Einmal mehr wurde im Sommer 2013 der Tod von Detroit und der jährlichen Auto-Show verkündet. „Motor City ist endgültig Geschichte“, zitierte der Spiegel nach dem Insolvenzantrag der Stadtverwaltung den Autoexperten Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. „Wer will sein neues Fahrzeug schon an einem Ort präsentieren, der für die große Pleite steht?“
Und kurz vor Beginn der IAA 2015 war für Deutschlands bekanntesten Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer klar: „Mit der IAA setzt sich der Bedeutungsverlust von Automessen fort. Der Novitäten-Reiz der Messen schrumpft.“
Pleite? Bedeutungsverlust? Schrumpfender Reiz? Allen Unkenrufen zum Trotz präsentieren sich die großen internationalen Ausstellungen in robuster Verfassung. Die IAA 2015 schloss ihre Tore mit einem Plus von 30.000 Besuchern, das sind sechs Prozent. Auch die Detroit Auto Show schaffte dieses Jahr mit 815.000 verkauften Tickets einen neuen Besucherrekord. Und die Veranstalter des Genfer Salons meldeten bereits im Januar stolz, die Ausstellungsfläche von 106.000 Quadratmetern wäre komplett ausgebucht.
Messen bieten mehr als das Internet
Automessen sind die Pilgerstätten der Automobilkultur. Nirgendwo sonst präsentiert sich die Branche strahlender und selbstbewusster, nirgendwo sonst ist die Anziehungskraft des Automobils ungebrochener, nirgendwo sonst bekommt man einen besseren Überblick über das globale Angebot an Marken, Modellen und Technologien.
Kleinwagen neben Luxus-SUV, Cabrio neben Kastenwagen – die ganze Welt des Automobils als multisensorisches Live-Erlebnis, das macht die Anziehungskraft der großen Messen aus.
Denn trotz 360-Grad-Bildern, Virtual Reality und 3D-Effekten kann das Internet nur eine abstrakte Vorstellung eines Autos vermitteln. Messen dagegen bieten ihren Besuchern eine authentische Mischung aus Entdecken, Erleben und Empfinden, aus Information und Entertainment, aus Sehen, Hören, Riechen und Fühlen. Nur hier gibt es alle aktuellen Autos zum Anfassen und sich Hineinsetzen. Nur das Fahren fehlt.
Die beliebtesten Autos der Deutschen
Modell: Audi A4/S4
Neuzulassungen 2015: 52.493 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 48.278 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 8,7 Prozent
Quelle: Kraftfahrtbundesamt (KBA)
Modell: Opel Corsa
Neuzulassungen 2015: 52.741 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 55.151 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: -4,4 Prozent
Modell: Opel Astra
Neuzulassungen 2015: 56.079 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 46.193 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 21,4 Prozent
Modell: Audi A3/S3
Neuzulassungen 2015: 57.858 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 65.199 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: -11,3 Prozent
Modell: Skoda Octavia
Neuzulassungen 2015: 57.907 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 52.620 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 10,0 Prozent
Modell: VW Tiguan
Neuzulassungen 2015: 58.978 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 61.947 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: -4,8 Prozent
Modell: Mercedes C-Klasse
Neuzulassungen 2015: 67.549 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 60.350 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 11,9 Prozent
Modell: VW Polo
Neuzulassungen 2015: 69.967 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 68.103 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 2,6 Prozent
Modell: VW Passat
Neuzulassungen 2015: 97.586 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 72.153 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 35,2 Prozent
Modell: VW Golf
Neuzulassungen 2015: 270.952 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 255.044 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 6,2 Prozent
Drei Plattformen in einem
Messen haben deshalb auch im Online-Zeitalter nichts von ihrer Attraktivität und Bedeutung verloren, weil sie von allen Marketinginstrumenten das breiteste Funktionsspektrum haben: als B2C-Magnet, als B2B-Plattform und als Nachrichtenbörse für die Medien.
Die Berichterstattung über die großen Automessen und die dort präsentierten Neuheiten setzt erst den Impuls für Menschen in aller Welt, sich im Internet über Neuheiten, Trends und Produkte zu informieren.
Genf ist ein Hoffnungsschimmer für die Autobranche
Journalisten sind deshalb eine Kernzielgruppe aller Automessen. 11.300 waren im Vorjahr in Genf akkreditiert, ähnlich viele wie bei der viel größeren IAA. Die Slots für Pressekonferenzen sind so begehrt, dass diese nur noch 15 Minuten dauern und immer zwei Konferenzen parallel stattfinden. 68 davon stehen in diesem Jahr auf der Agenda des ersten Pressetages – von 7:45 bis 17:15 Uhr. Journalist zu sein ist auf Automessen kein Vergnügen.
Die Termindichte verschärft sich 2016 weiter, weil Volkswagen die traditionelle „VW Group Night“ ausfällen lässt. Bislang präsentierte der Konzern bereits am Vorabend der internationalen A-Messen die Neuheiten seiner zwölf Konzernmarken, was den Terminkalender am Folgetag entlastete. Für 2016 sind die opulenten Events mit über 1200 Gästen aufgrund der aktuellen Sparmaßnahmen komplett gestrichen, stattdessen lädt das Unternehmen zu einem vergleichsweise bescheidenen Markenabend mit 400 Gästen ein.
Zusätzlich präsentieren sich die Marken von Seat bis Lamborghini im 20-Minuten-Takt auf ihren jeweiligen Ständen.
Trotz der gestiegenen Anzahl an Ausstellern, Fachbesuchern und Medienvertretern ist Genf aber das Familientreffen geblieben, das den Salon immer von den großen Messen in Frankfurt, Paris und Übersee differenzierte. So ist sie die einzige europäische Messe, auf der Volvo seine Modelle zeigt, seit sich der Hersteller 2015 auf eine Messe pro Kontinent beschränkt.
Genfer „Auto-Frühling“ als Konjunkturspritze
Zudem verleiht der Termin Anfang März dem Genfer Salon eine besondere Bedeutung: Während man sich in Detroit noch ein gutes neues Jahr wünscht, steht in Genf das Frühjahr vor der Tür. Die Aufbruchstimmung überträgt sich auf Geschäftsklima und Kommentare. Der Genfer „Auto-Frühling“ ist als Metapher gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten ein Hoffnungsschimmer der gesamten PS-Branche.
Automobilmessen in ihrer modernen Ausprägung bleiben als hochemotionale, durchgestylte und perfekt inszenierte Auto-Shows ein unverzichtbarer Katalysator für automobile Träume. Auch weil manche Hersteller mit dem Glamour der Messestände die Tristesse ihrer in die Jahre gekommenen Händlernetze kompensieren.
Nach wie vor sind Messen als Bestandteil einer umfassenden, vernetzten Kommunikation ein attraktiver Rahmen für reale Begegnungen und den Beziehungsaufbau, eine perfekte Plattform für Live-Kommunikation und ein Turbo, um die Begeisterung für das Auto am Leben zu erhalten und jüngere Zielgruppen damit neu anzustecken. Der Genfer Salon macht da keine Ausnahme.
Oliver Schrott, Inhaber der gleichnamigen Kölner Kommunikationsagentur, fährt seit 1986 zum Genfer Salon. Damals berichtete der gelernte Journalist erstmals für die "Auto Zeitung" über die Messe. Seit 2001 realisiert seine Agentur OSK die dortigen PR-Auftritte von Mercedes-Benz.