Automesse Detroit Die Vergangenheit holt VW in Detroit ein

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Müller lässt eine Menge Raum für Spekulationen


Doch einer, der diese Chance am ehesten hätte ergreifen können, glänzte mit Abwesenheit: VW-Chef Matthias Müller. Stattdessen lieferte Diess sein Bild vom neuen Volkswagen: „Modern, positiv, emotional und zukunftsorientiert.“ Allein: Als Diess das sagte, hatte VW die Vergangenheit längst eingeholt.

Mit Oliver Schmidt war in den USA kurz zuvor ein VW-Manager festgenommen worden. Er sprach in der sich anbahnenden Abgasaffäre mit den US-Behörden und wird beschuldigt, diese in Absprache mit hochrangigen VW-Managern an der Nase herumgeführt zu haben.

Der Festgenommene soll eine Schlüsselrolle dabei gespielt haben, den US-Behörden trotz hartnäckiger Nachfragen falsche Angaben über eine Technik gemacht zu haben, die die Abgasreinigung von Diesel-Fahrzeugen ausschaltet, wenn das Auto im behördlichen Zulassungstest ist. Auf der Straße aber, heißt es in der Strafanzeige eines FBI-Mitarbeiters, bliesen die Autos das bis zu 40-fache schädlicher Stickoxide in die Luft. „Die VW-Mitarbeiter wussten, dass VW keine Diesel-Fahrzeuge in den USA mehr verkauft hätte, wenn sie die Wahrheit über die Existenz der Abschalteinrichtung gesagt hätten“, heißt es in der Anzeige.

Der FBI-Mann belastet auch die Top-Manager von VW schwer: In seiner Anzeige ist die Rede davon, dass Kronzeugen ausgesagt hätten, dass das VW-Management bereits am 27. Juli 2015 über die Abschalteinrichtung informiert gewesen sei. Der jetzt Festgenommene und andere VWler sollen VW-Managern bei dem Treffen in Wolfsburg gesagt haben, dass die US-Behörden nichts von der Manipulation wüssten. „Statt dafür zu plädieren, den US-Behörden die Abschalteinrichtung offenzulegen, hat der Leitungsstab die fortgeführte Verheimlichung autorisiert“, heißt es in der Anzeige. VW will sich „mit Blick auf die andauernden Untersuchungen“ nicht zu „einzelnen Sachverhalten“ äußern, verweist jedoch auf eine Klageerwiderung vor dem Landgericht Braunschweig, die dem US-Justizministerium offengelegt wurde. „Daran hat sich nach jetziger Kenntnis bis heute nichts Wesentliches geändert.“

Doch schon nach seiner kurzen Rede war bei Diess nichts mehr von dem modernen, positiven, emotionalen und zukunftsorientierten VW zu erkennen, was er angekündigt hatte. Kamerateams, die von Diess ein knappes Statement zu der Verhaftung haben wollten, mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Auch Print-Journalisten gingen leer aus.

Dass Müller nicht kam, ließ auf der Messe eine Menge Raum für Spekulation: Wollte sich der VW-Chef einer womöglich drohenden Befragung bei seiner Einreise entziehen? Angeblich ist der Messeauftritt als Auftritt der Marke Volkswagen geplant gewesen. Und da gehört der Konzernchef Müller halt nun mal nicht hin.

Volkswagen versucht Comeback in den USA
Ein Gitarrist spielt Blues, an einer Leinwand strahlt ein Bild von der Skyline Detroits und auf der Bühne steht ein extra für die USA gebauter Geländewagen. „We want to reignite America's Love for Volkswagen“, sagt Markenchef Herbert Diess - VW will Amerikas „Liebe“ für VW wieder entfachen. Diese hat nach dem „Dieselgate“ schweren Schaden genommen. Kurz vor Beginn der Automesse in Detroit will der Autobauer eine Botschaft vermitteln: VW hat verstanden. Quelle: AP
Nach einem Einbruch im US-Geschäft wähnt sich die Marke auf dem Weg der Besserung. Die Verkäufe auf dem wichtigen US-Markt haben angezogen - trotz des Verkaufsstopps für Dieselfahrzeuge, der nach den Manipulationen verhängt wurde. „We are here to stay“, sagt Amerika-Chef Hinrich Woebcken - Volkswagen will bleiben. Und VW will mehr. Europas größter Autobauer, der in den USA vor allem im Vergleich mit den hier starken asiatischen Autobauern nur ein kleines Licht ist, will in den Staaten ein Comeback einläuten. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wolle VW ein „wichtiger und profitabler Volumenhersteller“ in den USA werden, kündigt Diess an. Das ist zwar ein großes Ziel, aber der Zeitraum ist auch sehr lang. Nicht ausgeschlossen, dass der 58 Jahre alte Diess dann gar nicht mehr Markenchef in Wolfsburg ist. Quelle: AP
Die USA waren für VW auch vor Dieselgate ein schwieriges Pflaster. Seit 2007 weist VW bereits keine Gewinnkennzahlen mehr für die USA aus. Schon damals waren die Zahlen rot. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh nannte das US-Geschäft einmal eine „Katastrophenveranstaltung“. Branchenexperten halten es aber zumindest für möglich, dass VW den Abgasskandal in den USA abschütteln kann: „Die Leute haben ein kurzes Gedächtnis“, sagt Sandy Schwartz vom Marktforschungsunternehmen Cox Automotive mit Blick auf die Dieselkrise. VW habe das Potenzial, in den kommenden Jahren zurückzukommen. Quelle: dpa
Erreichen will VW dies mit für die USA maßgeschneiderten Modellen wie mit einer Variante des Tiguan, der für den US-Markt ein wenig länger ist als für Europa. Vor allem mit einer Offensive im SUV-Segment soll die Wende in den USA erreicht werden. Dazu passt auch die neue Rollenverteilung: statt eines Wolfsburger Zentralismus wie früher sollen nun die einzelnen Regionen mehr Verantwortung bekommen. Quelle: dpa
Die Zukunft des Diesel in den USA dagegen ist offen. VW habe nicht vor, den Diesel in den USA wieder einzuführen, sagt Diess - fügt aber hinzu: nichts sei ausgeschlossen. Quelle: dpa
Die Dieselkrise seit dem Herbst 2015 hat tiefe Spuren hinterlassen bei VW und den Autobauer in eine tiefe Krise gestürzt. Und „Dieselgate“ ist noch lange nicht ausgestanden. Noch vor der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident am 20. Januar könnte Volkswagen Medienberichten zufolge einen Milliardenvergleich mit dem US-Justizministerium erreichen - und zwar noch in dieser Woche. Dabei geht es um strafrechtliche Ermittlungen. Die damit verbundene Strafzahlung dürfte dem „Wall Street Journal“ zufolge bei mehreren Milliarden Dollar liegen. Zivilrechtlich hat sich VW mit Klägern und Behörden bereits im Grundsatz geeinigt, VW muss mehr als 17 Milliarden Dollar zahlen. Quelle: dpa
Die Verhandlungen mit der US-Justiz sind auch der Grund dafür, dass einer fehlte in Detroit: VW-Konzernchef Matthias Müller sparte sich die Reise in die US-Metropole. Offizielle Begründung: Es gibt kein eigenes Veranstaltungsformat des Volkswagen-Konzerns, deshalb kommt auch der Konzernvorstand nicht. Quelle: dpa

Wahr ist aber auch, dass Müller im vergangenen Jahr auf der Messe war. Und in den Vorjahren war auch Müllers Vorgänger dort. Vielleicht also wollten ihn seine Berater aus der Schusslinie nehmen, auch, weil er bisweilen immer wieder rüpelhaft auftritt, er Journalisten anblafft und in Interviews gar Kunden beschimpft?

So oder so: Bei VW schweigt man lieber, taucht ab. Dabei sieht die Flucht nach vorne eigentlich anders aus.

Und in Zeiten wie diesen ist es für VW ja schon selbst eine gute Nachricht, dass der Konzern am Dienstag endlich verkünden konnte, in einem Vergleich mit dem US-Justizministerium wegen des Dieselskandals 4,3 Milliarden Dollar zahlen zu müssen. Einen entsprechenden Vergleich sowie ein Schuldeingeständnis bestätigte das US-Justizministerium am Abend.

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