Automobilindustrie Deutsche Autobauer geraten unter Beschuss

Bei Europas Fahrzeugbauern verlaufen die Fronten wie beim Euro: Süd gegen Nord. Statt eigene Fehler zu korrigieren, lassen Fiat, Peugeot und Renault politisches Geschütz gegen VW, Daimler, BMW auffahren. Es droht ein Kampf, der nur Verlierer kennt.

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Französische und italienische Autobauer versuchen, die deutsche Konkurrenz abzudrängen. Quelle: Pressebild

Demondialisation, zu Deutsch: Entglobalisierung. Der eigenwillige Begriff ist das neue Lieblingswort des französischen Industrieministers Arnaud Montebourg. Frankreichs Wirtschaftsprobleme, so die Diagnose des Sozialisten, würden gelöst, sobald sich das Land von der Globalisierung verabschiede, die die Industrie zerstöre. Schließlich hätten all jene Nationen die zurückliegenden Krisen überstanden, „die keine Angst hatten, einzugreifen, zu reglementieren, zu dirigieren und zu sanktionieren“.

Starke Einbrüche bei den Franzosen

An welche Art von Eingriffen Montebourg dabei denkt, wird sich an diesem Mittwoch zeigen, wenn er in Paris seinen Plan zur Rettung der schwer angeschlagenen französischen Autoindustrie vorlegt. „Entglobalisierung“ dürfte in diesem Fall heißen: Abschottung von der teutonischen Konkurrenz. Mit Abgaben, die gezielt den Verkauf deutscher Premiummarken erschweren, wollen die französischen Sozialisten Peugeot, Citroën und Renault in der Euro-Krise den Rücken stärken.

Hilfe haben die gallischen Traditionsmarken dringend nötig. Denn ihre Verkaufszahlen sind im ersten Halbjahr zweistellig eingebrochen. Verschärft sich die Euro-Krise, geht es im kommenden Jahr weiter bergab. Peugeot will 8000 Stellen streichen und ein Werk bei Paris schließen.

Angriff mit der A-Klasse
Dr. Dieter Zetsche, Vorsitzender des Vorstands der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars (rechts), Dr. Wolfgang Bernhard, Vorstandsmitglied der Daimler AG, Quelle: Pressebild
Ein Werksmitarbeiter montiert am Montag (16.07.12) im Mercedes-Werk in Rastatt einen Mercedes-Stern an eine Mercedes-Benz A-Klasse. Quelle: dapd
Dieter Zetsche (l), Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, und Wolfgang Bernhard, Vorstandsmitglied der Daimler AG Quelle: dpa
Mitarbeiter bei der Fertigung der A-Klasse Quelle: Pressebild
a-klasse Quelle: Pressebild
Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, präsentiert am Montag im Werk Rastatt der Daimler AG die neue Mercedes-Benz A-Klasse Quelle: dpa

Das Kontrastprogramm läuft keine Flugstunde westlich. Vergangene Woche im badischen Rastatt: Die Mitarbeiter des örtlichen Daimler-Werks sind in Partylaune. Konzernchef Dieter Zetsche nimmt im Blitzlichtgewitter seinen Produktionsvorstand Wolfgang Bernhard in den Arm, beide strecken den erhobenen Daumen in die Kameras.

Grund für die gute Stimmung ist der Produktionsstart der neuen Mercedes A-Klasse. 500 neue Stellen entstehen, und 1,2 Milliarden Euro investiert Zetsche hier in den noblen Kompaktwagen. 2012 werde der Konzern trotz der heraufziehenden Wirtschaftskrise einen neuen Verkaufsrekord aufstellen, verkündet Zetsche stolz und verpasst seinen Branchenkollegen in Frankreich wie in Italien einen Seitenhieb: „Wir finden es gut, wenn Überkapazitäten abgebaut werden.“

Werksschließungen in Frankreich und auf der Apenninen-Halbinsel, dagegen Milliardeninvestitionen für den Ausbau von Daimler-, BMW- und Audi-Fabriken in Deutschland; Entlassungen bei französischen Autokonzernen, aber verkürzte Werksferien in deutschen Fahrzeugfabriken wegen der hohen Nachfrage; bestenfalls Mittelfeld in Innovationsrankings für Peugeot-Citroën, Renault und Fiat, jedoch Spitzenränge für BMW, VW und Daimler.

Nationalistische Auswüchse

Voraussichtliches Absatzminus der Autoindustrie 2012

Die Kluft in Europas Autoindustrie erinnert erschreckend an die Debatte um den Euro. Hier die darbenden Südländer, dort die kraftstrotzenden Deutschen. Und wie in der Euro-Debatte fordern die Hersteller aus dem Süden Eingriffe des Staates, die sie auf Kosten der Deutschen retten sollen. Frankreich will sich gegen Konkurrenz östlich des Rheins abschotten. Fiat möchte die Wettbewerber nördlich der Alpen durch besonders strenge EU-Vorgaben für den CO2-Ausstoß ausbremsen und sich sogar die Schließung eigener Fabriken von Brüssel bezahlen lassen.

Sollte es dazu kommen, wäre dies wohl zum Nachteil für alle Beteiligten. Die sich abzeichnenden „Auswüchse nationalistischer Industriepolitik“, sagt Autoanalyst Arndt Ellinghorst von der Schweizer Bank Credit Suisse, schadeten den schwachen Autobauern, weil sie nötige Kurskorrekturen verschliefen, aber auch den deutschen Herstellern, weil sie einseitig belastet würden: „Am Ende wären alle Verlierer.“ Sollte sich die Euro-Krise weiter verschärfen, drohe schon 2013 ein „großer Knall“. Um Insolvenzen von Autobauern abzuwenden, müssten Regierungen dann „ein ganzes Feuerwerk von milliardenschweren Stützungsmaßnahmen zünden“, sagt Ellinghorst, der in einer groß angelegten Studie die Lage der europäischen Autoindustrie analysiert hat.

Ein Autozar für Europa

Der politische Streit um die Autoindustrie erscheint den Autoanalysten der Credit Suisse inzwischen so bedrohlich, dass sie sogar die Inthronisierung eines mächtigen „Autozars“ in der EU fordern, der die Industrie wieder in die Spur bringen soll. Ihr Vorbild: Der als „Autozar“ bezeichnete Koordinator Steven Rattner, den US-Präsident Barack Obama berief, als 2009 mit General Motors und Chrysler zwei der drei amerikanischen Autobauer in die Insolvenz gingen.

Wie konnte die Schlüsselindustrie Europas, die fast 13 Millionen Menschen beschäftigt, so tief sinken? Einst die Wiege des Automobils, wurde Europa zu Beginn des letzten Jahrhunderts von amerikanischen Produzenten herausgefordert. Das US-Unternehmen Ford hatte den Automobilbau industrialisiert, das Auto wurde zur Massenware. Europa lernte schnell von Amerika und profitierte von dieser ersten Revolution in der Autoindustrie. Die nächste Revolution schwappte nach dem Zweiten Weltkrieg aus Asien in die Alte Welt. Das extrem effiziente Toyota-Produktionssystem setzte Europas Traditionskonzerne unter Druck. Doch auch diese zweite Revolution überstanden die europäischen Hersteller, indem sie das Toyota-System selbst einführten.

Welche europäischen Hersteller die dritte automobile Revolution – den allmählichen Abschied vom Benzin- und Dieselmotor – überleben, ist dagegen völlig ungewiss. Jeder der Konzerne muss Milliarden zusätzlich investieren, um Batterie-, Hybrid- oder Wasserstoffautos auf die Straße zu bringen. In den kommenden Jahren steigen die Kosten dafür besonders stark, wie aus der Credit-Suisse-Studie hervorgeht. Bereits 2014 liegen die jährlichen Aufwendungen der europäischen Autobauer für neue Anlagen und Technologien rund zehn Milliarden Euro über dem heutigen Niveau.

Gefährliche Mischung

Die Kostenexplosion trifft die Autobauer ausgerechnet in einer Zeit, in der es vielen Konzernen so schlecht geht wie nie zuvor – eine gefährliche Mischung.

  • In Europa herrscht ein knallharter Verdrängungswettbewerb, weil der Markt auch auf lange Sicht nicht wachsen wird. Nach einer Prognose der amerikanischen Unternehmensberatung Alix Partners gehört der Kontinent zu den Regionen der Welt, auf denen sich der Autoabsatz bis 2016 am schlechtesten entwickeln wird. Gerade 91 Prozent der Fahrzeug, die 2007 neu verkauft wurden, finden dann einen Abnehmer. Wie gnadenlos der Wettbewerb in dem stagnierenden Markt ausgetragen wird, lässt sich an den ruinösen Rabattschlachten ablesen, die sich die Autobauer schon jetzt bieten. Selbst in Deutschland, wo der Absatz mit gut zwei Prozent Rückgang im laufenden Jahr noch zu den stabilsten in Europa gehört, grassieren die Preisnachlässe. „Das Rabattniveau ist in Deutschland auf Rekordhöhe“, sagt Automobil-Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. „Die Rabatte sind höher als zum Höhepunkt der letzten Krise 2009.“ Durchschnittlich mehr als 18 Prozent Rabatt würden im Internet für die beliebtesten Modelle gewährt. Fiat gewähre für einzelne Modelle fast 27 Prozent Rabatt, Renault und Peugeot rund 25 Prozent.

  • Hersteller wie Peugeot Citroën (PSA) aus Frankreich oder Fiat aus Italien haben schlechte Karten. Sie sind in den schnell wachsenden Schwellenländern kaum vertreten und müssen sich in erster Linie in Europa behaupten. Zwar haben auch Fiat und PSA die Expansion nach China angekündigt, doch der Sprung nach Osten kommt zu spät. Fabriken für sechs Millionen Fahrzeuge bleiben in China bereits ungenutzt – das entspricht der gesamten Produktionskapazität Deutschlands.

Fiat-Chef Sergio Marchionne Quelle: dapd
  • Der Markt für die klassischen Massenmarken wird in Europa zudem immer kleiner. 1993 gehörten noch 90 Prozent aller in Europa verkauften Autos zu diesem Mittelsegment, dem Marken wie VW, Opel, Renault oder Toyota zuzurechnen sind. Nur jedes zehnte abgesetzte Fahrzeug stammte von Premiumherstellern wie Audi, BMW oder Mercedes. Inzwischen schrumpfte das Mittelsegment jedoch auf unter 20 Prozent. Verdrängt wurde die automobile Mittelschicht zum einen von teureren Premiumautos, die rund 40 Prozent des Marktes eroberten. Zum anderen legten preiswertere Marken wie Skoda, Kia, Hyundai oder Chevrolet zu und kommen nun ebenfalls auf 40 Prozent Marktanteil. Von beiden in die Zange genommen wurden die französischen Marken und Fiat, deren Chefs keine geeignete Gegenstrategie einfiel.

  • Wegen der anhaltenden Absatzschwäche in Europa lasten Überkapazitäten wie Blei auf vielen Konzernen. Ab 80 Prozent Auslastung gilt ein Autowerk als profitabel – im europäischen Durchschnitt werden 2012 und in den Folgejahren jedoch nur 75 Prozent erreicht, wie aus einer Untersuchung des Brancheninformationsdienstes IHS Global Insight hervorgeht. Fiat schafft in diesem und im nächsten Jahr nicht einmal 60 Prozent, PSA und Renault liegen bei rund 75 Prozent. Das verteuert die Produktion jedes Autos extrem. Freuen können sich dagegen vor allem die deutschen Autobauer, die ihre hiesigen Werke im Schnitt zu über 80 Prozent auslasten. BMW darf von 2014 an sogar mit mehr als 90 Prozent rechnen.

  • Die Euro-Krise verschärft die Lage dramatisch. In Europa werden nach Berechnungen von Alix Partners in diesem Jahr bereits 815 000 Autos weniger verkauft als 2011. Renault wurde in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres rund 20 Prozent weniger Autos los, Fiat 17 Prozent und PSA 15 Prozent weniger.

Eine Welle an Problemfällen

Wie die Absatzkrise an den Südländern nagt Quelle: Alix Partners

Damit nicht genug, frisst sich die Krise langsam auch zu den Autozulieferern vor. „Hier bahnt sich eine neue Welle an Problemfällen an“, sagt Detlef Specovius, Partner der Insolvenzkanzlei Schultze & Braun. Die Hersteller gäben den Druck an ihre Lieferanten weiter. „Die Reserven vieler Zulieferer sind aber nach den Krisenjahren 2009 und 2010 längst noch nicht wieder aufgefüllt, sodass akute Liquiditätsengpässe drohen.“ Am härtesten ist das schwächste Viertel der Zuliefererfirmen betroffen. Sie erwirtschaften laut Alix Partners keinen Gewinn mehr oder schreiben rote Zahlen.

Trübe Aussichten für 2012

Ein Barometer für Absatzprobleme der Hersteller ist die Zahl der sogenannten taktischen Zulassungen, von Autos also, die die Hersteller nicht an den Endkunden verkaufen, sondern an die Händler. Die melden die Fahrzeuge pro forma an, um sie dann als Pseudo-Gebrauchtwagen mit hohen Rabatten loszuschlagen. Selbst im robusten deutschen Markt sei im ersten Halbjahr 2012 fast jedes dritte Auto so in den Markt gedrückt worden, sagt Robert Rademacher, Präsident des Autohändlerverbandes ZDK: „Eine Rekordhöhe, auf die man nicht unbedingt stolz sein kann. Die Aussichten für das Autojahr 2012 trüben sich ein.“

Angriffe aus Europa

Schwimmen die deutschen Hersteller noch in Supergewinnen, schreiben PSA, Renault und Fiat schon jetzt rote Zahlen in Europa. „Weitere Absatzeinbrüche bringen uns an den Rand des Abgrunds“, sagt der Manager eines französischen Autobauers. Renault habe die Chance, so der Manager, seine europäischen Verluste durch gute Zahlen des japanischen Partnerunternehmens Nissan zumindest teilweise auszubügeln. Das Gleiche gelte für Fiat und seine profitable US-Tochter Chrysler. PSA dagegen stehe allein da. Deshalb sehen Experten dort auch die dramatischsten Veränderungen im kommenden Jahr. Der Aktienkurs scheint dies vorwegzunehmen und stürzte in der vergangenen Woche auf unter sechs Euro – so tief wie seit 1986 nicht mehr.

Gezielte Förderung für PSA uns Renault

Kein Wunder, dass der Autobauer und die französische Regierung hektisch werden. 8000 Stellen will PSA nun streichen. „Der Plan ist nicht akzeptabel“, tönt Frankreichs Präsident François Hollande. „Wir werden ihn neu verhandeln.“ Wie eine staatliche Hilfe für den wankenden Autobauer aussehen könnte, ließ Ende vergangener Woche Industrieminister Montebourgs durchblicken: „Wir steuern in Richtung einer massiven Unterstützung für innovative und saubere Fahrzeuge.“ Eine Möglichkeit sei der Ausbau eines Bonus-Malus-Systems, das den Kauf abgasarmer Autos fördert und den Kauf von vergleichsweise umweltschädlichen Wagen verteuert. Damit würde die französische Regierung gezielt die bei Elektro- und Hybridautos starken Hersteller PSA und Renault fördern. Größere deutsche Premiummodelle dagegen würden wegen ihres höheren CO2-Ausstoßes absichtlich verteuert.

Elektroautos, die zu haben sind
VW e-Up! Quelle: Volkswagen
Porsche Panamera S E Hybrid Quelle: Porsche
Renault FluenceMarke: Renault Modell: Fluence Preis: ca. 25.950 Euro plus Batteriemiete von 79 €/Monat Reichweite (in km): 185 km Leistung (kw/PS): 70kW/95 PS Quelle: Presse
Mercedes SLS ed Quelle: Daimler
Renault TwizyMit futuristischem Design und ohne echte Türen kommt der Twizy daher. Der Zweisitzer ist besonders klein und wendig und für den Stadtverkehr konzipiert. Er kann an jeder Haushaltssteckdose aufgeladen werden. Marke: Renault Modell: Twizy Urban Grundpreis (inkl. MwSt): ab 6990 Euro, zusätzlich fallen mindestens 50 Euro Batteriemiete pro Monat an Reichweite (in km): 100 Höchstgeschwindigkeit (km/h): 80 Stromverbrauch (kWh/100km): 6,3 Quelle: dapd
Smart ed Quelle: Daimler
Kangoo RapidDer Elektro-Kangoo soll den städtischen Lieferverkehr sauberer und leiser machen. Er bietet mit bis zu 3,5 Kubikmetern Laderaum soviel Platz wie sein konventioneller Dieselbruder. Das ist möglich, weil die Batterien im doppelten Ladeboden verschwinden. Mit 60 PS ist der Elektro-Kangoo ausreichend schnell.  Marke: Renault Modell: Kangoo Rapid Z.E. Grundpreis (inkl. MwSt): 15.100 (+ 86 Euro monatlich fürs Batterie-Leasing) Reichweite (in km): 160 Höchstgeschwindigkeit (km/h): 130 Stromverbrauch (kWh/100km): nicht bekannt Quelle: Presse

In gleicher Absicht schießt Fiat-Chef Sergio Marchionne in Richtung Deutschland. Auf höchster EU-Ebene macht er sich für Klimaschutzauflagen stark, die vor allem die deutschen Hersteller treffen würden. „Kommen die Auflagen wie von Marchionne gefordert“, wettert ein Top-Manager eines deutschen Herstellers, „kostet das Daimler, BMW und VW Milliarden für CO2-Minderung – Fiat dagegen muss nichts tun.“

Dabei ist unter den Autobauern gar nicht strittig, dass von 2020 an die verkauften Neuwagen eines Herstellers im Durchschnitt nicht mehr als 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen sollen, was einem Verbrauch von nur 3,7 Liter Benzin pro 100 Kilometer entspricht. Diesen Grenzwert dürfte die EU in den kommenden Monaten festsetzen. Streitpunkt ist vielmehr die Frage, wie stark Hersteller großer Autos davon abweichen dürfen, ohne saftige Strafen pro verkauften Fahrzeug bezahlen zu müssen.

Attacken auf deutsche Autobauer

Wie Franzosen und Italiener mit ihren kleineren Fahrzeugen Mercedes, Audi, BMW und VW beim CO2-Ausstoß neu verkaufter Fahrzeuge unterbieten Quelle: ICCT

Oberklassenfahrzeuge – beispielsweise von BMW, Mercedes und Audi – blasen naturgemäß mehr CO2 in die Luft als kleinere Wagen etwa von Fiat, weil sie größer und schwerer sind. Das hat die EU bislang berücksichtigt, indem sie die Grenzen für Oberklassenhersteller oberhalb des Durchschnittswertes für alle ansetzte, die Kleinwagenbauer dagegen unterhalb. Geht es nach Marchionne, soll von diesem Ausgleich künftig nicht mehr viel übrig bleiben. Bislang durfte etwa der große BMW 7er drei Liter Benzin mehr verbrauchen als der kleine Fiat Punto. Nach Marchionnes Berechnungen soll der Vorteil von 2020 an auf 1,7 Liter fast halbiert werden. Das sei, so sagen Experten, technisch kaum zu schaffen, koste den Hersteller aber in jedem Fall hohe Millionensummen.

Mokka kommt nach Saragossa
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Damit will es der selbstbewusste Fiat-Chef aber nicht belassen. Er will auch eine Art Abwrackprämie für Autofabriken, die aus der EU-Kasse zu bezahlen sei. Damit könnte Fiat zum Beispiel sein überflüssiges Werk in der Nähe von Neapel oder Peugeot seines bei Paris auch auf Kosten der deutschen Steuerzahler schließen und wieder wettbewerbsfähig werden. BMW, Daimler und VW dagegen, deren Werke fast ausnahmslos am Anschlag laufen, hätten davon – außer Kosten – gar nichts. „Ich glaube, wir haben diesen unsinnigen Vorstoß von Marchionne vorerst verhindert“, hofft ein deutscher Automanager. „Dafür bekommt Marchionne in der EU keine Mehrheiten.“

Konzept zur Stärkung der Autoindustrie

EU-Industriekommissar Antonio Tajani jedenfalls will im Herbst ein eigenes Konzept für die Stärkung der industriellen Kerne Europas vorlegen. Mit dem früheren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Wolfgang Clement und dem mittelständischen Autozulieferer Arndt Kirchhoff kam er in diesen Tagen zu einem Brainstorming zusammen. Dass sich der Italiener Tajani ganz auf die Seite seines Landsmannes Marchionne schlägt, ist unwahrscheinlich. Denn Tajani, so ist in Brüssel zu hören, missfällt das Gejammer der Automobilbauer aus Südeuropa, besonders das von Marchionne.

Die deutschen Hersteller hingegen werden wohl kaum mit industriepolitischen Gegenforderungen antworten, sondern eher versuchen, ihre Stärken auszuspielen. „Wenn Marchionne es schafft, die strengen CO2-Vorgaben in der EU durchzusetzen“, sagt ein hochrangiger Manager eines deutschen Autokonzerns, „dann müssen wir mehr Kompaktwagen ins Sortiment nehmen, um unseren durchschnittlichen Flottenverbrauch zu drücken.“ Die Stoßrichtung ist damit klar. „Ich weiß nicht, wie gut es Marchionne gefallen wird, wenn seine Kompakt- und Kleinwagen dann noch stärker von attraktiven Smarts, Audis, Minis und Elektroautos von BMW bedrängt werden“, droht der Deutsche.

Reine Verzweiflungstaten

Credit-Suisse-Autoanalyst Ellinghorst wertet die „industriepolitischen Attacken aus Frankreich und Italien auf deutsche Hersteller“ ohnehin als „reine Verzweiflungstaten“. Helfen würden solche Eingriffe den Herstellern in Schieflage auf Dauer nicht. Statt politische Manöver zu fahren, sollten die Autobauer ihre „größtenteils selbst verschuldeten Probleme“ lösen: „Überkapazitäten in der Produktion abbauen, mit anderen Unternehmen kooperieren oder zusammengehen, schwache Marken einstellen.“

Wie viel Fahrzeugfabriken zu viel laufen, hat Jens Wiese von Alix Partners ausgerechnet. „Die europäischen Autobauer können 2012 theoretisch rund sieben Millionen Autos mehr bauen, als der Markt aufnehmen kann.“ Ein Abbau der gesamten Überkapazität sei allerdings unrealistisch. „Aber eine Schließung von fünf bis sechs größeren Werken“, sagt Wiese, „wäre wirtschaftlich sinnvoll, damit die europäischen Autohersteller wieder profitabel wirtschaften können.“

Zögerliche Werksschließungen

Mit einem solchen Befreiungsschlag könnte die europäische Autoindustrie die durchschnittliche Auslastung der US-Fabriken erreichen. Die erreichen die Amerikaner, weil sie seit 2007 vor allem während der Insolvenz von General Motors und der heutigen Fiat-Tochter Chrysler in den USA 18 Werke dichtmachten. In Westeuropa schlossen im gleichen Zeitraum nur drei Werke. Gleichzeitig wurden aber in Osteuropa und Russland acht neue Werke gebaut, die nun vom Osten her den Markt überschwemmen.

Gewerkschaften verzögern Werksabbau

Für den zögerlichen Abbau von Produktionskapazitäten in Europa gibt es einen entscheidenden Grund. „Die Schließung von Werken dauert aufgrund der starken Stellung der Gewerkschaften wesentlich länger und ist erheblich teurer als in den USA“, sagt Alix-Partners-Berater Elmar Kades. Selbst wenn jetzt das Aus für Werke beschlossen werde, entlaste das die Hersteller deshalb erst in einigen Jahren. Zunächst gebe es „sehr hohe Schließungskosten“.

Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob ein „Autozar“, wie Credit-Suisse-Analyst Ellinghorst rät, die Probleme der Branche lösen könnte. Zwar hatte US-Präsident Barack Obama damit Erfolg und sorgte dafür, dass die Hersteller seines Landes in ihrer Heimat die Überkapazitäten loswurden und Gewinne einfahren.

Doch seine Autorität verdankte der Yankee-Zar Steven Rattner den Anteilen, die der amerikanische Staat an den insolventen Konzernen GM und Chrysler übernahm. Derlei scheint in der EU ausgeschlossen. „Dennoch könnte ein Autozar Einfluss haben“, glaubt Ellinghorst, „etwa wenn die Politik dafür sorgt, dass er mit dem für die Werksschließungen nötigen Geld von der Industrie und der EU ausgestattet wird.“ Zudem könnte er Schließungen koordinieren.

Opel allein zu Haus

Äußerst gering sind die Chancen, dass Opel von solchen industriepolitischen Überlegungen jemals profitieren könnte. Der Autobauer hat die gleichen Probleme wie Fiat, PSA und Renault, als Tochter des US-Konzerns GM aber keine starke Lobby in Europa. Auf staatliche Rettungsaktionen wie in Frankreich oder Italien kann Opel allein schon deshalb nicht hoffen, weil der Rest der deutschen Autoindustrie so blendend dasteht.

Zudem hat die Konzernzentrale in Detroit mit dem Rückzug ihres Verkaufsangebots für Opel die rettungsbereite Bundesregierung 2009 an der Nase herumgeführt. Das hat die nicht vergessen.

So muss Thomas Sedran, der neue Opel-Interims-Chef, der bis vor wenigen Monaten für die Restrukturierungsberatung Alix Partners tätig war, ohne staatliche Rückendeckung arbeiten. Als Berater predigte er jahrelang den Abbau von Überkapazitäten in Europa. Nun kann er bei Opel, dessen Werke nur zu rund zwei Drittel ausgelastet sind, ernst machen – und zum Vorbild für Fiat, Renault und PSA werden.

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