Nirgendwo prallen Zukunft und Vergangenheit der Autobranche derart aufeinander wie in diesem Januar in den USA. Auf der Automesse in Detroit zählt noch die Größe: Große Pick-ups, große SUV, große Motoren. Wenn Ford noch die Neuauflage des Bestsellers F-150, einem Fünf-Meter-Pick-up vorstellt, schaut ganz Amerika hin.
Doch die reine Leistungsschau zieht nicht mehr. Wichtige Player wie Fiat-Chrysler oder Porsche bleiben dem Treiben in Detroit fern. Die Auto-Industrie ist im Umbruch. Das für viele Autobauer wichtigere Event ging kurz vor der Detroiter Messe zu Ende: die Technikmesse CES.
In der Wüste Nevadas standen Elektro- und Roboterautos im Mittelpunkt. Mal als futuristische Zukunftsvision wie bei Toyotas Concept-i, mal als seriennaher Prototyp wie bei BMW oder Fiat-Chrysler und der Alphabet-Tochter Waymo. „Die Zukunft gehört nicht mehr einzelnen Modellen oder deren Ausstattung, sondern der vernetzten, intelligenten Mobilität“, sagt Axel Schmidt, Geschäftsführer im Automotive-Bereich der Unternehmensberatung Accenture. „Das haben die Hersteller inzwischen verstanden – und orientieren sich entsprechend um.“
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
Die neuen Mobilitätskonzepte der Hersteller sind jedoch auf eine Vielzahl von Daten angewiesen: für hochpräzise Karten mit unzähligen Zusatz-Informationen für selbstfahrende Autos, für die Vernetzung des Fahrers mit seinem Smartphone und dem Auto oder für die Auto-Assistenzsysteme.
Das alles macht neue Software notwendig – bis hin zur künstlichen Intelligenz. Die Herausforderung: „Nur drei oder vier Autokonzerne haben die Fähigkeiten und Kapazitäten, das selbst zu machen“, sagt Stephan Keese, Auto-Experte bei Roland Berger, im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Das lohnt sich aber auch nur, wenn die Funktionen markendifferenzierend sind – sprich sie sich mit der eignen Lösung vom Wettbewerb abheben können.“
Im Klartext: Die Konzerne haben Hilfe nötig. Waren vor zwei oder drei Jahren die Rollen zwischen den Autobauern und den IT-Konzernen noch nicht klar, stellt sich jetzt deutlich heraus, dass es wohl ein Mit- statt ein Gegeneinander geben wird. In den vergangenen Wochen wurden mehr und mehr Kooperationen zwischen Technologie- und Auto-Giganten geschlossen.
Die wichtigsten Partnerschaften - und was dahintersteckt:
Fiat-Chrysler und Google: Die Win-Win-Situation
Google war lange Zeit der Grund, warum sich die Bosse etablierter Autobauer vor den IT-Konzernen fürchteten: Mit seinen selbstfahrenden Prototypen hätte Google die Autokonzerne schlichtweg ersetzen oder zu Auftragsfertigern degradieren können. Doch laut Berichten aus dem Dezember hat sich Google von den Plänen für ein eigenes Auto inzwischen verabschiedet.
Stattdessen setzt Waymo, wie die Auto-Sparte des Google-Konzerns Alphabet heißt, auf Kooperationen mit etablierten Herstellern. Die Partnerschaft mit FiatChrysler wurde bereits im vergangenen Mai verkündet, doch in diesen Tagen gibt es zwei wichtige Neuigkeiten.
Zunächst stellte der Autobauer auf der CES die Konzeptstudie Chrysler Portal, das Branchenkenner schnell „das echte Google-Auto“ nannten. Im Gegensatz zu den Google-Cars hat der Portal noch Pedale und ein Lenkrad. Er macht aber dennoch vieles anders als ein „klassisches“ Auto.
Punkten soll der Wagen unter anderem mit einem frei gestaltbaren Innenraum mit verschiebbaren und herausnehmbaren Sitzen, Anschlüssen für acht Notebooks und Tablets. Zusammen mit der Selbstfahr-Technologie von Waymo sollen die Insassen Zeit haben, bei Bedarf auch weitere Google-Dienste zu nutzen.
Ab Ende des Monats sollen 100 Testfahrzeuge auf Basis des Chrysler Pacifica autonom in den USA unterwegs sein, wie die Unternehmen auf der Detroiter Messe jetzt ankündigten.
Dabei verfolgt Google aber eine grundlegend andere Strategie als viele Autobauer, wie Waymo-Chef John Krafcik der „Financial Times“ sagte. Während deutsche Autobauer ihre Fahrzeuge auch mit der Infrastruktur, etwa intelligenten Ampelanlagen, vernetzen wollen, sind die Google-Autos größtenteils ohne Internetverbindung unterwegs. „Unsere Wagen kommunizieren mit der Außenwelt nur, wenn es nötig ist, so dass es keine permanente Verbindung ins Auto gibt, die gehackt werden kann“, so Krafcik.
Fazit: Google muss nicht in das kostenintensive Auto-Hardware-Geschäft einsteigen, Fiat-Chrysler bekommt Zugang zu Technologien, die der sonst recht innovationsschwache Konzern kaum selbst entwickelt hätte – im Grunde eine Win-win-Situation. Ob einer der beiden Partner künftig stärker von der Kooperation profitieren kann, wird sich zeigen.
VW und Nvidia: Künstliche Intelligenz im Auto
Nvidia hat sich in der Computer- und Gaming-Branche einen Namen gemacht. Die Chipsätze der Kalifornier sind besonders für aufwändige High-End-Spiele geeignet, die sich durch hochauflösende und realistische Grafiken sowie durch künstliche Intelligenz auszeichnen.
Ähnlich sind die Anforderungen in der Autobranche, nur teilweise umgekehrt: Hier müssen nicht aufwändige Grafiken möglichst realitätsgetreu berechnet, sondern die Realität möglichst genau analysiert und abgebildet werden. So kann die Software das Auto samt Umfeld überwachen und die unterschiedlichen Situationen im Straßenverkehr einschätzen. Für diesen Zweck hat Nvidia einen speziellen Computer für den Einsatz im Auto entwickelt, der kurz vor der CES mit dem „CES Innovation Award“ ausgezeichnet wurde.
Bis 2020 wollen Audi und Nvidia das Fahrzeug auf die Straße bringen, wie Nvidia-Chef Jen-Hsun Huang auf der CES ankündigte. Der selbstlernende Computer soll dann für das autonome Fahren sorgen, aber auch im passiven Modus den Fahrer unterstützen. Während der Mensch lenkt, tritt die Software als eine Art Co-Pilot auf und warnt vor potenziellen Gefahren im Verkehr - wenn zum Beispiel ein Radfahrer auf der Fahrbahn schlecht sichtbar ist oder sich ein anderes Fahrzeug im toten Winkel befindet.
Es ist nicht das erste gemeinsame Projekt von Audi und Nvidia: Die Rechner des „Modularen Infotainment-Baukastens“ – sprich dem Audi Multimedia Interface MMI – basieren auf Nvidia-Chips.
Die Audi-Mutter VW hat ebenfalls ein gemeinsames Projekt mit dem Chip-Spezialisten angekündigt. Dabei geht es aber nicht um selbstfahrende Autos, sondern ein selbstlernendes Cockpit. Der Assistent soll das Verhalten des Nutzers erlernen und so dessen Bedürfnisse erkennen können. Für VW-Digitalchef Johann Jungwirth ist es „nicht weniger als das beste Nutzererlebnis der Welt“.
Fazit: Nvidia hat sich innerhalb weniger Jahre aus der Gaming-Industrie zum Big Player in der Autobranche entwickelt. In einigen Anwendungen sind die Kalifornier aktuell sicher führend. In der sich schnell wandelnden digitalen Welt muss ein solcher Vorsprung immer wieder neu erarbeitet werden – doch die Gaming-Industrie hat früh gelernt, schnell auf Trends zu reagieren. Für einen Konzern wie Volkswagen ist die Partnerschaft mit einem so innovativen Unternehmen viel wert.
BMW, Intel und Mobileye: Die Schlagkräftigen
Mobileye ist kein weltbekannter IT-Konzern, gemessen am Knowhow sind die Israelis beim autonomen Fahren aber ein ganz Großer. Die Kameratechnik von Mobileye kommt bei zahlreichen Autokonzernen zum Einsatz, etwa auch bei Assistenzsystemen Daimler und Volkswagen.
Davor werden BMW und Intel mehrere Testflotten aufbauen, um mehr Daten zu sammeln. Bereits im Dezember wurde verkündet, dass 2017 autonome Testwagen durch München fahren sollen. Auf der CES gab das Trio bekannt, dass die Erprobung auch in weiteren europäischen Städten und auch den USA stattfinden soll. Ein oder zwei Fahrzeuge sollen wohl auch in Jerusalem getestet werden. „Der heilige Gral des vollautonomen Fahrens ist nicht einfach zu erreichen“, sagte BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich. Die drei Partner seien nach einem halben Jahr Zusammenarbeit auf einem guten Weg.
Fazit: Mobileye gehört zu den begehrtesten Unternehmen in der Autobranche – mit der Partnerschaft könnte sich BMW einen Vorsprung vor der Konkurrenz gesichert haben. Intel ist mit den nötigen Computern und der Datenauswertung gut vertraut. Wenn die Allianz hält, kann das eine schlagkräftige Kombination werden. Allerdings haben auch andere Autobauer ein Interesse an den Produkten von Mobileye.
BMW und Google: Ideen für den Handel
Tango nutzt die Kameras und Sensoren des Smartphones, um realitätsgetreue Bilder live in das Kamerabild einbauen zu können – frei nach dem Grundprinzip von Pokémon Go. In dem Pilotprojekt mit BMW können sich die Kunden einen i3 oder i8 auf dem Smartphone anschauen – in virtueller Originalgröße.
Die Highlights der CES 2017
Samsung erneuert seine Smartphone-Mittelklasse. Im Gegensatz zu den Top-Modellen der S-Reihe gibt es bei den A-Modellen leichte Abstriche beim Chip, Display und Kamera. Für die meisten Nutzer reicht das aber dennoch völlig aus. Verkaufsstart ist im Februar.
Ebenfalls auf die Mittelklasse zielt das HTC X10. Der Nachfolger des X9 dürfte vor allem mit einem kolportierten Preis von 290 Dollar punkten.
Asus erneuert sein Chomebook – das sind Netbooks auf Basis des Google-Betriebssystems chromeOS. Viel ist noch nicht bekannt, spekuliert wird über ein 12,5-Zoll-HD-Display und (ähnlich der Macbooks) nur noch USB-C-Anschlüsse.
Beyerdynamic verspricht neue In-Ear-Kopfhörer der Spitzenklasse. Allerdings wohl auch zu einem Spitzenpreis von rund 1000 Dollar.
Auf der CES geht es nicht nur um autonome Autos und Smartphones. Samsung zeigt eine gewöhnungsbedürftige Kombination aus Waschmaschine und Wäschetrockner, bei der zwei Programme gleichzeitig laufen können. Soll Zeit und Energie sparen.
GoXtreme zeigt mit der Sphere WVR20 eine 4K-fähige Virtual-Reality-Kamera. Und dem Vernehmen nach auch eine VR-Brille.
LG treibt das Prinzip der drahtlosen Lautsprecher auf die Spitze: Der PJ9 schwebt dank starker Magnete einige Zentimeter über der Basisstation frei im Raum. Damit ist er sicher ein Hingucker auf der CES. Aber auch ein Klangwunder?
Virtual Reality ist einer der Trends auf der CES. Neben der Oculus Rift gehört die HTC Vive zu den verbreitetsten VR-Brillen. Gerüchten zufolge steht auf der CES die Premiere der zweiten Generation an, die ohne Kabel auskommen soll.
Blackberry hat angekündigt, keine eigenen Smartphones mehr herstellen zu wollen. Das letzte "echte" Blackberry-Gerät könnte auf der CES vorgestellt werden.
„Wenn etwa das gewünschte Produkt gerade nicht vor Ort verfügbar ist, verhilft Visualisierung zum nächst besten Erlebnis“, sagt Andrea Castronovo, Leiter Vertriebsstrategie, Innovationen Vertrieb, Future Retail bei BMW.
Der Kunde kann mit dem Smartphone in der Hand etwa die Türen oder den Kofferraum öffnen und sogar ins Fahrzeug einsteigen, um einen genaueren Blick auf den Innenraum zu werfen. Eric Johnsen, Head of Business Development for Augmented Reality bei Google, sagt: „Was Tango so besonders macht, ist die Tatsache, dass es den Kontext des Raums versteht, in dem es sich befindet. Das heißt beispielsweise, dass sich die Räder des Fahrzeugs wirklich auf dem Boden befinden. Das vermittelt ein deutlich realistischeres Erlebnis.“
Audi arbeitet ebenfalls an einem virtuellen Showroom, allerdings nicht mit Smartphones, sondern mit Virtual-Reality-Brillen. Nicht jeder Händler könne jedes Modell im Schauraum ausstellen, so Audi. Mit der VR-Software könne der Kunde sein Wunschfahrzeug zusammenstellen und direkt im virtuellen Raum betrachten.
Autohändler werden „einer der langfristigen und profitablen Anwendungsfälle“ Augmented Reality sein, sagt Analyst Chris Chute von der Beratergesellschaft IDC. Er schätzt den Markt für die Technologie als stark wachsend ein, von einem Volumen von 5,2 Milliarden Dollar im Jahr 2015 zu 162 Milliarden Dollar im Jahr 2020.
Fazit: Der Autohandel muss sich immer mehr einfallen lassen, um die Kunden zu locken. Gerade in Innenstadt-Lagen ist der Platz für Ausstellungsfahrzeuge knapp. Im Vertrieb sind Virtual- oder Augmented-Reality-Anwendungen sicher interessant. Eine echte Technologieführerschaft ist aber nicht in Sicht.
Zulieferer: Technologie für die Massen
In die sich anbahnenden Partnerschaften zwischen den Autobauern und den IT-Konzernen schalten sich auch die etablierten Auto-Zulieferer ein. Die meisten der Assistenzsysteme in den aktuellen Autos kommen nicht von den Herstellern selbst, sondern von Firmen wie Bosch, ZF, Continental, Delphi oder Valeo.
Auch diese Zulieferer bleiben nicht untätig, wenn es um die Vernetzung und Digitalisierung ihrer Komponenten geht – teils in Eigenleistung, teils in Zusammenarbeit mit Tech-Unternehmen. So bauen etwa ZF und Bosch den Auto-Computer von Nvidia. Im vergangenen Sommer kündigten Delphi und Mobileye an, bis 2019 ein herstellerunabhängiges System für autonome Autos auf den Markt bringen zu wollen.
Laut Mobileye-Gründer Amnon Shashua müssen andere Entwicklungspartner, wie eben BMW, nicht befürchten, dass die Konkurrenz über andere Mobileye-Projekte an deren Knowhow komme. Premiumhersteller wie BMW dürften weiterhin in der Lage sein, eine solche Technik etwas früher anzubieten als andere, sagte Shashua damals.
Fazit: Die Premium-Autobauer haben das autonome Fahren und vernetzte Dienste als großes Zukunftsfeld ausgemacht. Mit ihren Entwicklungen werden sie den Markt prägen. Über die Zulieferer haben mit etwas Verzögerung auch weniger finanzstarke Autobauer Zugriff zu der Technologie.