Die ersten Runden waren fröhlich, damals, als sich die Teams des deutschen Kleinwagenherstellers Smart und des französischen Autobauers Renault im Elsass zum „interkulturellen“ Austausch trafen. Es sei viel Auto gefahren, viel geredet und sogar gemeinsam gekocht worden, erinnert sich Annette Winkler, die Chefin von Smart, der Kleinwagentochter des Stuttgarter Daimler-Konzerns.
Das Tête-à-Tête hatte ein großes Ziel: Der deutsche Nobelautohersteller und der französische Massenfertiger wollten irgendwann einmal gemeinsam ein Kleinauto bauen. Drei Jahre ging es munter hin und her. Smart-Marketing-Leute wünschten sich einen Heckantrieb für den künftigen deutsch-französischen Stadtfloh, Renault-Ingenieure nicht. Für die Deutschen war eine Seitenwindstabilisierung Pflicht, die Franzosen lehnten ab. Klar, dass der neue Mini elektrisch fahren sollte, fanden die Smart-Manager, éventuellement, möglicherweise, die Renault-Kollegen.
Mehr als einmal mussten die technikverliebten Schwaben nachgeben. Denn sie wollten ihren neuen Zweisitzer Smart Fortwo und viertürigen Viersitzer Smart Forfour mit den Franzosen zusammen entwickeln und produzieren, die davon für ihren neuen, aber ähnlichen Twingo profitieren wollten. Ohne die Liaison, so viel zeichnete sich ab, wäre das Ende der Daimler-Kleinwagenmarke und des Werks im elsässischen Hambach besiegelt.
Was Renault und Smart in die Kleinwagen-Kooperation einbringen
Der Smart Fortwo wird wie bisher in Hambach montiert. Den viertürigen Smart und den Twingo baut Renault.
Smart und Twingo haben ABS und ESP als Standard. Gegen Aufpreis gibt es auch ein Notbremssystem.
Heckantrieb ist typisch Smart. Nun kriegt ihn auch der Twingo. Die Drei-Zylinder-Motoren baut Renault.
Doch nun ist der „Big Bang“ von Smart, wie Winkler sagt, in Sicht: Am 11. Oktober kommt die dritte Generation des 2,69 Meter kurzen Stadtautos in den Handel – zu Preisen ab 11 000 Euro. Das Schwestermodell Renault Twingo startet bereits am 27. September mit einem Basispreis um die 9000 Euro. Mehr mögen die Projektmanager nicht verraten, die Konkurrenz soll nicht zu früh von Details erfahren. Denn der Wettbewerb im Klein- und Kleinstwagensegment wird in den kommenden zwölf Monaten so hart werden wie lange nicht mehr. Auch Toyota, Mini, Suzuki, Fiat, Peugeot und Citroën sowie Opel, Volkswagen und Ford bringen neue Modelle und Varianten auf den Markt.
Ausgleich für den CO2-Grenzwert
Der Kleinwagenboom ist eine Folge gesellschaftlicher Veränderungen und der sinkenden Ausgabenbereitschaft bei europäischen Autokäufern, vor allem aber die Konsequenz der neuen scharfen Grenzwerte für die CO2-Emissionen. Ende kommenden Jahres sollen die in Europa angebotenen Neuwagenflotten eines jeden Herstellers im Schnitt nicht mehr als 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer Fahrstrecke freisetzen – andernfalls drohen den Konzernen happige Strafzahlungen.
Für Daimler, BMW und Volkswagen heißt das: Wollen sie auch in Zukunft große und PS-starke Limousinen und Geländewagen anbieten, brauchen sie im Konzern verbrauchsgünstige Kleinwagen als Ausgleich. Bei Daimler übernimmt diese Rolle der Smart. Bei BMW sollen das Elektroauto i3 und der Mini die Klimabilanz aufpolieren, im VW-Konzern unter anderem die Winzlinge Audi A1, VW Up, Seat Mii und Skoda Citago.
Die Klimaziele fordern nicht nur die Entwickler abgasarmer Motoren heraus, sondern fast noch mehr die Finanzchefs der Konzerne. „Die Entwicklung eines kleinen Autos ist so teuer wie die eines großen. Aber die Gewinnspannen und die Stückzahlen sind deutlich kleiner“, sagt Christoph Stürmer, Chefanalyst bei PricewaterhouseCoopers Autofacts in Frankfurt.
Große Verluste beim Smart
Daimler in Stuttgart hat dies mit dem Smart in den zurückliegenden 15 Jahren besonders schmerzhaft zu spüren bekommen. Von der ersten Modellreihe des Zweisitzers wurden zwar rund 1,4 Millionen Exemplare verkauft, aber das Produktionsziel von durchschnittlich 200 000 Autos jährlich wurde nur zu 54 Prozent erreicht. Statt wie geplant für durchschnittlich 12 000 Euro ließ sich der Winzling im Schnitt nur für etwa 9000 Euro verkaufen. So bescherte der Smart dem Daimler-Mutterkonzern im Laufe der Jahre Verluste von rund 3,35 Milliarden Euro, errechneten die Experten des US-Analyseinstituts von Bernstein Research. Aus diesem Grund kürten sie den Zweisitzer im vergangenen Jahr zum größten Flop der europäischen Autoindustrie in jüngerer Zeit.
Das soll sich nun dank der Kooperation mit Renault ändern. Der neue Smart werde „vom ersten Auto an profitabel sein“, verspricht Markenchefin Winkler: „Wir haben einen starken Business Case, der uns ordentliche Gewinne einbringen wird.“
Der Business Case, also das Geschäftsmodell, sieht so aus: Der neue Smart und der neue Renault Twingo wurden nicht nur gemeinsam entwickelt, sie werden auch gemeinsam gebaut: Die viertürige Version des Smart läuft zusammen mit dem Twingo in einem Renault-Werk im slowenischen Novo Mesto, 60 Kilometer südöstlich von der Landeshauptstadt Ljubljana, vom Band. Obendrein teilen sich alle Modelle eine Vielzahl von Teilen. Die kleinen Drei-Zylinder-Heckmotoren etwa liefert Renault, die Sitze und Assistenzsysteme steuert Daimler bei, das Doppelkupplungsgetriebe ein gemeinsamer Zulieferer.
Etwa 60 bis 70 Prozent aller Teile beim Smart und beim Twingo seien identisch, sagt Ali Kassei, der bei Renault die Kleinwagenprojekte verantwortet. Smart-Chefin Winkler spricht lieber davon, dass etwa 90 Prozent der Teile, die der Fahrer sieht und anfasst, „markenspezifisch sind“. Aber auch sie weiß, dass die Hersteller Kleinautos „heute nicht mehr alleine entwickeln“ könnten. Denn erst zusammen kämen Daimler und Renault auf eine Jahresproduktion von über 200 000 Winzlingen.
Kleine Autos – kleine Gewinne: Renault etwa versuchte, dem Fluch der Zwerge bisher zu entrinnen, indem der Konzern die Produktion in Billiglohnländer verlegte und dort alte Technik recycelte. Der Erfolg der Renault-Billigmarke Dacia basiert auf dieser Strategie. Nissan wird diesem Weg mit der neuen Billigmarke Datsun folgen.
Alleingänge kann sich nur VW leisten
Die komplette Neuentwicklung eines Kleinwagens jedoch braucht mehr: eine ausgefeilte Plattformstrategie und mindestens 200 000 produzierte Fahrzeuge pro Jahr. Alleingänge kann sich da nur der VW-Konzern leisten, der den Aufwand auf eine Vielzahl von Modellen verteilen kann, seine sogenannte „New Small Family“ (NSF).
Anderen bleibt nur die Allianz mit einem anderen Hersteller. So werden Toyota und der französische Autokonzern PSA (Peugeot und Citroën) ihr bereits 2002 gegründetes Joint Venture TPCA fortführen und weiterhin im tschechischen Kolin die Kleinwagen Toyota Aygo, Citroën C1 und Peugeot 108 produzieren. Technische Basis bleibt die Bodengruppe der ersten Modellgeneration.
Ein Vorbild für die Branche
Was TPCA für PSA und Toyota oder die NSF für VW ist, nennt sich bei BMW die UKL („Untere Klasse“) – die Plattformstrategie zur Kostensenkung bei Kleinwagen. Der trendige Mini der britischen Konzerntochter gilt zwar als Ikone des Segments, erfüllt aber trotz eines Verkaufs von über 300 000 Fahrzeugen jährlich noch immer nicht die Renditeerwartungen der Zentrale in München. Deshalb wird der neue Mini künftig sowohl eine frontgetriebene Plattform wie auch die Motoren mit den Einstiegsmodellen von BMW, der nächsten 1er-Baureihe und dem neuen 2er Active Tourer, teilen.
Dafür ist der Mini in anderer Beziehung längst Vorbild für die Branche: Durch geschicktes Marketing wurde der Kleinwagen als Lifestyleprodukt mit Premiumcharakter in einer höheren Preisklasse positioniert. Wer mag, kann das Auto zudem mit zahlreichen teuren Extras auf die eigenen Wünsche zuschneiden lassen. Mit diesem sogenannten Customizing kommt das Geschäftsmodell erst so richtig in Fahrt: „Die ersten 10 000 Euro bringen nur eine operative Marge von fünf Prozent – darüber wird die Gewinnspanne zweistellig“, sagt Autoanalyst Stürmer.
Toyota bietet den Käufern sogar die Möglichkeit, Karosserie-Elemente und Dekor-Details später gegen kleines Geld auszutauschen. Pate stand der Smart der ersten Generation. Dort hat man von der Idee inzwischen wieder Abstand genommen – zu viel Aufwand, zu wenig Ertrag.