24 Stunden von Le Mans Der Diesel, Freud oder Leid für den VW-Konzern?

Am Nachmittag beginnt das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Porsche, Toyota und Audi kämpfen um den Sieg. Ausgerechnet der durch den Abgasskandal belastete Diesel könnte die Ingolstädter zum prestigeträchtigen Sieg führen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Audi tritt auch 2016 wieder mit einem Diesel-Rennwagen in Le Mans an. Quelle: AP

Wenn Schauspieler Brad Pitt um 15 Uhr die Startflagge schwenkt, gehen in Le Mans nicht nur 60 Rennwagen auf die Jagd nach Gesamt- und Klassensiegen. Das legendäre 24-Stunden-Rennen in Westfrankreich ist in diesem Jahr auch ein Stellvertreterkrieg um die Weltspitze der Autobauer: Zwei Toyota treten gegen insgesamt vier Autos aus dem Volkswagen-Konzern an, je zwei von Audi und Porsche.

Im Falle der Ingolstädter sogar mit jener Technologie, welche den Konzern zu großen Erfolgen, im letzten dreiviertel Jahr aber auch in Verruf gebracht hat: der Diesel.

Zum zehnten Mal tritt Audi in Le Mans mit einem Diesel an. Acht Rennen davon konnten die Ingolstädter auch gewinnen – nur 2009 stand Peugeot ebenfalls mit einem Diesel-Rennwagen ganz oben auf dem Siegerpodest und im vergangenen Jahr die Konzernschwester Porsche mit einem Benziner.

Diese Rennwagen kämpfen um den Sieg
Porsche hat mit dem 919 Hybrid im vergangenen Jahr nicht nur das 24-Stunden-Rennen in Le Mans gewonnen, sondern auch den Titel in der Langstrecken-Weltmeisterschaft. An dem technischen Konzept des Siegerautos hat Porsche wenig geändert, im Detail aber viel weiterentwickelt. Angetrieben wird der 919 Hybrid von einem 2,0-Liter-V4-Turbo, unterstützt von einem Hybridsystem. Insgesamt bringt es der Porsche auf über 1.000 PS, wenn Elektro- und Benzinmotor mit der vollen Leistung laufen. Quelle: AP
Startnummer 1:Marc Webber (Australien), Brendon Hartley (Neuseeland) und Timo Bernhard (Deutschland)Startnummer 2: Marc Lieb (Deutschland), Neel Jani (Schweiz) und Romain Dumas (Frankreich) Quelle: AP
Eigentlich wollte Toyota erst 2017 auf einen neuen Motor umsatteln. Da die Verantwortlichen aber bereits 2015 erkannten, dass der Rückstand zu Porsche und Audi mit dem aktuellen V8 nicht aufzuholen ist, wurde die Premiere des 2,4 Liter großen V8-Turbo um ein Jahr vorgezogen. Dass der neue TS050 Hybrid schnell ist, hat er beim zweiten Saisonrennen in Spa gezeigt. Ob er das Tempo auch auf der 24-Stunden-Distanz halten kann, muss er noch beweisen. Seit dem Comeback 2012 hat Toyota gegen die deutschen Rennwagen in Le Mans immer das Nachsehen gehabt. Quelle: AP
Startnummer 5:Kamui Kobayashi (Japan), Stéphane Sarrazin (Frankreich) und Mike Conway (Vereinigtes Königreich)Startnummer 6: Anthony Davidson (Vereinigtes Königreich), Sébastien Buemi (Schweiz) und Kazuki Nakajima (Japan) Quelle: AP
Audi hat den R18 nach der Niederlage in der vergangenen Saison grundlegend überarbeitet. Das Hybridsystem wurde von einem Schwungmassenspeicher auf Lithium-Ion-Batterien umgestellt, zudem erhielt der Wagen eine im Vergleich zu Porsche und Toyota radikale Aerodynamik. Von vorne sieht der R18 fast wie ein Formel-1-Bolide mit verkleideten Rädern aus. Die Luftführung soll so deutlich effizienter sein, das Auto mit weniger Luftwiderstand schneller und schonender fahren können. Quelle: AP
Startnummer 7:Marcel Fässler (Schweiz), André Lotterer (Deutschland) und Benoit Tréluyer (Frankreich)Startnummer 8: Lucas di Grassi (Brasilien), Loic Duval (Frankreich) und Oliver Jarvis (Vereinigtes Königreich) Quelle: AP

Als Porsche im vergangenen Juni den ersten Gesamtsieg seit 19 Jahren feierte und Audi als entthronter Seriensieger die Grundlagen für den fast vollkommen neu entwickelten Diesel-Rennwagen für die Saison 2016 legte, war in der Öffentlichkeit von dem sich anbahnenden Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte noch nichts bekannt.

Für eine Neuentwicklung war es zu spät

Inzwischen, also nach jenem schicksalshaften September 2015, wurden vereinzelt Stimmen im Konzern laut, dass Audi nicht mit einem Selbstzünder antreten sollte. Auch wenn der Rennmotor technisch nichts mit dem als Schummel-Diesel gebrandmarkten EA189 zu tun hat: Die öffentliche Reaktion, sollte der VW-Konzern das wichtigste Langstreckenrennen der Welt mit einem skandalumwitterten Diesel gewinnen, war wohl eine abschreckende Vorstellung. Für die Neuentwicklung eines Motors für ein 24-Stunden-Rennen war es da natürlich bereits zu spät.

So stehen in Le Mans zwei Audi R18 am Start, die von einem vier Liter großen V6-Diesel angetrieben werden. Das Regelwerk der Langstecken-Weltmeisterschaft (World Endurance Championship, kurz WEC) gibt den Autobauern seit 2014 Anreize, immer effizientere Rennwagen zu bauen. Inzwischen ist für die Werksteams ein Hybrid-Antrieb Pflicht, während die privaten Rennställe wie das Schweizer Rebellion-Team ohne den aufwändigen und teuren Hybrid fahren dürfen.

Ab der Saison 2016 geht der Verbrauchs-Wettkampf weiter: Dann sinkt die Obergrenze für den Kraftstoffverbrauch um mehr als zehn Megajoule pro Runde in Le Mans. „Das Ergebnis ist ein Rennwagen, der noch besser mit der Energie haushaltet. Dieses Ziel verfolgen wie auch bei unseren Straßenautos“, sagt Audi-Motorsportchef Wolfgang Ullrich. „Diese Art von Motorsport bleibt ein Vorbild für den Automobilbau.“

In Zahlen ausgedrückt: Der aktuelle Sechszylinder-Motor kommt mit 46 Prozent weniger Kraftstoff aus als der erste V12-TDI mit 5,5 Litern Hubraum aus dem Jahr 2006. Gleichzeitig sind die Autos auf der 13,629 Kilometer langen Runde aber 10 bis 15 Sekunden schneller geworden.

Fakten zum Rennen

Während Porsche das 2015 in Le Mans und der WEC siegreiche Konzept aus einem gerade einmal zwei Liter großen Vierzylinder-Benziner und Elektromotor im Detail weiterentwickelt hat, haben Audi und Toyota größere Änderungen vorgenommen. Die Ingolstädter haben die Hybrid-Komponente des Antriebs vollkommen umgestaltet und sind von einem exotischen Schwungmassen-Speicher auf eine Lithium-Ion-Batterie gegangen, die zudem 50 Prozent mehr Energie speichert als das bisherige System. Das Konzept des Diesels bleibt aber unangetastet.

Toyota ist beim Antrieb den wohl größten Schritt der drei Wettbewerber gegangen. Von einem 3,8 Liter großen V8-Saugmotor mit einem Hybridsystem auf Basis von Superkondensatoren haben die Japaner für diese Saison auf einen V6-Turbomotor mit 2,4 Litern Hubraum gewechselt – die elektrische Energie wird wie bei den deutschen Rennwagen jetzt in einer Lithium-Ion-Batterie gespeichert.

Die Zuverlässigkeit entscheidet

Jeder der drei Hersteller, die mit ihren Hybrid-Sportwagen um den Gesamtsieg kämpfen, hat in diesem Jahr bereits Führungskilometer in der Langstrecken-Weltmeisterschaft verbucht. In Le Mans gelten noch einmal andere Bedingungen als bei den WEC-Läufen in Silverstone (Großbritannien) und in Spa (Belgien). Niemand kann auf dem 13,629 Kilometer langen Kurs trainieren, da er überwiegend aus öffentlichen Straßen besteht und nur für den Testtag und die Rennwoche abgesperrt wird.

Nicht nur wegen der vollkommen neuen Rennwagen von Audi und Toyota gehen Experten davon aus, dass das 24-Stunden-Rennen in diesem Jahr wohl so hart wie noch nie wird. „Wenn die schnellsten vier Autos beim Testtag auf einer Strecke von über dreizehn Kilometern innerhalb von 1,2 Sekunden liegen, unterstreicht dies, was wir seit Beginn des Jahres sagen: Es geht in dieser Saison nochmals enger zu – und das gilt für Le Mans erst recht“, sagt Fritz Enzinger, Leiter des Le-Mans-Programms bei Porsche.

Bei besagtem Testtag Anfang des Monats hatte Audi die Nase knapp vorne. Das müssen die Ingolstädter aber auch sein, wenn sie im Rennen um den Sieg eine Rolle spielen wollen. Denn anders als bei Straßenautos, wo die sparsameren Dieselmotoren mit einer Tankfüllung weiter kommen als ein Benziner, hat der Diesel in Le Mans wegen spezieller Regeln bei Energiegehalt und Tankgröße einen Reichweiten-Nachteil gegenüber den Benzinern von Porsche und Toyota.

Audi hat einen Reichweiten-Nachteil

Wie erwähnt bevorzugt das Reglement energieeffiziente Autos. Da Porsche und Toyota pro Rennrunde mehr elektrische Energie als Audi nutzen, haben sie als Gegenleistung einen etwas größeren Tank bekommen. Sie können so zwischen zwei Tankstopps 14 Runden fahren, Audi muss nach dreizehn Runden erneut Kraftstoff nachfassen. Über die Renndauer heißt das, dass Audi öfters an die Box kommen muss, was jeweils Zeit kostet. Laut den eigenen Simulationen müssen sie im Umkehrschluss 0,4 Sekunden pro Runde schneller als die Benziner fahren, um den Zeitverlust durch das Tanken wieder auszugleichen.

Die somit erzwungenen unterschiedlichen Strategien der drei Werksteams haben in den ersten beiden Saisonläufen zu extrem engen und spannenden Rennen geführt. In Silverstone haben sich die beiden VW-Töchter bis zur letzten Runde im Abstand von wenigen Sekunden um den Kurs gejagt. In Belgien gab Toyota im Rennen den Ton an, nach technischen Problemen ging der Sieg aber dennoch an Audi.

Fun Facts zu den 24 Stunden von Le Mans

Neben der Strategie wird bei sechs nahezu gleich schnellen Autos noch ein zweiter Punkt über Sieg und Niederlage entscheiden: die Zuverlässigkeit. Bereits im vergangenen Jahr ging der Sieg an den eigentlich als Drittbesetzung geplanten Porsche mit der Startnummer 19 – am Steuer saßen Formel-1-Pilot Nico Hülkenberg und die Werksfahrer Nick Tandy und Earl Bamber. Entscheidend war nicht der Speed des Trios, sondern die Tatsache, dass sie im Gegensatz zu den anderen Werksautos ohne technische Probleme, Fahrfehler und Kollisionen über die 24-Stunden-Distanz gekommen sind.

In den ersten beiden Saisonrennen hat es keiner der drei Hersteller geschafft, ein Auto ohne Probleme ins Ziel zu bekommen. Bei Audi streikte etwa das neu konstruierte Verteilergetriebe des Hybridantriebs an der Vorderachse, auch bei Porsche fiel die Elektro-Power aus, Toyota verlor in Spa beide Autos mit Motorschäden bei dem Benziner.

Egal ob Spritverbrauch, Reifenverschleiß, Wartungsfreundlichkeit oder Service an der Box: Vieles lässt sich errechnen, einiges kann man erproben und manches trainieren. Niemals jedoch werden die Strategen alles in Wenn-dann-Szenarien erfassen, was in 24 Stunden passieren kann. Oder wie Porsche-Werksfahrer Mark Webber es formuliert: „Le Mans ist brutal. Ehe man sich Gedanken um die Gegner macht, muss man erst einmal das Rennen selbst bezwingen.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%