Die Aufregung am vergangenen Wochenende war groß. Gerade erst hatten die Autobauer auf dem Autosalon in Paris ihre Neuheiten präsentiert, darunter zahlreiche Elektroautos, die endlich vernünftige Reichweiter versprechen. Endlich auch von deutschen Herstellern. Und da verbreitete sich die Meldung, der Bundesrat fordere ein Verbot für Benzin- und Dieselmotoren ab 2030. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Von einem „logischen und längst überfälligen Schritt“ bis hin zu einem „Wunschdenken einer Hardcore-Fraktion der Auto-Nihilisten“ war alles dabei.
Die Schlagzeile überspitzt allerdings. Die Vertretung der Bundesländer hat vielmehr in einem Beschluss die EU-Kommission um „eine europäische Strategie für emissionsarme Mobilität“ gebeten. Ob es das formulierte Ziel, dass „spätestens ab dem Jahr 2030 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw zugelassen werden“, am Ende auch in diese Strategie schafft, ist längst nicht sicher.
So weit will es die Bundesregierung offenbar nicht kommen lassen. „Ein komplettes Aus von Verbrennungsmotoren ab 2030 ist vollkommen unrealistisch“, sagte etwa Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). „Es wäre falsch, wenn man Erwartungen weckt, die überhaupt nicht erfüllbar sind.“
Dass der Verband der Automobilindustrie gegen solch drastische Pläne ist, erklärt sich von selbst. Auch Experten halten den kompletten Verzicht ab 2030 für schwer umsetzbar – aber nicht wegen der Autoindustrie. „Unsere heutigen Stromnetze wären sicherlich überfordert“, sagt Christoph Stürmer, Autoanalyst bei der Unternehmensberatung PwC. „Es müsste ein umfassendes und grenzübergreifendes Smart Grid aufgebaut werden. Ob das in diesem Zeitrahmen möglich ist, bezweifle ich.“
Pariser Klimaabkommen setzt strenge Maßstäbe
So oder so: Benziner und Diesel werden es zunehmend schwerer haben. In Norwegen etwa hat es ein ähnlicher Vorschlag immerhin in den nationalen Verkehrsplan geschafft. Großbritannien diskutiert ähnliche Zulassungsbeschränkungen, allerdings erst ab dem Jahr 2040.
Getrieben werden derartige Vorschläge vom Pariser Klimaabkommen, dass im Jahr 2050 einen vollständig emissionsfreien Verkehr vorsieht. „Wenn wir die Ziele des Abkommens ernst nehmen, müssen wir sehr schnell konkrete Anreize schaffen, um später starke administrative Eingriffe, wie etwa Fahrverbote, zu vermeiden“, sagt Stürmer. „Momentan geht das eher langsam, der Übergang muss sich beschleunigen.“
Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland 2009-2015
Im Jahr 2009 wurden in Deutschland 162 Elektroautos zum ersten Mal zugelassen.
Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt
Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 541 Elektroautos zum ersten Mal zugelassen.
Im Jahr 2011 wurden in Deutschland 2.154 Elektroautos zum ersten Mal zugelassen.
Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 2.956 Elektroautos zum ersten Mal zugelassen.
Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 6.051 Elektroautos zum ersten Mal zugelassen.
Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 8.522 Elektroautos zum ersten Mal zugelassen.
2015 stieg der Elektroauto-Absatz auf 12.363 Exemplare. Für das Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020 ist das weiter viel zu wenig. Der Bestand liegt derzeit bei rund 19.000 Elektroautos.
Der Grund ist einfach: Im Gegensatz zu den aktuellen Abgas-Vorschriften, die sich ausschließlich auf Neufahrzeuge beziehen, sollen die Vorgaben aus dem Pariser Abkommen für den gesamten Fahrzeugbestand gelten.
Bei einem Bestand von mehr als 900 Millionen Pkw weltweit und einem durchschnittlichen Verkaufsvolumen von knapp 67 Millionen Einheiten ergibt sich – ohne weiteren Bestandsaufbau – mindestens eine Zeitspanne von rund 14 Jahren, um alle CO2-intensiven Pkw gegen saubere Pendants auszutauschen, realistisch sind eher 20 Jahre. „Das bedeutet, dass die Automobilindustrie schon ab 2030 in der Lage sein sollte, überwiegend CO2-neutrale Autos anzubieten. Bei einem durchschnittlichen Modelllebenszyklus von sechs Jahren sprechen wir also von der übernächsten Produktgeneration“, so Stürmer.
Der Mercedes Generation EQ
Der Allradler wird in verschiedenen Leistungsstufen bis hin zu 300 kW / 403 PS angeboten.
Die maximale Reichweite soll ebenso wie beim GLC Fuel Cell bei 500 Kilometern liegen. Induktives Laden wird möglich sein.
Die Paris-Studie Generation EQ hat insbesondere in der Bodengruppe technische Gemeinsamkeiten mit dem 4,66 Meter langen Mercedes GLC; jedoch ist das Elektromodell etwas größer. Die Akkupakete mit einer Kapazität von bis zu 70 kWh befinden sich im Fahrzeugboden.
Der Preis des neuen EQ soll etwa dem eines gut ausgestatteten GLC entsprechen, so der Daimler-Chef auf dem Autosalon. Nach Liste beginnt der GLC bei 38.000 Euro (Diesel) bzw. 37.750 Euro (Benzin).
Die Lithium-Ionen-Batterie stammt von der Daimler-Tochter Deutsche Accumotive in Kamenz. Ab Oktober wird das Werk erweitert. Bereits ab Ende 2017 sollen in dem neuen Teil Akkus produziert werden.
In dem Szenario, das Stürmer in einer aktuellen Studie zeichnet, wird 2030 jeder dritte in Europa verkaufte Neuwagen ein reines Elektroauto sein. Bereits zwei Jahre früher überholen demnach die E-Autos mit einem Neuzulassungs-Anteil von 30 Prozent die reinen Verbrenner (28 Prozent). Den Großteil der Neuwagen werden Hybride unterschiedlichster Bauart ausmachen.
Angesichts der aktuellen Marktanteile von rund 0,3 Prozent für E-Autos und einem Prozent für Hybride scheint das PwC-Szenario ambitioniert. Selbst die Kaufprämie konnte den Absatz bislang nicht entscheidend ankurbeln. Das CO2-Ziel von 95 Gramm pro Kilometer im Jahr 2021 (jener Grenzwert, der nur an den verkauften Neuwagen bemessen wird) ist bislang vor allem ein Problem der Hersteller – die Kunden kaufen lieber PS-starke SUV.
Die Frage, wie auf diese Weise das noch nicht festgelegte CO2-Ziel für das Jahr 2025 (in der Diskussion sind Werte zwischen 68 und 78 Gramm) erreicht werden soll, lässt nur eine Antwort zu: Die Hersteller müssen mehr und mehr reine Verbrenner durch einen (teil-)elektrischen Antrieb ersetzen. Sonst drohen empfindliche Strafen.
Autobauer starten unsinniges Reichweiten-Rennen
Im Umkehrschluss heißt das: Wenn auch bis zu 4.000 Euro Förderung der Nachfrage nicht auf die Sprünge helfen, sind die Produkte derzeit einfach nicht attraktiv genug.
Einen Ausblick auf die kommenden Modelle gab es in den vergangenen Wochen auf dem Pariser Autosalon: Opel zeigte den Ampera-e, Mercedes mit dem „Generation EQ“ und VW mit dem „I.D.“ jeweils Studien ihrer Elektroautos, die 2018 auf den Markt kommen sollen. Die Reichweiten liegen jeweils bei mindestens 500 Kilometern, so zumindest die Ankündigungen. BMW, VW und Renault wollen zudem bei den bestehenden Elektroautos verbesserte Akkus verbauen, damit sie künftig 300 Kilometer (i3 und e-Golf) oder gar 400 Kilometer (Renault Zoë) weit kommen.
Mit dem Wettrennen um die größten Reichweiten wollen die Autobauer einem großen Hemmnis der Elektromobilität entgegentreten: der Angst der Kunden, mit einer leeren Batterie liegen zu bleiben. Experte Stürmer hält das für unnötig. „Das macht die Autos nur schwerer und teurer“, sagt der Auto-Analyst. „Eine reale Reichweite von 100 Kilometern unter allen klimatischen Bedingungen reicht aus. Niemand zahlt in der Golf-Klasse den Preis für eine 100-kWh-Batterie.“ 100 Kilowattstunden ist die derzeit größte verfügbare Option bei dem kalifornischen Elektroautobauer Tesla – allerdings kosten die Autos dann über 150.000 Euro.
Batterie-Kosten sind ein entscheidender Faktor
Auch BMW verbaut nicht die größtmögliche Batterie – aber nicht mangels Nachfrage. „Wer die CO2-Bilanz eines Elektroautos gegenüber einem Diesel verbessern möchte, darf nicht die größtmögliche Batterie in das Fahrzeug einbauen“, sagt Heinrich Schwackhöfer, zuständiger Produktmanager für die BMWi-Elektroautos. „BMW bringt auch nicht alles auf die Straße, was technologisch heute schon möglich ist, aber noch nicht nachhaltig ist.“
Nachhaltigkeit und Kosten sind in der energieintensiven Batterie-Herstellung wichtige Faktoren. Bei einem Verbrenner steigen die Produktionskosten kaum, wenn man anstelle eines 200-PS-Motors einen mit 300 PS einbaut – oder einen 90-Liter-Tank anstelle eines mit 60 Litern. Soll aber eine Batterie 50 Prozent größer werden, steigen auch die Kosten um 50 Prozent – mindestens. So musste Tesla-Gründer Elon Musk eingestehen, dass man den technologischen Aufwand unterschätzt hatte, um bei gleichbleibender Batteriegröße von 90 auf 100 Kilowattsunden bei der Kapazität zu kommen. Die im Vergleich zu dem 90-kWh-Modell 100 Kilometer zusätzliche Reichweite kosten über 32.000 Euro.
Nicht nur angesichts solcher Zahlen hält Stürmer an seinem Szenario fest: Die Nachfrage nach Elektroautos wird zunächst vor allem im urbanen Raum steigen, denn da sind nur geringe Reichweiten notwendig. „Im Stadt- und Pendelverkehr wird es mit potenziellen Einfahrverboten oder Vorteilen wie freiem Parken bald gute Gründe für Elektroautos geben“, so Stürmer. „Wegen der sinkenden Batteriekosten werden gerade in kleinen Fahrzeugen die Elektroantriebe auch günstiger als Verbrenner werden.“
Auch Opel bewirbt sein kommendes Elektroauto mit Eigenschaften, die in der Großstadt praktisch sind. „Da in einem Elektroauto wesentliche Teile wie die Abgasanlage oder der Tank fehlen, gewinnen wir Platz im Innenraum des Fahrzeuges“, sagt Ralf Hannappel, Leiter der europäischen Elektroautoentwicklung bei Opel. „Von den Außenmassen ist es ein Kleinwagen, aber von innen eher ein familientauglicher Kompaktwagen.“
Auch das Thema Reichweite sieht Hannapel gelöst: Zu dem Autosalon ist er in einem Vorserienmodell des Ampera-e von London nach Paris gefahren. Ohne Nachladen, versteht sich.
Mit solchen Demonstrationsfahrten versuchen die Autobauer regelmäßig, öffentlichkeitswirksam den Bedenken der Kunden entgegenzutreten – sei es nun ein autonomes Auto oder eines mit Elektro- oder Brennstoffzellenantrieb. Ein rein deutsches Problem, wie PwC-Experte Stürmer findet: „Das Mobilitätsverhalten in Deutschland ist von unserem Habitus als Autoland geprägt. Das kommt den Diesel- und Premiumfahrzeugen stark entgegen und widerspricht der Nutzung von Elektroautos, wie wir sie in anderen Ländern sehen.“
Auf Langstrecken, bei denen der Deutsche noch in sein Auto steigt, nimmt ein Franzose fast selbstverständlich den TGV, um nur ein Beispiel zu nennen. Hierzulande wird noch auf Reichweiten und fehlender Schnelllade-Infrastruktur herumgeritten, wo sich in Kalifornien längst zeigt, dass die überwiegende Mehrheit ihren Tesla zu Hause über die Steckdose lädt – was zwar länger dauert, aber auch schonender für den Akku ist.
Stürmer schätzt, dass es bei dem Ladenetz bald einige neue Angebote geben wird, da das Thema bei vielen Energieversorgern und zunehmend auch Mineralölunternehmen ganz oben auf der Agenda stehe. Ob der Kunde die Elektroautos dann besser annimmt, bleibt offen. Für die Autobauer gilt laut Stürmer: „Je größer der Druck von Gesellschaft und Gesetzgeber auf konventionelle Antriebe wird, desto eher wird in neue Technologien investiert. Das Marktrisiko bleibt aber.“