Arbeitsmarkt Der große Streit um Leiharbeit und Werkverträge

Seite 3/4

Spürbarer Druck bei BMW

Auch BMW spürt den Druck der Metaller, und zwar konzernweit. Eine Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat sieht vor, dass bei künftigen Ausschreibungen von werksinternen Logistikaufgaben in der Fahrzeug- und Komponentenfertigung Dienstleister mit Metall-Tarif Vorrang haben – sofern ihre Angebote wettbewerbsfähig sind. Eine Verschärfung von Gesetzen und Kontrollen trifft BMW in Leipzig womöglich noch stärker als Porsche, weil rund 3000 Werkverträgler und Leiharbeiter von Dienstleistern auf dem Werksgelände arbeiten.

„Im Prinzip wird die Mitbestimmung über Werkverträge ausgehebelt“, sagt der Leipziger BMW-Betriebsratsvorsitzende Jens Köhler. Ihm ist aber auch generell das Volumen der Zeitarbeit zu hoch: „Das Produktionspensum für die nächsten Jahre ist bekannt. Das kann man mit deutlich weniger flexiblem Personal machen.“ Dass BMW die Zahl der rund 1800 Leiharbeiter in Leipzig um 200 senken will, reicht nicht, findet Köhler. Das Unternehmen äußert sich dazu nicht.

Diese Autobauer investieren am meisten
Kia Quelle: AP
Suzuki Quelle: dpa
Renault Quelle: REUTERS
BMW Quelle: REUTERS
PSA Quelle: REUTERS
Honda Quelle: dpa
 Nissan Leaf Quelle: AP

Lavieren und entgegenkommen

Dabei ist es ja nicht so, dass sich nichts getan hätte. Bei BMW und Porsche in Leipzig etwa unterliegen heute fast alle produktionsnahen Dienstleister Metall-Tarifverträgen. Viele der gut 2100 Angestellten, die zuvor nach dem Logistiktarif entlohnt wurden, verdienen 10 bis 15 Prozent mehr, bekommen betriebliche Zulagen und arbeiten kürzer. Das verteuert die Produktion – um wie viel, sagen die Konzerne nicht.

Bessere Bezahlung macht aus illegaler Beschäftigung aber keine legale. Um juristisch aus der Klemme zu kommen, versuchen die Unternehmen deshalb, die Mitarbeiter der Werkvertragspartner von ihren eigenen klarer abzugrenzen. So entziehen sie den Werkvertragskräften interne Mailadressen, geben ihnen andere Arbeitskleidung und kennzeichnen ihre Arbeitsplätze. „Einen Prototyp gemeinsam zu testen geht künftig nicht mehr“, sagt Berylls-Berater Kleinhans: „Künftig müssen Autohersteller einen zweiten Prototyp herstellen, den der Werkvertragsdienstleister ausleihen kann, damit Stammbelegschafts-Ingenieure und externe Ingenieure parallel arbeiten können. Das verteuert die Entwicklung und schadet der Wettbewerbsfähigkeit.“

Aber auch solche Ausweichmanöver lösen das Problem nicht. Der Arbeitsrechtler Stefan Nägele hält das meiste davon für bloße „kosmetische Operationen“: „Die überwiegende Zahl der Werkverträge ist nach wie vor nicht korrekt“, warnt der Stuttgarter, „vor allem diejenigen nicht, die in den Produktionsprozessen angewendet werden.“

Eine juristische Einschätzung, in der betriebswirtschaftlicher Sprengstoff steckt. Denn: Scheinwerkverträgler können sich – wie Scheinselbstständige – als Mitarbeiter des Auftraggebers einklagen. Wird ein Scheinwerkvertrag entlarvt, muss der Auftraggeber die illegal Beschäftigten in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernehmen sowie Lohndifferenzen und Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Zuletzt traf es Daimler und seine ehemalige Tochter MB Tech. Beide hatten sich zweifelhafte Arbeitsverhältnisse im Zusammenhang mit Testfahrern geleistet.

Jahrelange strafrechtliche Ermittlungen gegen Mitarbeiter von MB Tech stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart vor wenigen Wochen zwar ein. „Zur Abschöpfung des geschätzten wirtschaftlichen Schadens“ müssen Daimler und MB Tech aber 9,5 Millionen Euro an die Staatskasse zahlen, weil ihnen ein wirtschaftlicher Vorteil entstanden ist. Ebenso hoch waren die Nachzahlungen an die Rentenversicherung. Hinzu kommen die Lohnnachzahlungen an die nachträglich eingestellten Mitarbeiter.

Daimler-Personalchef Porth Quelle: dpa

Nägele, der auch für namhafte Arbeitgeber vor Gericht zieht, erstritt für rund 50 Mandanten, die bei Daimler-Werkvertragspartnern arbeiteten, „Gehaltsnachzahlungen von 100 bis 1000 Euro pro Monat, die für die Dauer von drei Jahren rückwirkend geltend gemacht werden“. Die ehemals Externen arbeiten jetzt bei Daimler. Die Testfahrer, die ursprünglich zwischen 3,50 und 7 Euro Stundenlohn erhielten, dürften jetzt nicht unter 12 Euro pro Stunde tätig sein.

„Wir hatten Hausaufgaben zu erledigen“, gesteht Daimler-Personalchef Wilfried Porth. Anwalt Nägele berichtet allerdings, trotz aller Änderungen „kommen noch immer auf Werkvertragsbasis beschäftigte Mitarbeiter zu uns, um eine Festanstellung bei Daimler einzuklagen“.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%