Erstens positioniert sich Gaz heute als Lohnfertiger für ausländische Autokonzerne, die der russische Staat zur Produktion im Land zwingt. Zweitens hat Andersson das einst stolze Werk radikal auf wenige Geschäftsfelder gestutzt, in denen es profitabel arbeiten kann. Dazu zählt der Bau des Kleintransporters der Marke Gazelle, mit dem Gaz in Russland in diesem Segment einen Marktanteil von rund 50 Prozent hält. Hinzu kommen Omnibusse und kleinere Lkws im Niedrigpreissegment, die Gaz mit einem Partner auch in der Türkei produziert und verkauft.
Luxusschlitten der Marken Tschajka (Möwe) und Wolga, die Gaz einst für die Sowjet-Bonzen fertigte, können Besucher bloß noch im Werksmuseum besichtigen. Aus dem Pkw-Geschäft hat sich Gaz komplett verabschiedet. Mit dem Siber, einem dem Wolga nachempfundenen Mittelklasseauto nach den Bauplänen des Chevrolet Aveo, war das letzte eigene Gaz-Modell in die Krise 2008 gerauscht und gefloppt. Kurz darauf kam Andersson und setzte die Hälfte der Belegschaft vor die Tür. Zwei Jahre ließ er keine Journalisten ins Werk, bis Gaz endlich schwarze Zahlen schrieb.
Ein Einsatz
Es gibt Brötchen mit Lachs und gekochtem Schinken, als Andersson von seiner Sanierung erzählt. Der groß gewachsene Schwede mit den angegrauten Schläfen pflegt den trockenen Humor, nichts an ihm wirkt sentimental. Für ihn ist das hier ein Einsatz. Er spricht strukturiert, im Tonfall leise und dennoch irgendwie militärisch.
Andersson ist sich bewusst, dass er sowjetisch-russische Industriegeschichte auslöschte. Von den 480 Fabrikhallen, die der Schwede 2009 vorfand, ließ er ein Drittel abreißen, umbauen oder schließen. Viele Russen fragen sich bis heute, wie er mit dem Massenrauswurf politisch durchkam, ohne dass Putin intervenierte. Immerhin hatte der hemdsärmelige Präsident einmal dem Oligarchen und Gaz-Eigentümer Oleg Deripaska vor laufenden Kameras die Wiedereröffnung eines Zementwerks befohlen, um in der Krise Jobs zu schaffen.
Andersson blieb ganz der Harvard-Betriebswirt. „Wir standen vor der Wahl“, sagt er, „entweder wir entlassen 50.000 Leute und machen mit 50.000 Leuten weiter, oder wir schließen und entlassen alle.“
Prozentual mehr Manager entlassen
Natürlich servierte der Schwede die Hiobsbotschaften der Belegschaft und den Politikern nur häppchenweise; erst im Rückblick wirkt die Restrukturierung so brutal, wie sie war. Einen Teil der Mitarbeiter strich er von der Gehaltsliste, indem er nicht betriebsnotwendige Einrichtungen wie das werkseigene Schwimmbad samt Bademeister der Stadt andiente, Arbeiter pensionierte oder sie beim Umbau alter Hallen in externen Firmen auffing. Gewerkschafter beschwichtigte er, indem er prozentual gesehen mehr Manager als Arbeiter entließ. Von den alten Kadern aus Zeiten der Sowjetunion ist im blau-weißen Verwaltungsgebäude fast keiner mehr übrig, sagt Andersson. „Geblieben sind gute Facharbeiter, die wir ebenso auch in der Lohnfertigung einsetzen können und weiter qualifizieren.“
Ursprünglich hatte der heutige Gaz-Chef eine ganz andere Mission. Er sollte Statthalter von Siegfried Wolf werden. Der österreichische Manager, damals Chef des austro-kanadischen Autozulieferers Magna, kämpfte im Krisensommer 2009 für seinen Plan, den strauchelnden deutschen Autobauer Opel zu retten. Magna, so Wolfs Idee, sollte die Tochter des seinerzeit insolventen US-Autoriesen GM mithilfe der russischen Sberbank kaufen und sie mit Gaz zusammenbringen. Die Partnerschaft sollte Andersson stricken, der Einkaufschef bei GM war und ein alter Bekannter Wolfs.