Audi-Marketing-Vorstand Voggenreiter "Vorsprung durch Technik bleibt"

Das Image von Volkswagen und der Konzerntochter Audi hat unter dem Abgasskandal gelitten. Marketing-Vorstand Dietmar Voggenreiter spricht im Interview über die Zukunft des Diesels, Verkaufsziele und den Markenclaim.

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Dietmar Voggenreiter Quelle: Audi

Der 47-jährige Dietmar Voggenreiter hat vor zwei Monaten als Nachfolger von Luca de Meo im Audi-Vorstand die Verantwortung für Vertrieb und Marketing übernommen. In seinem ersten Interview im neuen Amt zieht der frühere Chef von Audi China eine Bilanz des zurückliegenden Autojahres – und gibt einen Ausblick auf den Autovertrieb im digitalen Zeitalter. 

WirtschaftsWoche: Herr Voggenreiter, Sie sind seit 1. November Vertriebs- und Marketingvorstand von Audi. Was hat Ihnen Ihr Vorgänger hinterlassen?
Dietmar Voggenreiter: Ich habe eine Top-Mannschaft in der zweiten Halbzeit übernommen und durfte mit ihr die Partie nach Hause fahren: Wir hatten uns für 2015 vorgenommen, mehr als 1,8 Millionen Autos zu verkaufen. Und das ist uns gelungen.

Zur Person

Trotz der bekannten Diesel-Thematik, die im November zum Verkaufsstopp von dieselgetriebenen Modellen in den USA geführt hat?
Richtig. Unsere Kunden haben uns in dieser turbulenten Zeit die Treue gehalten. Hier haben auch unsere Händler vor Ort einen super Job gemacht. In unserem größten Markt Europa haben wir insgesamt keine Auswirkungen auf die Verkäufe gespürt. In Märkten, die ihre Besteuerung stark an den CO2-Emissionen ausrichten, war natürlich eine Verunsicherung der Kunden zu spüren. Aber diese Frage hat sich ja für uns Anfang Dezember final geklärt: Kein Audi-Modell ist von diesem Thema betroffen.

Da ist Ihnen sicher ein Stein vom Herzen gefallen.
Natürlich war das eine wichtige Nachricht. Aber bei den Kundenbestellungen hatte sich die Diskussion ohnehin nicht niedergeschlagen.

In USA dürfte sich die Aufdeckung des Skandals um manipulierte Abgaswerte von Dieselfahrzeugen aber schon ausgewirkt haben.
Ein Verkaufsstopp wirkt sich bei den betroffenen Modellen natürlich aus. Der Dieselkunde in USA kauft sehr gezielt ein Auto mit einem solchen Antrieb – den kriegen Sie nicht einfach auf einen Benziner umprogrammiert.

von Franz W. Rother, Rebecca Eisert, Reinhold Böhmer

Wie hoch war zuletzt der Dieselanteil von Audi in USA?
Deutlich niedriger als in Europa, über alle Modelle lag er bei etwa acht Prozent. Beim Q7, unserem großen SUV, war er höher als beim A3. Natürlich fehlen uns jetzt diese Diesel-Modelle, solange der Verkauf unterbrochen ist. Trotzdem haben wir in den USA auch mit dem Verkaufsstopp jeden Monat neue Bestwerte eingefahren und sind 2015 doppelt so schnell wie der dortige Automarkt gewachsen. Unser US-Geschäft ist eine echte Erfolgsstory für uns: Wir wollten die Marke von 200.000 Fahrzeugen knacken – dieses Zwischenziel haben wir 2015 und damit deutlich früher als geplant erreicht.

Geplant war dieses Volumen eigentlich erst für 2020, oder?
So ist es. Das zeigt, dass unser Geschäft in USA sehr robust ist. Auch unsere Händler und Investoren sind sehr zufrieden. Jetzt gilt es, die Dieselthematik sauber und zügig abzuarbeiten.

Wann wird denn feststehen, was an den 3.0 TDI-Motoren getan werden muss, um die Forderungen der US-Umweltbehörden zu erfüllen?
Wir sind dazu aktuell noch in Gesprächen mit den beiden Umweltschutzbehörden in den USA. Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die einerseits den Umweltgesetzen gerecht wird, andererseits auch kundenfreundlich ist.  

Die Krisenszenarien der deutschen Autobauer

Bei den älteren Fahrzeugen soll angeblich ein neuer Katalysator eingebaut werden. Können sie das bestätigen?
Wie gesagt, wir sind derzeit in Gesprächen mit den Behörden. Erst wenn wir wissen, welche Lösungen von den Behörden freigegeben werden, können wir uns dazu äußern. 

Sorgen musste man sich im vergangenen Sommer um die Entwicklung des chinesischen Automarktes machen. Wie fällt denn heute die Bilanz des vergangenen Jahres aus?
Wir haben in China auch 2015 wieder ein sehr hohes Absatzniveau erreicht. Die Diesel-und CO2-Thematik haben dort keine Rolle gespielt, auch weil die Zulassung dort unter anderen Regularien stattfindet als in Europa.

Dennoch ging der Audi-Absatz dort 2015 phasenweise zweistellig zurück.
Wir haben uns als Marktführer im Premiumsegment bewusst dafür entschieden, 2015 als Konsolidierungsjahr zu fahren. Als sich die Wachstumsdelle im Markt abzeichnete, sind wir unserer Strategie erst recht treu geblieben. Das heißt: Fokus auf Profitabilität und Kundenzufriedenheit.

"Kein Interesse an einem Preiswettbewerb"

In die Rabattschlacht ist Audi nicht eingestiegen?
Ich habe klar gesagt, dass wir nicht Volumen um jeden Preis machen müssen. 2014 hatten wir uns einen Rekord-Vorsprung erarbeitet und lagen deutlicher als je zuvor vor unseren Wettbewerbern. Diese Position der Stärke erlaubt uns, flexibel und unternehmerisch vernünftig mit Marktschwankungen umzugehen. An einem Preiswettbewerb auf Kosten unserer Händler haben wir kein Interesse.   

Haben Sie dadurch Marktanteile eingebüßt? Der November brachte beim Absatz immerhin ein Minus von sechs Prozent.
Das hängt auch an der Messlatte des Vorjahres: Ende 2014 hatten wir die A3 Limousine als zusätzliches lokales Modell nach China gebracht und ein extrem starkes viertes Quartal verbucht. Für das Gesamtjahr, das mit seiner Volatilität im Markt sicher ein besonderes war, fiel das Minus mit etwa 1 Prozent deutlich niedriger aus.

Wird 2016 erneut ein „besonderes Jahr“, das sie mit angezogener Bremse angehen?
Nein, der chinesische Markt hat sich Ende 2015 deutlich stabilisiert und seine Schwächephase überwunden. Wir bei Audi sind wieder bei einem Absatz von rund 50.000 Fahrzeugen im Monat – und damit wieder auf Zielflughöhe.

Sind die goldenen Zeiten in China für die deutschen Anbieter von Premiumfahrzeugen vorbei?
Die Platinzeiten mit hoch zweistelligen Wachstumsraten sind vorbei. Bei einem Gesamtmarkt von 19 Millionen Autos sind Zuwächse um 30 oder 40 Prozent nicht mehr realistisch. Aber golden sind die Perspektiven noch immer, auch bei einstelligem Marktwachstum. China ist ein sehr solider Wachstumsmarkt – mit jeder Menge Potenzial für die Marke Audi.

Obwohl die Umweltbelastungen durch den Verkehr in China steigen und in den Großstädten wegen der Smoggefahr Fahrverbote erlassen werden?
Ich habe selbst sieben Jahre in Peking gelebt und begrüße es, dass sich die chinesische Regierung verstärkt Umweltfragen widmet. Es wird darauf ankommen, dies ganzheitlich über alle Industriezweige voranzutreiben. Im Automobilmarkt forciert das die Nachfrage nach fortschrittlichen Effizienztechnologien und alternativen Antrieben.  

Die lange Liste der Offenbarung
VW Passat US-Version, Modelljahrgang 2016 Quelle: PR
Betroffen: Seat Ibiza (falsche Werte bei CO2-Zertifizierung angegeben) Quelle: PR
Auch bei den Benzinern gibt es Probleme, und zwar mit dem CO2 Quelle: PR
Betroffen? Skoda-Modelle online prüfen. Quelle: PR
Skoda Yeti Quelle: PR
Weltweit sind bei Skoda rund 1,2 Millionen Fahrzeuge von der Abgas-Thematik betroffen. Quelle: PR
Skoda Octavia Quelle: PR

Wird die Dieselaffäre die Energiewende in der Autoindustrie hin zum Elektroantrieb beschleunigen?
Die Bedingungen in den Märkten sind weltweit sehr unterschiedlich. In Europa haben wir einen Dieselanteil von heute bis zu 80 Prozent.

Da könnte er ja unter dem Eindruck der Diskussion um die Emissionen ja sinken.
Das glaube ich nicht. Die Stärken des Diesel liegen auf der Hand: niedriger Kraftstoffverbrauch, günstige Betriebskosten und enorme Durchzugskraft. In den USA ist der Diesel traditionell weniger populär. Aber die Dieselfahrer, die ich dort gesprochen habe, sind überzeugte Verfechter der Technologie und wollen nicht darauf verzichten. Also: Die Zeit des Dieselmotors ist nicht vorbei, zumal er sich – ebenso wie der Elektroantrieb - noch weiter entwickeln wird.

Schauen wir noch einmal auf die Marktentwicklung. In Deutschland hat Audi im Wettbewerb mit Mercedes und BMW 2015 deutlich an Boden verloren. Haben Sie deshalb die Verkaufsförderung intensiviert?
Audi ist in Deutschland Marktführer unter den Premiumherstellern im Pkw-Segment. Die Frage stellt sich also nicht.

Der Vorstandschef einer Leasinggesellschaft sagte mir, Audi fördere massiv den Absatz einiger Modelle. Den A6 beispielsweise könne er deshalb aktuell schon für eine Leasingrate von 299 Euro im Monat anbieten.
Das Angebot und die Kalkulation dahinter kenne ich nicht. Für uns steht fest, dass wir bei unserer Strategie der langfristigen Preisstabilität bleiben. Auch unsere Händler in Deutschland müssen als selbständige Unternehmer kaufmännisch wirtschaften. Ihre Profitabilität hat sich 2015 sehr erfreulich entwickelt. Das funktioniert nur mit einem gesunden Geschäft, zu dem auch Instrumente wie die Fünf-Jahres-Garantie für Gebrauchtwagen zählen. Im Fall der Fahrzeuge, die von der Dieselthematik betroffen sind, war das ein ganz entscheidender Faktor.

Inwiefern?
Um Verunsicherung im Markt zu vermeiden, haben wir betroffene Gebrauchtwagen kostenlos mit der Fünf-Jahres-Garantie ausgestattet. Das wirkt sich natürlich positiv auf die Restwerte in Deutschland aus – sie sind nach heutigem Stand stabil und nicht durch die Abgasthematik beeinträchtigt. Das ist ein superwichtiges Signal.

"Stellen Projekte regelmäßig auf den Prüfstand"

Im VW-Konzern ist ein Sparprogramm angelaufen, das Gelder freischaufeln soll für die Rückrufaktionen und Strafzahlungen. Wo setzen Sie den Rotstift an?
Wir haben bei Audi schon seit einigen Jahren ein eigenes Fitnessprogramm. In diesem Rahmen stellen wir unsere Projekte regelmäßig auf den Prüfstand. Fakt ist aber auch, dass wir alle Verträge mit Sponsoringpartnern vollständig erfüllen.

Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa

Audi sponsert Fußballvereine, ist im Ski- und Segelsport aktiv – es gibt kaum eine sportliche Großveranstaltung ohne die vier Ringe.
Wir sind eine sportliche Marke und auch unsere Kunden sind an Sport interessiert. Deshalb sind wir in dieser Welt sehr gut aufgehoben.  

Aber als neuer Marketingvorstand könnten Sie neue Akzente setzen.
Wir haben in unserer Strategie einen klaren Fokus auf bestimmte Sportarten, allen voran Fußball und Skisport. Diese Ausrichtung werden wir beibehalten.

Sie halten also Kurs…
Klar, es ist ein sehr erfolgreicher Kurs und die Koordinaten sind richtig gesetzt.  

…ohne eigene Akzente zu setzen?
Das sicherlich nicht. Ich habe viele Ideen mitgebracht, will mir aber erst ein genaues Bild machen. Heute bin ich noch keine 100 Tage in meiner neuen Funktion. Geben Sie mir noch etwas Zeit.

Haben Sie denn vielleicht schon eine Strategie für den Online-Vertrieb? BMW will in Großbritannien Neuwagen künftig auch über das Internet verkaufen.
Die Digitalisierung ist der Megatrend für die nächsten Jahre, ganz sicher auch im Vertrieb. Audi wird bis zum Jahr 2020 sein Produktportfolio auf 60 Modelle erweitern. Es gibt heute in Deutschland kein Autohaus, in dem wir unserem Kunden die komplette Audi-Palette zeigen können. Auch deshalb ist Audi Vorreiter, wenn es darum geht, digitale Technologien für den Händler zu entwickeln. Wir haben heute schon so genannte Customer Privat Lounges, eine Art Suite mit riesigem Bildschirm, an dem der Kunde zusammen mit dem Berater seinen Audi konfigurieren kann. Im nächsten Schritt wird das auch über eine Virtual Reality-Brille möglich sein. Dann passt unser gesamtes Angebotsprogramm in eine Aktentasche.

"Händler ist der zentrale Kontakt zum Kunden"

Bei Tesla und bei BMW lässt sich der Autokauf komplett über das Internet abwickeln. Haben die mehr Mut?
Es gibt heute viele verschiedene Spielarten, die die Verbindung von online und offline unterschiedlich justieren. Wir setzen bewusst beim Händler an und stellen ihn digital auf. Das ist für uns die Basis, der Händler ist der zentrale Kontakt des Kunden zur Marke. Ein persönliches Gespräch mit einem Profi ist elementar wenn es um eine so wichtige Investition wie ein Premiumauto geht.

Viva la Evolution!
Audi A4 Quelle: Audi
Audi A4 Quelle: Audi
Audi A4 Quelle: Audi
Audi A4 Quelle: Audi
Audi A4 Quelle: Audi
Audi A4 Quelle: Audi
Audi A4 Quelle: Audi

Einen direkt-Vertrieb über das Internet schließen Sie also auch für die Zukunft aus?
Wir bleiben bei unserer Prämisse und integrieren die Audi-Händler in unsere Aktivitäten. Das gilt für digitale Lösungen genauso wie für unsere Mobilitätsdienste.

Welche Mobilitätsdienste meinen Sie?
Zum Beispiel unser Audi@home-Service.

Ganz ehrlich: Den kenne ich nicht.
Das ist ein Mobilitäts-Konzept, das wir in den USA erproben: Bewohner einer Wohnanlage können hier je nach Bedarf und Laune aus einer Fahrzeugflotte das passende Audi-Modell auswählen.

Da klingt nach einer sehr elitären Lösung. An ein Free Floating-System nach dem Muster von Car2Go oder Drive Now denken Sie nicht?
Wir sehen das nicht als den richtigen Ansatz für Audi. Für viele unserer Premium-Kunden ist das kein attraktives Konzept. Wenn ich aus dem Flieger komme, bin ich froh, in mein eigenes Auto zu steigen und meine kleine private Welt vorzufinden. Diese Welt möchte ich vielleicht mit Menschen, die ich kenne, teilen. Mit Freunden und Nachbarn, aber nicht mit jedem x-beliebigen. Wir konzentrieren uns deshalb auf Projekte, die diesem Gedanken folgen. Das Auto ist für viele Menschen immer noch so etwas wie die eigene Wohnung – da lässt man nicht jeden rein.   

Sharing Economy gilt schon als Megatrend.
Absolut, aber in sehr unterschiedlichen Ausprägungen je nach Marktsegment. Premium-Kunden teilen aus ganz anderen Motiven als anderswo: nicht aus Kostengründen oder weil man von A nach B kommen muss - sondern aus Spaß am gemeinsamen Erlebnis, an entsprechender Qualität und höchstem Komfort. Für diese Ansprüche entwickeln wir unsere Dienste. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass auch Megatrends nicht für alle Kunden gelten. Sehr viele Menschen verbinden auch weiterhin maximale Flexibilität mit dem eigenen Auto. Genauso wie es trotz des Erfolgs von AirBnB auch in Zukunft Hotels geben wird.

Fahrzeugproduktion und -absatz in China seit 2008

Wann werden wir die neuen Mobilitätskonzepte von Audi auch in Deutschland erleben und nutzen können?
Wir gehen den Roll-out sukzessive an. Aber wir glauben nicht, dass unsere Konzepte auf alle Länder und Städte gleichermaßen übertragbar sind. Dazu sind die Mobilitätsgewohnheiten und lokalen Bedingungen bereits in Europa viel zu unterschiedlich. In Stockholm zum Beispiel funktioniert Audi unite für innovative Fans unserer Marke sehr gut: Hier teilen sich Communities aus Freunden oder Kollegen etwa einen R8, um dieses Auto zu genießen. Für deutsche Kunden bieten ausgewählte Audi-Händler derzeit die Dienste Audi select und Audi shared fleet an. Hier werden wir 2016 die nächsten Schritte machen. 

Neue Besen kehren gut, drücken ihrem Bereich gerne auch den Stempel auf. Wird der neue Marketingchef sich auch einen neuen Markenclaim für Audi ausdenken?
Ganz sicher nicht: Vorsprung durch Technik bleibt. Er ist einer der stärksten Claims der Welt. Darüber muss ich ganz sicher nicht nachdenken.

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