Aufbruch im Sechseck Die Software AG macht Dampf

Vorstandschef Karl-Heinz Streibich hat das einst anthroposophische Unternehmen aus Südhessen zum einzigen deutschen Global Player der IT-Branche hinter SAP aufgebaut. Jetzt will er den Umsatz in den kommenden zehn Jahren verfünffachen.

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Software-AG-Chef Karl-Heinz Streibich Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Am Sitz der Software AG im südlichen Darmstädter Vorort Eberstadt ist’s beschaulich. Hügel des Odenwaldes und der Bergstraße formen den Horizont. Die sechseckigen Teile des weitläufigen Komplexes reihen sich wie Waben eines Bienenstocks aneinander und vermitteln das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Verbundenheit. In den Tümpeln zwischen den Gebäuden quaken Frösche.

Hier scheint der Mensch der Mittelpunkt zu sein, nicht der schnöde Mammon. Der Schweizer und Vater der Anthroposophen, Rudolf Steiner, hätte sich gewiss so eingerichtet, möglichst ohne rechten Winkel und mit viel Natur. Und also konstruierte auch sein Anhänger und Software-AG-Mitgründer Peter Schnell Anfang der Achtzigerjahre sein künftiges Reich danach.

Rasant wachsendes High-Tech-Unternehen

Doch das Kuschelige und die gefühlte Realitätsferne anthroposophischer Esoterik täuschen. Umgeben von Amphibien und anheimelndem Ambiente, hat Software-AG-Chef Karl-Heinz Streibich in den vergangenen sieben Jahren aus einem kleinen, wenig bekannten und lange Zeit dahinschlingernden Nischenbieter den einzigen deutschen Global Player der IT-Branche hinter SAP geformt.

1969, drei Jahre vor dem Softwareriesen im 30 Kilometer entfernten Walldorf gegründet, steht das 5600-Mitarbeiter-Unternehmen heute für all das, was Anleger an IT-Unternehmen besonders lieben. Die Darmstädter zählen zu den weltweit am schnellsten wachsenden High-Tech-Firmen und führen in Deutschland mit ihrem Tempo die Branche unangefochten an.

Fünfmal so viel Umsatz bis 2020

Im vergangenen Jahr überschritt das Unternehmen die magische Umsatzschwelle von einer Milliarde Euro. Der Aktienkurs ist binnen sieben Jahren auf das Achtfache explodiert, gegenüber einem Plus von nur 50 Prozent bei SAP. Und die Aussichten scheinen blendend. "Wir arbeiten bereits jetzt an der Struktur, bis 2020 rund fünf Milliarden Euro Umsatz zu erzielen“, kündigt Vorstandschef Streibich gegenüber der WirtschaftsWoche an. Das wäre eine Verfünffachung innerhalb der nächsten zehn Jahre.

Deutschlands IT-Champion aus der zweiten Reihe steht trotzdem nicht so im Rampenlicht wie SAP. Das liegt nicht nur am deutlich geringeren Umsatz, der nur ein Elftel des hiesigen Branchenprimus beträgt. Schuld ist auch die Ware aus Darmstadt, die im Gegensatz zu den SAP-Programmpaketen nicht fürs breite Publikum taugt. Mit SAP für die Urlaubsplanung oder SAP für das Kundenmanagement kommen viele Mitarbeiter in den Unternehmen täglich in Berührung. Software, die unterschiedliche Computersysteme und -programme miteinander verbindet, ist dagegen das Metier für Spezialisten. Die meisten Nutzer merken davon nichts, solange beispielsweise das Online-Banking im Internet funktioniert, weil die wichtige Brücke zwischen dem Bank-Großrechner und der Bank-Internet-Seite steht. Auf solchen fast unsichtbaren Feldern hat es die Software AG inzwischen zum Weltmarktführer gebracht.

Firmenlogo des Quelle: dapd

Vorstandschef Streibich sieht sich deshalb auch nicht als Rivale des deutschen Parade-IT-Unternehmens. Die Software AG sei "keine kleine SAP", sagt er. Wenn der 58-Jährige einen Vergleich gelten lassen würde, dann eher mit dem amerikanischen SAP-Rivalen Oracle.

Tatsächlich verdiente Oracle wie die Software AG jahrelang das Geld im Stammgeschäft mit Datenbanksoftware. Davon ausgehend verbreiterten beide ihre Basis, indem sie Softwarefirmen in benachbarten Geschäftssegmenten übernahmen. Ellison schluckte in den vergangenen zehn Jahren für geschätzt deutlich 40 Milliarden Dollar weit über 50 Unternehmen und erhöhte dadurch den Umsatz auf umgerechnet rund 25 Milliarden Euro. Auch Streibich steigerte die Einnahmen zuvorderst, indem er Unternehmen kaufte: Zuletzt griff er Mitte 2009 für rund 482 Millionen Euro nach IDS Scheer, der Nummer drei im deutschen IT-Markt. Zwei Jahre zuvor hatte er sich für rund 550 Millionen Dollar das US-Softwarehaus WebMethods einverleibt – damals die größte Akquisition durch ein europäisches Softwareunternehmen überhaupt.

Bodenständig und bescheiden

Doch während Oracle-Boss Ellison Unternehmen großspurig auch feindlich, also gegen den Widerstand des Managements, schluckte, kam das für Streibich nie infrage. Als deutscher Larry Ellison gescholten zu werden wäre für den Endfünfziger so ziemlich das Letzte. Dafür gilt der gebürtige Badener bei jenen, die ihn kennen, als viel zu bodenständig und bescheiden. Ob bei IDS oder WebMethods, stets holte er sich vorab die Zustimmung des amtierenden Managements.

Dieser Wesenszug, gepaart mit der Härte des kapitalistischen Managers, war es, der Streibich die Spitzenposition bei der Software AG erklimmen ließ. Denn Deutschlands zweite IT-Perle ist kein ganz gewöhnliches Unternehmen. Hier der Gründer Schnell, der gute Menschvon Darmstadt, der heute der Software AG -Stiftung vorsitzt, die rund 30 Prozent der Anteile am Unternehmen hält. Dort der kapitalistische Vetter, der im Gegensatz zu Schnell marktwirtschaftlich agiert und wo nötig hart durchgreift, sich aber dennoch mit den Beschäftigten zu Bockwurst und Kartoffelsalat in der Firmenkantine einfindet.

Garant gegen Heuschrecken

Seit Streibich Ende 2003 das Ruder übernahm, räumt er auf wie nur wenige Chefs in der deutschen IT-Branche. Er treibt dem Unternehmen die Betulichkeit aus, für die es seit den Neunzigerjahren stand und deretwegen es praktisch nur vom Geschäft mit Bestandskunden lebte.

Streibichs Leitfaden ist ein klarer Zehn-Jahres-Plan, der zuerst die Sanierung, dann den Turn-around und schließlich das Wachstum beschreibt. Bis spätestens 2012, gibt er aus, soll die Milliardenschwelle beim Umsatz erreicht werden, ausgehend von 420 Millionen im Jahr 2003 und einem mageren Gewinn von gerade einmal sieben Millionen Euro.

Umsatz und Gewinn seit dem Börsengang Quelle: Software AG

Die Mitarbeiter sind davon beeindruckt. "Streibich redet nicht nur über nächstes Jahr, sondern die kommenden fünf bis zehn Jahre. Das ist enorm motivierend", sagt einer, der schon 2003 an Bord war. Streibich belässt es nicht bei Visionen, er rackert auch, besucht Software-AG-Kunden rund um den Erdball, versucht ihre Probleme und Sorgen zu verstehen. Gleichzeitig streicht er rund 400 Stellen, um die Profitabilität zu verbessern. Schon 2004 versiebenfacht sich der Gewinn auf über 50 Millionen Euro. Trotz der Entlassungen bekommt er die Mitarbeiter der Software AG hinter sich und haucht dem lange als verschnarcht geltenden Unternehmen neue Dynamik ein. "Erfolg ist der beste Motivator", sagt Streibich.

Bis 2006 steuert Streibich die Software AG wieder zurück auf Wachstumskurs; am Ende jenes Jahres liegt der Umsatz rund 15 Prozent über dem Wert bei seinem Amtsantritt. Um signifikante Sprünge hinzulegen, weiß Streibich, muss er jedoch Unternehmen mit neuen Produktlinien übernehmen, die sein Stammgeschäft ergänzen. Also kauft er 2007 – zur großen Überraschung der Branche – das US-Softwarehaus WebMethods, das auf sogenannte Middleware spezialisiert ist. Die Software dient dazu, unterschiedliche IT-Systeme zu vernetzen.

Streibich steigert Synergien

Dank WebMethods können die Software-AG-Mitarbeiter ihre auf IBM-Großrechnern laufenden Programme wie etwa die Datenbank Adabas nun modernisieren. Gleichzeitig zählt Middleware zu den wachsenden Geschäften, weil Unternehmen immer häufiger den Wildwuchsihrer eigenen IT zu verringern trachten. Streibichs Strategie geht auf: Bereits im Jahr der Übernahme von WebMethods springt der Gewinn wegen der Synergien zwischen Alt- und Neusystemen um 21 Prozent – dabei war das US-Unter-nehmen zum Zeitpunkt des Kaufs sogar noch unprofitabel.

Übernahme mit Paukenschlag

Streibichs zweiter Paukenschlag ist die Übernahme von IDS Scheer 2009, die der Firmengründer und scheidende Chef des Branchenverbandes Bitkom, August-Wilhelm Scheer, ausdrücklich unterstützt. Die Aris-Software von IDS, die Geschäftsprozesse am Computer modellieren und effizienter gestalten hilft, passt gut zu den Programmen von WebMethods. Aus beiden schmiedet Streibich ein Softwarepaket zum Management von Geschäftsprozessen. Bereits im Jahr 2010 bescheinigt das amerikanische IT-Analyseunternehmen Forrester Research der Software AG eine Führungsposition in diesem Geschäftssegment. Ihm trauen die Marktforscher in den kommenden Jahren ein überdurchschnittliches Wachstum im zweistelligen Prozentbereich zu.

Umsatz 2010 nach Geschäftssparten Quelle: Software AG

Sollte es tatsächlich ernsthafte Versuche gegeben haben, war es auch und gerade Mitgründer Schnell, der sie vereitelte. Denn seine Software AG Stiftung hält immer noch rund 30 Prozent der Aktien. Das soll sich einstweilen auch nicht ändern. „Wir wollen unsere strategische Investition behalten. Denn wir sind ein Garant dafür, dass keine Heuschrecke das Unternehmen übernimmt“, sagt Schnell gegenüber der WirtschaftsWoche. "Einen Ankerinvestor zu haben ist ein Segen für ein Unternehmen.“

Anthroposoph Schnell ist gewissermaßen der gute Schlossgeist, der über die Unabhängigkeit seines Babys wacht. Er residiert auf einer Anhöhe oberhalb von Eberstadt in einer denkmalgeschützten Villa mit Reetdach. Dort verwaltet der 72-Jährige die Software AG Stiftung, an die er 1992 seine kompletten Anteile an der Software AG übertragen hat. Schnell war 1969 einer von sechs Gründern der Software AG, die damit eines der ältesten Softwareunternehmen weltweit ist. In seiner braunen Cordhose, dem beigen Sakko und weißen Rollkragenpullover wirkt der leicht untersetzte Mann eher wie der Lehrer einer Walldorfschule denn als ein in die Jahre gekommener Programmierer.

IBM öffnete die Tür in den Markt

Dabei verdankt die Software AG ihren Ursprung dem gleichen Ereignis wie SAP: 1969 sorgte ein Kartellurteil in den USA dafür, dass IBM als damaliger Monopolist bei Großrechnern erstmals den Unternehmen Computerhardware und -software getrennt voneinander in Rechnung

stellen musste. "Erst dadurch gab es überhaupt einen Markt für Software", sagt Schnell. Also konzipiert der Jungunternehmer zusammen mit Kollegen ein Datenbankprogramm namens Adabas (Adabtable Database System), das auf die Bearbeitung großer Informationsmengen spezialisiert ist. Adabas ist bis heute einer der Grundpfeiler der Software AG. Erster Kunde ist 1971 die WestLB.

Was in Amerika nicht läuft, taugt auch in Deutschland nichts

Als der Absatz in Deutschland stockt, konzentriert sich Schnell 1972 auf den US-Markt. "In Deutschland ist man oftmals erst dann erfolgreich, wenn man zuvor bereits Amerika erobert hat", sagt er. "Nicht von ungefähr gibt es hierzulande das Sprichwort:,Das kommt nicht von weit her‘."

Umsatz 2010 nach Regionen Quelle: Software AG

Letztlich legte Schnell auf diese Weise einen wesentlichen Grundstein für den heutigen Erfolg der Software AG. Mit dem Rückenwind in den USA – die dortige Landesgesellschaft geht 1981 in New York an die Börse – reüssierte die Software AG auch in Deutschland mit Wachstumsraten bis Ende der Achtzigerjahre jenseits der 50-Prozent-Marke. Dadurch wuchs dasUnternehmen von wenigen Leuten auf mehr als 2000 Mitarbeiter, ohne dass ihm jemand die dafür erforderliche Organisation verpasste. "Eigentlich hätte man das

Unternehmen mehrfach umstrukturieren müssen, das hat uns aber keiner beigebracht",bekennt Schnell freimütig. "Da haben wir dann unsere Fehler gemacht."

Wandel nötig

Die zeigen sich ungefähr ab Mitte der Neunzigerjahre, als die Großrechner in den Unternehmen mehr und mehr von dezentralen PC-Netzwerken abgelöst werden. Die Wachstumsraten brechen ein, die Profitabilität sinkt. Gründer Schnell gibt 1996 den Vorstandsvorsitz an seinen Nachfolger Erwin Königs ab, der mit dem Geld aus dem Börsengang in Frankfurt 1999 ohne durchschlagenden Erfolg in neue Geschäftsfelder geht.

Nachdem 2000/2001 die Dotcom-Blase platzt und viele IT-Unternehmen in die Krise stürzt, sieht Schnell ein, dass es eines grundsätzlichen Wandels bedarf. Im Oktober 2003 holt der Aufsichtsrat Streibich, der bis dahin stellvertretender Vorstandschef bei der IT-Tochter der Deutschen Telekom, T-Systems, war. Damit hat die Software AG endgültig beides: den wohlmeinenden Großaktionär Schnell und den Spitzenmann Streibich, der den Erfordernissen des Kapitalismus gewachsen ist.

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