistungen. Nach einer Studie des Bonner IWG gelten heute schon zehn Prozent der Zeitarbeiter als Spezialisten: Ingenieure, Techniker, IT-Experten, Ärzte oder Wirtschaftsprüfer. Auch bei Branchenriesen wie Randstad oder Manpower werden mehr und mehr Experten nachgefragt.

In Berlin hat sich der Unternehmer Arnd Schumacher längst auf Experten spezialisiert. Mit seiner Firma S&W Personaldienstleistungen vermittelt er kaufmännische Fach- und Führungskräfte, Controller und Assistenten, Buchhalter und Sekretärinnen. Sechs Monate ist die Verweildauer im Unternehmen. Dann würden die meisten Mitarbeiter abgeworben.

Schumacher ist gelernter Ingenieur – und wurde vor Jahren selbst arbeitslos. Nach der Wende sprang er als Jobvermittler beim Berliner Arbeitsamt ein, das von einer kundenfreundlichen Agentur damals weit entfernt war. Später wechselte er zu Adecco. Und 1996 gründete er schließlich das eigene Zeitarbeitsunternehmen.

Bewerber warten heute vor einem großen Aquarium im sonnengelb gestrichenen Flur, Mitarbeitergespräche führt der Chef beim Kaffee auf der kleinen Dachterrasse. Schumachers Firma gehört zu den lokalen Marktführern, 250 Mitarbeiter hat er in seiner Zeitarbeitskartei. Und doch macht er sich Sorgen. „Es heißt zwar, dass die Zeitarbeit boomt“, sagt er. „Aber in der Branche bemerken wir, dass die Unternehmen wieder unsicherer werden. Man spürt ihre Sorge über die Konjunktur.“ Die Zeitarbeit sei nun einmal Seismograf der Konjunkturlage – und der politischen Befindlichkeiten.

Die Gewerkschaften bemühten sich, die Zeitarbeit in der öffentlichen Debatte schlecht darzustellen, das erkläre auch die Anfeindungen aus der Politik und die Debatte um den Mindestlohn. Seit Tagen denkt Schumacher daher darüber nach, ob sich für die viel kritisierte „Leiharbeit“ nicht ein besserer Begriff finden ließe. Leasing? Zu platt. Überlassung? Klingt bürokratisch. Modernes Arbeiten, so etwas in der Richtung müsste es sein. Schließlich geht es in Schumachers Job darum, Flexibilität zu vermarkten – und Chancen.

Im Profil-Papier, das er an seine Kunden verschickt, hat er über eine Mitarbeiterin kürzlich Folgendes geschrieben: „Sympathische und gepflegte Erscheinung. Teamfähig und belastbar. Hohes Maß an Engagement und Flexibilität.“ Die Mitarbeiterin heißt Sabine Schweers.

Für die Buchhalterin hat sich die Zeitarbeit ausgezahlt. Im Mai wird sie von der Firma GWB übernommen. In Festanstellung. Als ganz normale Kollegin eben. Den Vertrag hat sie schon unterschrieben.

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