Auto Union Audis schreckliche NS-Verantwortung

Im Zweiten Weltkrieg beschäftigte Audi mehrere tausend Zwangsarbeiter. In der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg stellt sich die Konzernspitze erstmals öffentlich der NS-Vergangenheit des Autokonzerns.

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Logo von Auto Union Quelle: dpa

Was zieht man an bei der Gedenkveranstaltung zur 70-jährigen Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg? Die zehnköpfige Audi-Delegation um Vorstand Ulrich Hackenberg und Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch hat sich auf schwarzen Anzug und möglichst dunkle Krawatte verständigt. So sitzen die Herren beim Festakt am letzten Aprilsonntag in Stuhlreihe sechs rechts des Ganges wie bei einer Beerdigung.

„Erstmals“, sagt Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, in seiner Rede, setzten Vertreter des Audi-Vorstands „damit ein klares Zeichen, dass sie sich der schrecklichen Verantwortung ihrer Vorgängerunternehmen im Kontext des KZ-Komplexes Flossenbürg bewusst sind“.

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Gründerväter aus der Nazizeit

Hackenberg, der Technik-Vorstand in Ingolstadt ist und im Volkswagen-Konzern markenübergreifend die technische Entwicklung steuert, ist also nicht nur als Person da, sondern als Symbol. Gewohnt ist er andere Termine. Den letzten Test des neuen Geländewagen-Schlachtschiffs Q7 in der Wüste Namibias etwa hat er persönlich geleitet. Anfang April war das.

Wie deutsche Unternehmen mit ihrer NS-Zeit umgehen
Daimler-Plakat Quelle: Todor Bozhinov Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Adolf Hitler besichtigt einen VW Käfer Quelle: dpa/dpaweb
Deutsche Bank Quelle: dpa
Konzentrationslager in Auschwitz Quelle: dpa/dpaweb
Flugzeug der Lufthansa Quelle: dpa
Krupp-Zentrale Quelle: dpa
Bertelsmann-Gebäude Quelle: dapd

Jetzt sitzt der weißhaarige Manager in dem schwül-warmen Festzelt in Flossenbürg, weil Audi seine Historie neu entdeckt. Jahrzehntelang berief sich Volkswagens Premiumhersteller auf die legendären Silberpfeil-Rennwagen der Dreißigerjahre und ehrte kritiklos seine Gründerväter aus der Nazizeit. Damals hieß das Unternehmen Auto Union.

Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit

Doch bis 1945 standen die vier Ringe auch für Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit in ihrer schlimmsten Form. Der zweitgrößte Autobauer des Deutschen Reichs stellte in den Kriegsjahren vor allem Waffen her – wie andere Konzerne auch. Den Arbeitskräftebedarf aber deckte Auto Union bedenkenlos mit KZ-Häftlingen – so intensiv wie nur wenige andere Unternehmen.

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Auf die Lücken im Firmengedächtnis wiesen 2010 Recherchen der WirtschaftsWoche hin. Daraufhin gab Audi eine späte Aufarbeitung in Auftrag. Heraus kamen erschreckende Zahlen, die der Audi-eigene Historiker Martin Kukowski und der Chemnitzer Geschichtsprofessor Rudolf Boch auf 500 Seiten in einem 2014 erschienenen Buch addierten. Direkt unterstellt waren Auto Union demnach 3700 KZ-Häftlinge und rund 16.500 weitere Zwangsarbeiter. Die „Initiative zum Produktionseinsatz von KZ-Häftlingen ging“, so schreiben Kukowski und Boch, „vom Vorstand aus“.

Moralische Verantwortung

Für weitere 18.000 KZ-Häftlinge, die unter schlimmsten Bedingungen Bergwerkstollen zu Produktionsstätten für Panzermotoren umbauten, sehen die Historiker Auto Union nicht rechtlich, aber moralisch in der Verantwortung. 4500 der KZ-Zwangsarbeiter starben 1944 und 1945.

Welche Nazi-Wörter uns im Alltag begleiten
SonderbehandlungEine Sonderbehandlung zu erfahren, hat einen positiven Klang, jemandem wird etwas „besonderes“ zuteil, man ist damit selbst etwas „Besonderes“. Mit zahlreichen „Sonder"-Begriffen wollte auch die SS ihren Taten einen verharmlosenden, beschönigenden Schleier geben: Wer bei der SS eine „Sonderbehandlung“ erfuhr, wurde umgebracht. Das Bild zeigt den Reichsführer-SS, Heinrich Himmler. Quelle: AP
Mädel„Mädels!“ Dieser saloppe Ausruf erlebt eine Renaissance: Ob unter jungen Frauencliquen, die feiern gehen, oder den Kandidatinnen von Heidi Klums „Germany’s Next Topmodel“. Der eigentlich antiquierte Begriff Mädel ist wieder üblich geworden – und damit die unter Nazis gängige Bezeichnung für jugendliche und junge Frauen. Der „Bund deutscher Mädel“ war 1944 zahlenmäßig die größte weibliche Jugendorganisation der Welt. Das Wort wurde von den Nazis derart überstrapaziert, dass es 1957 in das „Wörterbuch des Unmenschen“  von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm Süskind aufgenommen wurde. Quelle: Bundesarchiv, Bild 133-237, CC-BY-SA
AnschlussDer Nationalsozialismus wollte sich modern und fortschrittlich geben. Damals der letzte Schrei: Die sich immer weiter verbreitende Elektrotechnik. Aus diesem Bereich bedienten sich die Nazis gerne mit ihren Bezeichnungen – unter anderem „Anschluss“: Etwa für den Anschluss – oder besser gesagt die Übernahme – Österreichs, des Sudetenlands, sowie des restlichen Tschechiens. Auch bei mit dem Begriff „Gleichschaltung“ bedienten sich die Nationalsozialisten an der Elektrotechnik. Damit meinten sie die komplette Anpassung des Staates an die Strukturen der NSDAP, die ab 1933 fortschreitend das politische und gesellschaftliche Leben infiltrierte. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0922-500, CC-BY-SA
MischeheWenn zwei Menschen aus unterschiedlichen Nationen oder Bevölkerungsgruppen heiraten, spricht man noch heute von einer „Mischehe“ – ein Begriff, den die Nationalsozialisten geprägt haben. Quelle: Jens Liebenau, gemeinfrei
EndlösungIn scheinbar endlosen Diskussionen, wünscht sich manch einer endlich zur Endlösung zu kommen. In der Weimarer Republik war „Endlösung“ einer gängiger Begriff – auch unter Nationalsozialisten. Schon 1881 forderte der Antisemit Eugen Dühring die „endgültige Lösung der Judenfrage“. Die Endlösung wurde schließlich zu dem Begriff, den die Nationalsozialisten immer wieder für ihren Völkermord an den Juden beschönigend runterbeteten. Quelle: ap
Gestapo-MethodenWenn von Spionage die Rede ist, von  brutalem Vorgehen und vor allem von willkürlichem Vorgehen seitens der Staatsgewalt, dann spricht man auch heutzutage von Gestapo-Methoden. Damit bezieht man sich auf die Geheime Staatspolizei der Nazis, die sie nur kurz „Gestapo“ genannt haben. Das Bild zeigt das ehemalige Hauptquartier des Geheimdienstes. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-16180, CC-BY-SA
AusmerzenImmer wieder bedienten sich Nationalsozialisten an negativ behafteten Begriffen aus der Biologie. Dabei ging es ihnen vor allem um jene, die sich um „Parasiten“ und „Schädlinge“ drehten, die es „auszumerzen“ und „auszurotten“ galt. Quelle: AP

Links des Gangs im neben der früheren KZ-Wäscherei aufgebauten Festzelt sitzen Hana Drori, 83, Helga Kinsky, 85, und Hana Malka, 92 – nur wenige Meter von Hackenberg entfernt. Sie durchlitten jahrelang die KZ-Hölle. Und sie leisteten ein halbes Jahr unter Schikanen und Todesangst Zwangsarbeit für ein Unternehmen im sächsischen Oederan. Dessen Tarnname Agricola sollte verschleiern, dass die Fabrik zu Auto Union gehörte.

2000 Mark für jahrelanges Leiden

Knapp 500 jüdische Frauen stellten dort ab Oktober 1944 im Drei-Schicht-Betrieb Flakmunition für die Wehrmacht her. Acht Stunden härteste Arbeit im Stehen, danach stundenlange Zählappelle bei Schnee und Regen im Fabrikhof. Oederan war eines von sieben KZ-Außenlagern, die die SS in Sachsen und im heutigen Böhmen für Auto Union eingerichtet hatte. Alle wurden vom KZ Flossenbürg aus geführt.

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Hana Malka, gebürtige Tschechin, schmerzt oft der linke Fuß. Das, so glaubt sie, liegt daran, dass während der Schwerstarbeit an einem ihrer Schuhe der Absatz fehlte. Hana, 20 Jahre alt, trug damals Kleidung von Menschen, die in Auschwitz vergast worden waren. Dort starben Hanas Mutter, ihre Cousine und die Schwestern ihrer Mutter. Auch Hana war in Auschwitz, wurde aber bei zwei Selektionen als arbeitsfähig eingestuft und dann nach Oederan gebracht. Zuvor mussten die jungen Frauen sich schnell von den Kleider- und Schuhbergen der Toten Sachen greifen. So kam Hana zu den kaputten Schuhen. Sechs Monate trug sie die.

Audi will Auszubildende zu Geschichtsstunden nach Flossenbürg schicken

Die freundliche Frau mit offenem Blick und feinem Lächeln lebt heute im israelischen Haifa. Zu einer Begegnung zwischen der greisen Gymnastiklehrerin, die immer noch Kurse gibt, und Audi-Vorstand Hackenberg kommt es bei der Gedenkveranstaltung nicht. Der Manager sagt der WirtschaftsWoche nach einem Rundgang durch die Flossenbürg-Ausstellung, bei der ihm ein Historiker die Bezüge zu Auto Union erklärt hat: „Sehr bedrückend ist das. Es ist wichtig, dass wir junge Menschen mit dieser Realität konfrontieren.“

Audi will nun Auszubildende zu Geschichtsstunden nach Flossenbürg schicken. Damit das nicht die Gedenkstätte bezahlen muss, fordert der Historiker Wolfgang Benz, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Flossenbürg, Audi-Chef Rupert Stadler per Brief auf, für drei Jahre zwei Personalstellen in der Gedenkstätte zu finanzieren. Zudem möchte Audi jetzt mit Zeitzeugen ins Gespräch kommen, sagt Audi-Sprecher Jürgen De Graeve.

Auf Antrag des Betriebsrats hat Audi den Namen von Auto-Union-Chef Richard Bruhn aus der Bezeichnung einer Pensionskasse getilgt: Der hochgeehrte Gründervater war hauptverantwortlich für den Einsatz der KZ-Häftlinge.

Revision der Audi-Geschichte

Dies einzugestehen fällt Audi aber schwer. Im Historien-Teil der deutschen Konzern-Homepage wurde zwar die Glorifizierung Bruhns beseitigt – seine Verstrickung in NS-Regime und KZ-Komplex aber verschwiegen. Auf die Frage, warum das so sei, geht Hackenberg kaum ein. Drei Tage später aber kündigt Sprecher De Graeve an, Audi werde nun in dem Text Bruhns „Verantwortung für die Zwangsarbeit bei der Auto Union“ deutlich machen.

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Auch an anderer Stelle schlingert Audi noch bei der Revision der eigenen Geschichte. Audi-Homepages für Frankreich, Italien und die Schweiz lassen den früheren Wehrwirtschaftsführer und späteren Bundesverdienstkreuzträger Bruhn weiter als „Vater der Auto Union“ hochleben. Sein „honoriger Name“ habe es nach dem Krieg ermöglicht, Auto Union „aus dem Nichts wieder aufzubauen“.

Es gibt auch massiven Widerstand dagegen, Bruhn vom Sockel zu stoßen. Carl Hahn, VW-Chef von 1982 bis 1993, intervenierte persönlich bei der Stadt Ingolstadt, um die Umbenennung der Bruhn-Straße zu verhindern. Der 88-Jährige nahm im November 2014 an einer Sitzung des Ältestenrates der Stadt teil – begleitet von Bruhns ehemaliger Sekretärin. „Unter Tränen“, berichtet ein Stadtrat, „plädierte Herr Hahn für die Beibehaltung des Straßennamens.“ Der Hintergrund: Hahns Vater Carl Hahn senior gehörte dem Auto-Union-Vorstand an und war Bruhn eng verbunden. Trotzdem empfahl der 15-köpfige Ältestenrat dem Kulturausschuss des Stadtrats in den vergangenen Tagen, die Bruhnstraße umzubenennen.

Hana Malka hört aufmerksam zu, als sie erfährt, dass Audi jetzt die Auto-Union-Historie in einem anderen Licht betrachtet. In den Neunzigerjahren habe Audi eine Entschädigungszahlung für ihre Leidenszeit abgelehnt, sagt sie. „Das sei zu lange her, haben die damals geschrieben.“ Schließlich habe die Konzernmutter VW aber eingelenkt und gezahlt: „2000 Mark.“

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