Automesse Detroit Die Vergangenheit holt VW in Detroit ein

Während Daimler und BMW sich auf der Automesse in Detroit um die Krone des weltgrößten Premium-Autobauers kloppten, wurde der Messeauftritt von Volkswagen von der Festnahme eines Managers überschattet. Ein Stimmungsbild.

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Herbert Diess Quelle: AP

Eigentlich wollte Daimler-Chef Dieter Zetsche beim Neujahresempfang zur Automesse in Detroit seine neuen Mercedes-Modelle zeigen. Doch als die Sängerin Bebe Rexha mit ihren knallroten Lippen "Me, Myself and I" schmetterte, interessierte sich keiner der anwesenden Herren mehr für Zetsche. Der Grund: Ihr Ausschnitt endete erst reichlich weit unten. Selbst Zetsche schien begeistert, quittierte er ihren Auftritt auf der Bühne mit einer festen Umarmung und einem Bussi.

Der Daimler-Chef hat allen Grund, es krachen zu lassen: „Wir sind die am besten verkaufende Premium-Marke der Welt!", rief er ins Mikrofon und das Publikum tobte.

Ein anderer deutscher Autobauer beansprucht diesen Titel derweil für sich: "BMW Group erreicht sechsten Rekordabsatz in Folge und bleibt weltweit führender Premium-Hersteller", jubelte BMW.

Was bitte, ist da passiert? Bis jetzt, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche am Rande der Messe, „haben wir uns in diesem unterhaltsamen Spiel über die Kernmarke unterhalten. Wir haben in den Jahren davor immer BMW mit Mercedes verglichen und dann hat BMW noch Mini verkauft und wir haben noch Smart verkauft. Und in dem Vergleich war BMW zehn Jahre lang vor uns. Nun aber sind alle Fahrzeuge mit einbezogen.“ Ein Seitenhieb auf BMW, die plötzlich auch ihre verkauften Minis mitgezählt hatten, um weiter vor Daimler zu liegen. „Ich habe im Angebot, dass wir auch die 500.000 Lkw dazu zählen“, witzelte Zetsche daraufhin. Eigentlich aber habe er das nicht vor. "Is wurscht", sagte er. Denn Daimler habe sich zum Ziel gesetzt, mit Mercedes mehr zu verkaufen als Audi und BMW jeweils verkaufen. „Das haben wir im letzten Jahr erreicht“, sagte Zetsche.

Volkswagen wäre angesichts von Dieselgate wohl froh über solche Probleme: Der Detroiter Empfang der Wolfsburger in einem alten Theater fiel jedenfalls verhalten aus. Nur fünf Autominuten entfernt vom Neujahrsempfang Daimlers begnügte man sich bei der Marke Volkswagen damit, Journalisten vorab den neuen Atlas R-Line und einen um wenige Zentimeter verlängerten Tiguan zu zeigen.

Auf den Atlas ist VW besonders stolz. Die Produktion hat gerade begonnen, ab Frühjahr wird der bullige SUV in Amerika vermarktet. Dann können die Amerikaner sogar ihre überdimensionierten Plastik-Kaffeebecher in eine Halterung stecken. Früher waren die Halterungen von VW immer zu klein. „Das Auto wird von Amerikanern für Amerikaner entwickelt und noch dazu in den USA produziert“, sagt ein VWler. Alles, was das Herz des kommenden Präsidenten Donald Trump begehrt, könnte man meinen. Dass der Tiguan aber in Mexiko gebaut wird, sagte der VWler nicht.

So oder so: Als die Party bei Daimler so richtig anfing, war jene bei VW schon fast wieder vorbei. VW-Markenchef Herbert Diess, der kurz zuvor noch auf der Bühne stand, hatte sich schnell verdrückt.

Wegducken oder: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Das schien die VW-Strategie für Detroit zu sein. Oder wie soll man sich sonst erklären, dass Diess auch am nächsten Tag bei der offiziellen Präsentation neuer Autos auf dem Messegelände nicht viel zu sagen hatte? Seine Rede jedenfalls passte auf zwei spärlich bedruckte DIN-A-4-Seiten. Ein „herausforderndes Jahr 2016“ habe Volkswagen gehabt, der Autobauer müsse jetzt das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen und die Dieselthematik lösen, sagte Diess.

Es war eine verpasste Chance: Denn die traditionsreiche Messe in Detroit wäre wahrlich ein optimaler Ort gewesen, sich symbolträchtig bei den Amerikanern zu entschuldigen und endlich ernst zu machen damit, das verlorene Vertrauen zurückgewinnen zu wollen. Die Rede hätte keine DIN-A-4-Seite füllen müssen. Ein Wort hätte gereicht: Sorry.

Müller lässt eine Menge Raum für Spekulationen


Doch einer, der diese Chance am ehesten hätte ergreifen können, glänzte mit Abwesenheit: VW-Chef Matthias Müller. Stattdessen lieferte Diess sein Bild vom neuen Volkswagen: „Modern, positiv, emotional und zukunftsorientiert.“ Allein: Als Diess das sagte, hatte VW die Vergangenheit längst eingeholt.

Mit Oliver Schmidt war in den USA kurz zuvor ein VW-Manager festgenommen worden. Er sprach in der sich anbahnenden Abgasaffäre mit den US-Behörden und wird beschuldigt, diese in Absprache mit hochrangigen VW-Managern an der Nase herumgeführt zu haben.

Der Festgenommene soll eine Schlüsselrolle dabei gespielt haben, den US-Behörden trotz hartnäckiger Nachfragen falsche Angaben über eine Technik gemacht zu haben, die die Abgasreinigung von Diesel-Fahrzeugen ausschaltet, wenn das Auto im behördlichen Zulassungstest ist. Auf der Straße aber, heißt es in der Strafanzeige eines FBI-Mitarbeiters, bliesen die Autos das bis zu 40-fache schädlicher Stickoxide in die Luft. „Die VW-Mitarbeiter wussten, dass VW keine Diesel-Fahrzeuge in den USA mehr verkauft hätte, wenn sie die Wahrheit über die Existenz der Abschalteinrichtung gesagt hätten“, heißt es in der Anzeige.

Der FBI-Mann belastet auch die Top-Manager von VW schwer: In seiner Anzeige ist die Rede davon, dass Kronzeugen ausgesagt hätten, dass das VW-Management bereits am 27. Juli 2015 über die Abschalteinrichtung informiert gewesen sei. Der jetzt Festgenommene und andere VWler sollen VW-Managern bei dem Treffen in Wolfsburg gesagt haben, dass die US-Behörden nichts von der Manipulation wüssten. „Statt dafür zu plädieren, den US-Behörden die Abschalteinrichtung offenzulegen, hat der Leitungsstab die fortgeführte Verheimlichung autorisiert“, heißt es in der Anzeige. VW will sich „mit Blick auf die andauernden Untersuchungen“ nicht zu „einzelnen Sachverhalten“ äußern, verweist jedoch auf eine Klageerwiderung vor dem Landgericht Braunschweig, die dem US-Justizministerium offengelegt wurde. „Daran hat sich nach jetziger Kenntnis bis heute nichts Wesentliches geändert.“

Doch schon nach seiner kurzen Rede war bei Diess nichts mehr von dem modernen, positiven, emotionalen und zukunftsorientierten VW zu erkennen, was er angekündigt hatte. Kamerateams, die von Diess ein knappes Statement zu der Verhaftung haben wollten, mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Auch Print-Journalisten gingen leer aus.

Dass Müller nicht kam, ließ auf der Messe eine Menge Raum für Spekulation: Wollte sich der VW-Chef einer womöglich drohenden Befragung bei seiner Einreise entziehen? Angeblich ist der Messeauftritt als Auftritt der Marke Volkswagen geplant gewesen. Und da gehört der Konzernchef Müller halt nun mal nicht hin.

Volkswagen versucht Comeback in den USA
Ein Gitarrist spielt Blues, an einer Leinwand strahlt ein Bild von der Skyline Detroits und auf der Bühne steht ein extra für die USA gebauter Geländewagen. „We want to reignite America's Love for Volkswagen“, sagt Markenchef Herbert Diess - VW will Amerikas „Liebe“ für VW wieder entfachen. Diese hat nach dem „Dieselgate“ schweren Schaden genommen. Kurz vor Beginn der Automesse in Detroit will der Autobauer eine Botschaft vermitteln: VW hat verstanden. Quelle: AP
Nach einem Einbruch im US-Geschäft wähnt sich die Marke auf dem Weg der Besserung. Die Verkäufe auf dem wichtigen US-Markt haben angezogen - trotz des Verkaufsstopps für Dieselfahrzeuge, der nach den Manipulationen verhängt wurde. „We are here to stay“, sagt Amerika-Chef Hinrich Woebcken - Volkswagen will bleiben. Und VW will mehr. Europas größter Autobauer, der in den USA vor allem im Vergleich mit den hier starken asiatischen Autobauern nur ein kleines Licht ist, will in den Staaten ein Comeback einläuten. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wolle VW ein „wichtiger und profitabler Volumenhersteller“ in den USA werden, kündigt Diess an. Das ist zwar ein großes Ziel, aber der Zeitraum ist auch sehr lang. Nicht ausgeschlossen, dass der 58 Jahre alte Diess dann gar nicht mehr Markenchef in Wolfsburg ist. Quelle: AP
Die USA waren für VW auch vor Dieselgate ein schwieriges Pflaster. Seit 2007 weist VW bereits keine Gewinnkennzahlen mehr für die USA aus. Schon damals waren die Zahlen rot. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh nannte das US-Geschäft einmal eine „Katastrophenveranstaltung“. Branchenexperten halten es aber zumindest für möglich, dass VW den Abgasskandal in den USA abschütteln kann: „Die Leute haben ein kurzes Gedächtnis“, sagt Sandy Schwartz vom Marktforschungsunternehmen Cox Automotive mit Blick auf die Dieselkrise. VW habe das Potenzial, in den kommenden Jahren zurückzukommen. Quelle: dpa
Erreichen will VW dies mit für die USA maßgeschneiderten Modellen wie mit einer Variante des Tiguan, der für den US-Markt ein wenig länger ist als für Europa. Vor allem mit einer Offensive im SUV-Segment soll die Wende in den USA erreicht werden. Dazu passt auch die neue Rollenverteilung: statt eines Wolfsburger Zentralismus wie früher sollen nun die einzelnen Regionen mehr Verantwortung bekommen. Quelle: dpa
Die Zukunft des Diesel in den USA dagegen ist offen. VW habe nicht vor, den Diesel in den USA wieder einzuführen, sagt Diess - fügt aber hinzu: nichts sei ausgeschlossen. Quelle: dpa
Die Dieselkrise seit dem Herbst 2015 hat tiefe Spuren hinterlassen bei VW und den Autobauer in eine tiefe Krise gestürzt. Und „Dieselgate“ ist noch lange nicht ausgestanden. Noch vor der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident am 20. Januar könnte Volkswagen Medienberichten zufolge einen Milliardenvergleich mit dem US-Justizministerium erreichen - und zwar noch in dieser Woche. Dabei geht es um strafrechtliche Ermittlungen. Die damit verbundene Strafzahlung dürfte dem „Wall Street Journal“ zufolge bei mehreren Milliarden Dollar liegen. Zivilrechtlich hat sich VW mit Klägern und Behörden bereits im Grundsatz geeinigt, VW muss mehr als 17 Milliarden Dollar zahlen. Quelle: dpa
Die Verhandlungen mit der US-Justiz sind auch der Grund dafür, dass einer fehlte in Detroit: VW-Konzernchef Matthias Müller sparte sich die Reise in die US-Metropole. Offizielle Begründung: Es gibt kein eigenes Veranstaltungsformat des Volkswagen-Konzerns, deshalb kommt auch der Konzernvorstand nicht. Quelle: dpa

Wahr ist aber auch, dass Müller im vergangenen Jahr auf der Messe war. Und in den Vorjahren war auch Müllers Vorgänger dort. Vielleicht also wollten ihn seine Berater aus der Schusslinie nehmen, auch, weil er bisweilen immer wieder rüpelhaft auftritt, er Journalisten anblafft und in Interviews gar Kunden beschimpft?

So oder so: Bei VW schweigt man lieber, taucht ab. Dabei sieht die Flucht nach vorne eigentlich anders aus.

Und in Zeiten wie diesen ist es für VW ja schon selbst eine gute Nachricht, dass der Konzern am Dienstag endlich verkünden konnte, in einem Vergleich mit dem US-Justizministerium wegen des Dieselskandals 4,3 Milliarden Dollar zahlen zu müssen. Einen entsprechenden Vergleich sowie ein Schuldeingeständnis bestätigte das US-Justizministerium am Abend.

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