FIN? Die drei Buchstaben können für Finnland stehen, für ein Fitnessportal im Internet oder eine britische Schuhmarke. Das alles interessiert uns hier nicht weiter. Auch nicht die Finanzsoftware gleichen Namens oder die Fakultät für Informatik an der Universität Magdeburg. Nein, beschäftigen wollen wir uns hier mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer, die Sie in Zeile drei des Kfz-Scheins finden, hinter der Windschutzscheibe oder irgendwo in Motorraum Ihre Pkw. Ja, genau dieser 17-stellige Buchstaben- und Zahlensalat, für den sich Menschen normalerweise erst interessieren, wenn sie einen Gebrauchtwagen erwerben oder bei der Polizei den Diebstahl eines Autos anzeigen.
Künftig wird man sich für die sogenannte Fahrzeug-Identifizierungsnummer – von dieser FIN soll hier nämlich die Rede sein – möglicherweise auch bei der Abholung eines Neuwagens interessieren. Denn der Zahlensalat gibt nicht nur Auskunft darüber, wer der Hersteller ist, um was für eine Art Auto es sich handelt, sondern auch, wann und wo das Fahrzeug produziert wurde. Ein Beispiel: Die Kombination WAUZZZ8K79A131936 trägt ein Auto des deutschen Herstellers (WA) Audi (U) der Baureihe A4 (8K), der 2009 (9) in Ingolstadt (A) vom Band lief und dort die Seriennummer 131936 erhielt.
Warum sollte das jemanden interessieren? Weil eine steigende Zahl deutscher Autos in den kommenden Jahr aus Werken im Ausland zu uns kommt. Ein Audi TT beispielsweise trägt heute bereits eine Fahrgestellnummer, die ihn als ungarisches Produkt ausweist – große Teile des Sportwagens werden in Györ produziert. Ein BMW X5 wird in South Carolina gebaut, weshalb die Seriennummer mit der Ziffer 1, 4 oder 5 (für USA) beginnt. So manchen frühen Porsche Boxster weist die FIN tatsächlich als Finnen aus – der Roadster wurde lange Zeit auch bei Valmet in Uusikaupunki, einer Kleinstadt in Westfinnland gebaut. In der nördlichsten Autofabrik der Welt wird Mercedes ab 2013 übrigens auch die A-Klasse bauen lassen, weil die konzerneigenen Kapazitäten in Deutschland – und Ungarn – in der Anlaufphase des neuen Einstiegsmodells nicht reichen und sich Daimler teure Werkserweiterungen sparen will.
"Build where you sell?"
Was früher eine Besonderheit war – die Produktion deutscher Autos für deutsche Kunden im Ausland – wird im Zeitalter der Globalisierung zum Normalfall. Nach einer Studie des CAR Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen werden von den 13,5 Millionen Autos, die deutsche Fahrzeughersteller in diesem Jahr absetzen, nur noch rund 5,5 Millionen oder 40 Prozent in Deutschland produziert – der überwiegende Teil läuft im Ausland vom Band.
Betriebswirtschaftlich macht das durchaus Sinn. Das Prinzip "Build where you sell" – Baue dort, wo Du verkaufst – bedeutet, dort zu montieren, wo das Gros der Autos verkauft wird. SUVs wie der BMW X5 oder die Mercedes M-Klasse wurden früher vor allem in den Vereinigten Staaten verkauft. Also bauten beide Konzerne die Fabriken für diese Freizeitfahrzeuge in USA. Als die Nachfrage nach preiswerten Kleinwagen in Mittelamerika größer wurde als in Europa, verlagerte Volkswagen die Produktion des Käfer nach Mexiko. Heute bedient der Volkswagen-Konzern mit neuen Werken in China und Indien die asiatischen Wachstumsmärkte von heute und morgen.
Autoabsatzprognose für 2012 und 2013
2011: 12,8 Millionen
2012: 14,3 Millionen (+11,5 Prozent)
2013: 14,8 Millionen (+ 3,5 Prozent)
2011: 12,8 Millionen
2012: 11,8 Millionen ( - 7,9 Prozent)
2013: 11,5 Millionen (-2,5 Prozent)
2011: 3,5 Millionen
2012: 4,5 Millionen (+ 27,7 Prozent)
2013: 4,2 Millionen (- 6,7 Prozent)
2011: 12,2 Millionen
2012: 13,1 Millionen ( + 7,4 Prozent)
2013: 13,5 Millionen (+3,1 Prozent)
2011: 2,6 Millionen
2012: 2,9 Millionen (+12,5 Prozent)
2013: 3,0 Millionen (+3,4 Prozent)
2011: 2,5 Millionen
2012: 2,8 Millionen (+9,2 Prozent)
2013: 2,9 Millionen (+5,5 Prozent)
2011: 3,4 Millionen
2012: 3,6 Millionen (+4,8 Prozent)
2013: 3,8 Millionen (+4,2 Prozent)
2011: 65,5 Millionen
2012: 68 Millionen (+4,0 Prozent)
2013: 69 Millionen (+1,5 Prozent)
Der hiesige Automarkt hingegen ist gesättigt. In diesem Jahr werden in Deutschland nach der CAR-Studie voraussichtlich nur noch knapp drei Millionen Neuwagen abgesetzt – das wären 18 Prozent weniger als noch zu Beginn der Euro- und Wirtschaftskrise 2009. Deutschland liegt damit hinter den USA, China, Japan und Brasilien nur noch auf Platz 5 der weltgrößten Automärkte. Und im kommenden Jahr könnte Deutschland in diesem Ranking noch einen Platz nach hinten rutschen: Russland hat großen Nachholbedarf und die Mittelschicht dort inzwischen auch die Kaufkraft, um sich Neufahrzeuge aus westlicher – oder asiatischer Produktion zulegen zu können. Auf dem Sprung ist auch der indische Tiger: 2015, so die CAR-Studie, wird der indische Automarkt erstmals größer sein als der deutsche.
Die Autoindustrie hat sich auf diese Verschiebung der Gewichte längst eingestellt. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Auslandsfertigung der deutschen Autohersteller fast verdoppelt. Und seit der Eröffnung des BMW-Werks Leipzig 2005 wurde in Deutschland keine einzige neue Produktionsstätte für Automobile mehr in Betrieb genommen. Im Gegenteil: 2016 wird Opel sein Werk in Bochum nach über 50 Jahren endgültig schließen, in der Zwischenzeit aber möglicherweise eine neue Produktionsstätte in China eröffnen. Werksschließungen sind bei den anderen deutschen Autoherstellern derzeit zwar kein Thema. Aber das Wachstum findet auch bei ihnen im Ausland statt: Audi baut ein neues Werk in Mexiko, BMW ein neues Montagewerk in Brasilien, VW weitere in China. Daimler lässt Autos in Ungarn produzieren, baut ein Werk in China und denkt an eine Ausweitung der Fertigung in Nordamerika. Und selbst Porsche denkt, auch um Einfuhrzölle zu sparen, inzwischen über eine Sport- und Geländewagenproduktion im Ausland nach. "Wir müssen nicht zwingend alle Autos auch in Deutschland bauen Es genügt, wenn wir 'Engineered by Porsche in Germany' auf unsere Autos schreiben können" wagte Vorstandschef Matthias Müller kürzlich in einem Interview den Tabubruch – bislang produziert der Sportwagenhersteller offiziell nur in Deutschland. Um den Schein zu wahren, wird der eigentlich in der Slovakei produzierte SUV Cayenne nach Leipzig geschafft und im dortigen Werke komplettiert.
Auslandsproduktion sichert Arbeitsplätze
Eine wachsende Stückzahl der im Ausland produzierten Fahrzeuge wird seinen Weg nach Deutschland finden. Der Nachfolger des VW Käfer namens Beetle kommt (ebenso wie die Stufenhecklimousine Jetta) längst aus Mexiko, der VW-Kleinwagen Up wie der Audi Q7, VW Touareg oder der Porsche Cayenne-Rohling aus der Slowakei; der BMW X3 der nächsten Generation wird statt wie bisher in Österreich in den USA montiert. Schon heute ist bei einigen Marken die Wahrscheinlichkeit, ein in Deutschland produziertes Auto eines deutschen Autoherstellers zu erhalten, geringer als 50 Prozent. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch Autos kaufen können, die zwar in Deutschland entwickelt, aber in China oder Indien montiert werden.
Muss man das bedauern? Nicht unbedingt. Durch den Ausbau der Auslandsproduktion profitieren die deutschen Hersteller von der dynamischen Entwicklung der Automärkte in den Schwellenländern und in Nordamerika. Sie können so die aktuelle Schwäche der westeuropäischen Märkte kompensieren und stehen deshalb heute deutlich besser da als Hersteller, die wie etwa der französische PSA-Konzern mit Produktion und Absatz immer noch stark vom Heimatmarkt und von Geschäften im Euroraum abhängen. Und des stärkere Engagement der deutschen Autobauer im Ausland hat in den vergangenen Jahren auch viele Arbeitsplätze bei uns gesichert, bei Fahrzeugherstellern wie bei ihren Zulieferern: Wegen der großen Nachfrage in China und Nordamerika produzierten viele deutsche Werke in diesem Jahr zeitweise fast bis zum Anschlag. Die Exporte, in die 77 Prozent der produzierten Fahrzeuge gingen, waren somit eine wesentliche Stütze für den Automobilstandort Deutschland. So weit, so gut.
Know-how wird in Deutschland bleiben
Doch das Blatt könnte sich schon bald wenden. Wenn all die geplanten oder in Bau befindlichen Werke in China, Brasilien, Mexiko, USA erst einmal die Produktion aufgenommen haben, werden in einem ersten Schritt die Exporte aus Deutschland heraus gedrosselt werden können – alles andere macht schon unter Kostenaspekten keinen Sinn. Audi hat dieser Tage angekündigt, im Duisburger Hafen eine "Verpackungsstation" für Autoteile einzurichten, die dann per Schiff und Container nach China und Indien gehen. Die 25 Millionen Euro, die in den Export-Standort investiert werden sollen, werden allerdings nicht vom Autobauer aufgebracht, sondern von der Hafengesellschaft und dem Land NRW.
Der Autohersteller hält das Investitionsrisiko bewusst in Grenzen, weil die Verpackungsstation von Teilen für eine CKD-Montage nicht mehr benötigt wird, wenn der Autohersteller und seine Zulieferer erst einmal mit beiden Beinen und großen Fabriken in den Wachstumsregionen stehen. Das Know-how wird sicher in Deutschland bleiben, Teile der Arbeit aber gemäß der Devise "Build where you sell" ebenso sicher abwandern.
Und im nächsten Schritt werden die Konzerne irgendwann ihre Fertigungskapazitäten in Europa und auch in Deutschland überprüfen – unter der Fragestellung, ob ein Import aus USA, China oder Indien vielleicht nicht kostengünstiger wäre. Ford lässt sein populäres Mittelklassemodell Mondeo für die Kunden in Europa möglicherweise weder in Belgien, Spanien oder Deutschland, sondern zusammen mit seinem US-Schwestermodell gleich in Nordamerika fertigen. Und dass der Opel Mokka in Südkorea montiert wird, hat den Verkaufserfolg des neuen Kompakt-SUV offenbar nicht geschmälert – Käufer müssen derzeit über ein halbes Jahr auf das neue Auto warten.
In Zukunft sollte man sich die FIN noch genauer ansehen.