Autoindustrie Jetzt geht es für den VDA ums Überleben

Herbert Diess auf einer Veranstaltung im Sommer 2019. Quelle: imago images

Deutschlands Autoindustrieverband VDA liegt mit seinem wichtigsten Mitglied, dem Volkswagen-Konzern, im Clinch. Vordergründig geht es um Mitgliedsbeiträge, tatsächlich aber geht es für den VDA um alles. Ein Kommentar.

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Der Streit ist schon bemerkenswert. VDA versus Volkswagen. Deutschlands Autoindustrieverband gegen Deutschlands größten Autokonzern. Der VDA will die Beiträge für seine Mitglieder vervielfachen, Volkswagen will nicht mitziehen. VW geht es hier aber nicht ums Geld, sondern ums Prinzip: VW-Chef Herbert Diess mag nicht erkennen, warum er einem Verband, der aus VW-Sicht nutzlos und mitunter sogar geschäftsschädigend agiert, auch noch Geld hinterherwerfen soll. 

Denn während Volkswagen endlich eine Autoindustrie sehen will, die im Gleichschritt den Verbrenner hinter sich lässt, geschlossen auf das E-Auto zumarschiert und harte Klimaschutzschutzvorgaben als Chance und nicht als Bedrohung sieht, gibt der VDA den obersten Verbrenner-Retter. Der Verband kämpft mit Verve für E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, mit denen sich Verbrenner theoretisch klimafreundlich betreiben lassen, und schürt weiter Hoffnungen auf Wasserstoff-Autos, die irgendwann die viel bessere Lösung sein sollen als der batterieelektrische Antrieb. „Technologieoffenheit“ nennt der Verband diese Autoweltsicht. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer nennt es „den Versuch, die Vergangenheit zu konservieren.“

Die VDA-Message ist aus VW-Sicht extrem geschäftsschädigend, denn den Autofahrern sagt sie: Lieber kein E-Auto kaufen, sondern auf eine bessere Zukunft warten. Der Politik sagt sie: Vorsicht bei der Förderung von E-Autos, sie sind auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Und die nicht ganz kleine Verbrenner-Fraktion im VW-Konzern fühlt sich bestätigt: Der Elektrotrend, so hoffen sie, könnte an ihnen vorübergehen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie Diess, der das Schicksal des ganzen Konzerns an den batterieelektrischen Antrieb gekettet hat, es findet, dass der eigene Branchenverband derart seinen Kurs torpediert.

Stellt sich die Frage, für wen der VDA mit seiner „Technologieoffenheit“ heute eigentlich noch kämpft. VW, Audi, Porsche und Daimler sind nicht mehr offen in dieser Frage, sondern haben sich klar auf das E-Auto fokussiert. So wie praktisch jeder andere große Autobauer in dieser Welt. Selbst BMW, wo noch mit der Technologieoffenheit geliebäugelt wird, dominiert das Batterie-Auto inzwischen klar die Zukunftsstrategie. Es sind nur die Autozulieferer, die von ihrem Verband erwarten, dass er den Elektrotrend ausbremst und Hintertürchen für Verbrenner baut. Wer Diesel- und Benzin-Motoren, Getriebe und Abgasanlagen herstellen, ist vom E-Auto bedroht – nicht die Autobauer, denen es egal sein kann, wie ihre Autos angetrieben werden. 

Was also will der VDA sein? Der Verband der Autoindustrie, der Autohersteller oder der Zulieferer? Die Lobbyisten um Präsidentin Hildegard Müller sitzen zwischen allen Stühlen. Ausgerechnet in dieser Situation wird das Geld knapp, weil die bisherige Haupteinnahmequelle, die Automesse IAA, nicht mehr so recht sprudeln will. Schon die letzte Messe 2019 zeigte Auflösungserscheinungen. Die nächste – geplant für September im München – ist unter den Verbandsmitgliedern umstritten, wird nochmals weniger Aussteller haben und aller Voraussicht noch geringere Erlöse erzielen. Deshalb sollen nun die Mitgliedsbeiträge steigen. Das ist für Diess eine willkommene Möglichkeit, auch öffentlich zu demonstrieren, wo der Hammer hängt: Der Verband hat nur so viel Geld und Einfluss, wie ihm die Mitglieder zugestehen.

„Wir müssen uns fokussieren. Technologieoffenheit ist jetzt die falsche Parole.“ Das sagte Herbert Diess 2018. Seither ist viel passiert. Gerichturteile gegen die Bundesregierung und gegen Shell haben gezeigt, dass Unternehmen einen soliden und schnellen Weg zur Klimaneutralität brauchen, sonst werden sie Opfer des globalen Klimaschutzkurses. Das geht nur mit E-Autos und nicht mit nebulösen und wenig aussichtsreichen E-Fuels- und Wasserstoff-Ideen. 

von Martin Seiwert, Benedikt Becker

Vor allem aber hat sich inzwischen gezeigt: E-Autos sind, obwohl technisch noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung, schon jetzt die besseren Autos. Einmal im Jahr veröffentlicht der ADAC seine Bestenliste, also die Autos, die im ADAC Autotest am besten abgeschnitten haben. Bei dem Test werden die Fahrzeuge auf Herz und Nieren untersucht: Zwei Wochen lang beschäftigen sich die Testingenieure mit jedem Fahrzeug, mehr als 300 Punkte werden untersucht, von der Technik und Sicherheit über die Handhabung bis zu den Kosten. 95 Modelle wurden 2020 untersucht, darunter Klassiker wie der Golf (Diesel), BMW 3er (Diesel) und die Mercedes C-Klasse (Benzin). Wissen Sie, wer die Bestenliste anführt? Nicht diese Klassiker. Es sind der Audi e-tron und der Porsche Taycan. Zwei Elektroautos aus Deutschland. Wer das beste Auto am Markt kaufen will, kauft ein E-Auto. Nicht irgendwann, wenn die oft erwähnte Transformation der Autoindustrie rum ist, sondern heute. 

Die Würfel sind gefallen. Die Autobauer können Elektro und sie können damit so klimafreundlich werden, dass sie den Klimaschutz endlich nicht mehr fürchten müssen. Deutschlands Autoindustrie brauche keine Technologieoffenheit, sondern Technologieklarheit, sagt Diess. Wer ihn kennt, weiß: Er wird diese Klarheit auch von seinem Verband einfordern. Das Ergebnis dürfte, angesichts der realen Machtverhältnisse, ein VDA auf VW-Kurs sein. Oder eben ein VDA ohne sein wichtigstes Mitglied, den dann keiner mehr wirklich ernst nimmt.

Mehr zum Thema: Der Verband der Automobilindustrie (VDA) steht vor einer Zerreißprobe: Tesla wird als neuer deutscher Autoproduzent interne Grabenkämpfe um das E-Auto verschärfen. Der politische Einfluss der Lobbyisten bröckelt.

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