Eine Stärke der deutschen Autoindustrie ist bislang ihr herausragendes Netz an Zulieferern und Partnern. Passen die Unternehmen dieses Netz schnell genug an die neuen Herausforderungen an?
Keese: Ja. In den Entwicklungsabteilungen sitzt bereits viel Knowhow, das gezielt mit Zukäufen gestärkt wird – teilweise wegen des Technologietransfers, teilweise einfach wegen der Kapazität. Beim reinen Venture Capital bin ich skeptisch: Echte Innovationen aus Start-ups gab es nur in überschaubarer Anzahl, der Großteil stammt nach wie vor von mittleren und großen Unternehmen. Auch wenn man die Investitionen der Zulieferer in Zukunftsthemen wie dem autonomen Fahren, Connectivity und Infotainment sieht, wird mir um die deutsche Autoindustrie nicht angst und bange.
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
Wer hat in den bestehenden und entstehenden Kooperationen und Ökosystemen die besseren Karten?
Keese: Die deutschen Premiumhersteller sind hervorragend positioniert, wenn sie ihre Produkte gegen neue Mobilitätsdienste verteidigen müssen. Viele Menschen haben in der Familie zwei oder drei Autos. In Ballungsräumen brauche ich in Zukunft vielleicht nur noch ein Familienauto, der Rest wird mit On-Demand-Mobilität abgedeckt. Dann kann ich mir statt zwei Mittelklasse-Autos vielleicht ein teureres leisten. Auf der anderen Seite kann ist es möglich, dass heutige Volumenhersteller künftig in eine Art Auftragsfertigung für Mobilitätsdienste aufgehen. Dort wird die Spezifikation der Autos weniger vom Hersteller, sondern vom Mobilitätsanbieter vorgegeben.
Was meinen Sie mit „Spezifikation der Autos“? Werden diese sich von den heutigen unterscheiden?
Keese: Ja, die Anforderungen an ein Auto in Privatbesitz und ein On-Demand-Gefährt sind anders. Das eigene Auto steht den Großteil des Tages ungenutzt auf dem Parkplatz, während das Auto eines Mobilitätsdiensts möglichst die ganze Zeit im Einsatz ist. Deshalb braucht es andere Materialien im Innenraum, die haltbarer sind – eher wie in der Bahn oder im Flugzeug. Oder andere Funktionen für die Vielzahl der unterschiedlichen Nutzer, die es fahren werden. Das ist technologisch hoch anspruchsvoll, das sind keinesfalls Low-Tech-Fahrzeuge. Alleine schon deshalb, weil sich auch die Mobilitätsanbieter untereinander differenzieren müssen.
Das heißt aber auch, dass die Mobilitätsanbieter, die heute größtenteils defizitär arbeiten, kräftig investieren müssen.
Keese: Lassen Sie es mich mit Amazon vergleichen: Amazon könnte schon seit Jahren profitabel sein, würden sie nicht so viel investieren. Auch die Mobilitätsanbieter investieren in ihre Zukunft: Heute entfällt der größte Posten in ihren Ausgaben auf die Subventionen für die Fahrer. Werden sie den Fahrer mit autonomen Fahrzeugen los, entfällt der größte Kostenpunkt. Aber die Mobilität funktioniert heute nach dem „Winner takes it all“-Prinzip: Es wird am Ende zwei oder drei große Mobilitätsanbieter geben. Wenn sie heute nicht in Marketing und neue Geschäftsfelder investieren – und dabei Verluste in Kauf nehmen – haben sie langfristig keine Chance, vorne mitzuspielen.