Immer wieder versuchen die Oberen aus den Chefetagen des Volkswagen-Konzerns, den Blick nach vorne zu wenden. Die Weltpremiere des neuen Audi A8 in der vergangenen Woche ist so ein Beispiel. VW-Chef Matthias Müller und das mächtige Aufsichtsratsmitglied Hans Michel Piëch waren nach Barcelona gekommen, um dem Markenspektakel zu folgen. Mit viel Show und Prominenz stellte der versammelte Audi-Vorstand sein neues Flaggschiff vor. Das Ziel: Den Bick hin zu den Technik-Highlights wie dem vollaktiven Fahrwerk zu richten, weg von der unheilvollen Diesel-Diskussion.
Doch so einfach macht es die EU-Kommission dem Konzern nicht. Binnenmarktkommissarin Elžbieta Bieńkowska fordert in einem Brief an die 28 EU-Verkehrsminister, dass nicht umgerüstete VW-Fahrzeuge mit Schummeldiesel ab 2018 aus dem Verkehr gezogen werden sollen. Und in Ingolstadt sind jetzt offenbar die EU-Wettbewerbshüter vorstellig geworden.
Laut dem „Handelsblatt“ geht die Wettbewerbsbehörde der Frage nach, ob sich Deutschlands Autobauer in der Diesel-Affäre über die Abgasreinigung ihrer Motoren abgesprochen haben. Zentraler Punkt ist dabei offenbar ein Dokument von Audi, welches die Ermittler bei der Razzia im März sichergestellt hatten. In der auf April 2010 datierten Präsentation zur „Clean Diesel Strategie“, erstellt vom Technischen Steuerungskreis des Unternehmens, ist unter anderem von einem „Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene“ die Rede. Dieses betreffe den „künftigen Einsatz kleiner Adblue-Tanks (8+x l) in Europa“. Mitglied des Technischen Steuerungskreises ist nach Angaben der Zeitung auch der Technische Vorstand von Audi.
Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt
Der Verdacht gegen große deutsche Autobauer, ein Kartell gebildet zu haben, wiegt schwer. Sollte es zutreffen, dass sich - wie der „Spiegel“ am 21. Juli 2017 berichtet - Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre untereinander unter anderem über Technik und Kosten absprachen, wäre dies ein neuer, aufsehenerregender Fall. Der Kampf der Wettbewerbshüter für mehr Markttransparenz ist im 60. Jahr des deutschen Kartellrechts aktueller denn je. Zentrales Thema des Bundeskartellamts mit seinem Chef Andreas Mundt ist der Schutz der Verbraucher. Neben der Wettbewerbsaufsicht zählen auch noch die Fusionskontrolle sowie die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen zu den Aufgaben der Behörde.
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Definiert ist es als Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleiben, aber etwa durch Preisabsprachen den Wettbewerb ausschalten. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel des Bundeskartellamts, den Wettbewerb gegen jede Beschränkung zu schützen. Dabei kann es um rechtswidrige Absprachen über Preise zwischen einzelnen Unternehmen oder in ganzen Branchen gehen. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Kartelle den Wettbewerb aushebeln und damit den „Motor der Marktwirtschaft“ zum Schaden von Kunden und Verbrauchern zum Stottern bringen. Dies kann etwa durch künstlich hoch gehaltene Preise oder beschränkte Mengen geschehen.
Kartellstrategien werden in der Regel im Geheimen besprochen, sie sind daher nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Bei seinen Ermittlungen ist das Bundeskartellamt daher weitgehend auf Hinweise von Eingeweihten angewiesen. Auf ihrer Internet-Seite fordert die Behörde offensiv: „Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Hinweise auf illegale Absprachen haben!“ Dabei werden auch anonyme Hinweise telefonisch oder schriftlich entgegengenommen. Eine Rückverfolgung derartiger Hinweise ist dabei technisch ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu kommen eigene Ermittlungen etwa auf der Grundlage anderer Verfahren, wenn die Verhältnisse in einem Markt verdächtig scheinen.
An einem Kartell Beteiligte haben so die Chance, im günstigsten Fall durch die sogenannte Kronzeugenregelung straffrei zu bleiben. Etwa jedes zweite Verfahren wird so ins Rollen gebracht. Derartige Anträge können jedoch nicht anonym gestellt werden. Es gilt dabei eine abgestufte Bonusregelung: Nur wer sich offenbart, bevor auch nur der leiseste Anfangsverdacht besteht, kann auf die vollen 100 Prozent hoffen. Eine spätere Kooperation wird nur noch mit abgestuften Abschlägen an einem späteren Bußgeld honoriert.
Das Bundeskartellamt verhängt Bußgelder, es vertritt aber nicht die möglichen Schadenersatz-Forderungen von Betroffenen. Kartell-Geschädigte müssen ihre Ansprüche daher in separaten Verfahren notfalls vor Gericht durchsetzen. Dabei steigen die Chancen jedoch deutlich, wenn die Wettbewerbsbehörde zuvor ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet und vielleicht schon abgeschlossen hat.
Das Bundeskartellamt ermittelt in den unterschiedlichsten Branchen. In der jüngsten Zeit hatten unter anderem Verfahren gegen Zuckerhersteller und Bierbrauer für Schlagzeilen gesorgt. Aber auch Autozulieferer sind ins Visier der Bonner Kartellwächter geraten.
Aus dem Dokument geht aber offenbar nicht hervor, ob es sich um einen Wunsch des Audi-Gremiums handelt oder um einen Plan, der industrieweit bereits umgesetzt wurde. Es hat aber ausgereicht, um die Wettbewerbshüter auf den Plan zu rufen.
Droht ein riesiger Kartellfall?
Doch es scheint nicht der einzige Fall illegaler Absprachen in der Autobranche gewesen zu sein. Laut einem Bericht des „Spiegel“ hat sich die deutsche Autoindustrie seit den Neunzigerjahren in geheimen Arbeitskreisen über die Technik, Kosten, Zulieferer und sogar über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge abgesprochen. Das belege eine „Art Selbstanzeige“, die der VW-Konzern bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht habe.
Seit den Neunzigerjahren haben sich demnach mehr als 200 Mitarbeiter von VW, Audi, Porsche und BMW in mehr als 60 Arbeitskreisen abgestimmt. Die Diskussion um die Abgasnachbehandlung und die Größe der AdBlue-Tanks ist sicher eines der spektakulärsten Beispiele. Dem Bericht zufolge wurde aber offenbar auch über technische Einzelheiten wie Cabrio-Dächer abgestimmt – diese werden oft von spezialisierten Zulieferern gefertigt. In den Arbeitskreisen seien bestimmte Lieferanten oder Kosten festgelegt worden, um den Wettbewerb auszubremsen.
Seit Bekanntwerden des Abgasskandals müssen die möglichen Absprachen natürlich in einem anderen Licht gesehen werden – gerade AdBlue spielt eine zentrale Rolle. AdBlue ist ein Harnstoff-Wassergemisch zur Reduzierung von Auto-Abgasen. Wegen zu kleiner AdBlue-Tanks hatte der VW-Konzern das Einspritzen des Stoffs offenbar elektronisch gestreckt, um die in den USA und Europa versprochenen Nachfüll-Intervalle einzuhalten.
Gefordert war ein Intervall von etwa 30.000 Kilometern (also der gängige Abstand zwischen zwei Wartungsterminen in der Werkstatt), die Tankgröße reichte aber nur für etwa 5000 Kilometer. Dadurch fuhren die Fahrzeuge ab einer bestimmten Kilometerleistung dreckiger als erlaubt.
Wie die Adblue-Technik funktioniert
Verbrennt Diesel in Motoren, entstehen Rußpartikel und Stickoxide. Die Partikel dringen in die Lunge ein und können Krebs verursachen, Stickoxide reizen die Schleimhäute der Atemwege und Augen und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Sie fördern zudem die Ozonbildung. Damit möglichst wenig der Schadstoffe in die Umwelt gelangt, werden in modernen Fahrzeugen die Abgase in zwei oder drei Stufen gereinigt – zumindest in der Theorie.
Ist die Verbrennungstemperatur im Motor hoch, entstehen wenig Partikel, aber viel Stickoxide. Bei niedrigen Temperaturen ist es umgekehrt.
Der erste Katalysator filtert rund 95 Prozent der Rußpartikel heraus.
Sensoren messen die Stickoxidkonzentration im Abgas. Die Kontrolleinheit spritzt entsprechend Adblue (Harnstofflösung) in den zweiten Katalysator.
Das Adblue reagiert im zweiten Katalysator – das Verfahren heißt selektive katalytische Reduktion (SCR) – zu harmlosem Wasser und Stickstoff. Mehr als 95 Prozent der Stickoxide werden so entfernt.
Nicht alle modernen Dieselfahrzeuge verfügen über die effektive, aber teure Adblue-Technik. Eine Alternative ist der NOx-Speicherkatalysator. Darin werden auf Edelmetallen wie Platin und Barium die Stickoxide gespeichert. In regelmäßigen Abständen wird der Speicherkatalysator freigebrannt, dabei werden die Stickoxide zu unvollständig verbrannten Kohlenwasserstoffen – und/oder Kohlenstoffmonoxid – weiter reduziert. Zum Teil werden auch SCR- und NOx-Speicherkatalysatoren kombiniert – wie etwa im BMW X5.
Auch Recherchen der WirtschaftsWoche im Jahr 2016 haben bereits auf die Problematik hingewiesen: Demnach sind bei einigen Autos die AdBlue-Tanks viel zu klein, um über die angegebene Reichweite die Abgasreinigung voll am laufen zu halten.
Größerer Tank wäre legal, aber ein Wettbewerbsnachteil
Sollten sich die Vorstände mehrerer Autobauer abgesprochen haben, geschlossen die Einspritzmenge der AdBlue-Lösung zu reduzieren – damit keiner der Hersteller einen Kosten- und Gewichtsnachteil durch einen zu großen, aber legalen Tank hätte – wäre dies illegal.
Audi, Volkswagen, BMW und Daimler wollten sich nicht zu angeblichen Absprachen über die Tankgrößen äußern. Opel betonte gegenüber den Blatt, dass jeder Hersteller „seine eigene Strategie gewählt“ habe. Auch die Kartellbehörde hülle sich bisher in Schweigen.
Die deutschen Autobauer haben aber bereits vor 2010 gemeinsam über die Harnstoff-Technologie gesprochen. Daimler (damals doch DaimlerChrysler) hatte gemeinsam mit dem Zulieferer Bosch Mitte der 2000er Jahre die AdBlue-Technik entwickelt, die bei den Mercedes-Dieseln unter dem Namen „Bluetec“ verkauft wurde. Da die großen Limousinen und SUV mit dem sparsamen, aber aus Stickoxid-Gesichtspunkten dreckigen Diesel auch vermehrt in den USA verkauft werden sollten, half AdBlue sehr.
Nur war Daimler alleine zu klein, um den neuen, sauberen Diesel in den USA zu promoten. Deshalb wollten die deutschen Hersteller gemeinsam die AdBlue-Technologie in den USA etablieren: Daimler und Bosch stellen auch VW, Audi und BMW ihre Harnstoff-Lösung zur Verfügung, im Gegenzug starten alle Hersteller in den USA eine Diesel-Offensive.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Zu jener Zeit ist verschiedenen Berichten zufolge auch in der Wolfsburger Motorenentwicklung die Erkenntnis gereift, dass ein einfacher Speicherkatalysator nicht ausreicht, um die strengen Richtlinien in den USA einzuhalten. Doch der VW-Vorstand (Vorsitzender war damals der ehemalige BMW-Manager Bernd Pischetsrieder) soll sich für eine eigene Lösung ohne die Daimler-Technik entschieden haben. Aus Industriekreisen ist immer wieder zu hören, dass der damalige VW-Markenchef Wolfgang Bernhard (seines Zeichens von Daimler zu VW gewechselt) sich vehement für die saubere, aber teurere Daimler-Technik eingesetzt haben. Kurze Zeit später verließ Bernhard das Unternehmen im Streit.
Der Rest ist bekannt: VW hat bei vielen Modellen auf den weniger leistungsfähigen Speicherkat gesetzt, und bei den AdBlue-Modellen die Einspritzmenge reduziert. Letzteres steht inzwischen auch bei Daimler im Fokus. Nur ob sie sich dabei abgesprochen haben, werden jetzt die Ermittler aus Brüssel unter die Lupe nehmen.