Sanft schimmert die anthrazitgraue Fassade im Sonnenlicht, große Fensterflächen geben den Blick auf das hell gestaltete Innere frei. In einer Ecke stehen beige Ledersofas, der ganze Raum ist in warmes Licht getaucht.
Wer bei dieser Beschreibung an eine Kaffeebar oder Cocktail Lounge denkt, liegt falsch. So sieht die Zukunft eines Autohauses aus – zumindest wenn es nach Jaguar Land Rover geht.
Dieses besondere Autohaus liegt an der Hanauer Landstraße in Frankfurt – und es soll kein Einzelfall bleiben: Mit dem neuen Erscheinungsbild namens „Arch“ (englisch für „Bogen“) werden künftig alle Jaguar-Land-Rover-Händler auftreten. Die neue Corporate Identity soll den Bogen spannen, zwischen den Showrooms der beiden gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Marken.
Jaguar Land Rover in Zahlen
2013 war für Jaguar Land Rover das beste Verkaufsjahr weltweit, in 38 Ländern konnten die Briten Rekordergebnisse erzielen. Insgesamt fanden 425.006 Neuwagen der Marken Jaguar, Land Rover und Range Rover einen Besitzer, was einem Plus von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Von 2011 (274.280 Autos) auf 2012 (357.773 Fahrzeuge) war der Zuwachs mit 30 Prozent noch größer. Auch im laufenden Jahr gehen die Geschäfte bei JLR gut: Im ersten Halbjahr wurden 240.372 Autos verkauft – ein Plus von weiteren 14 Prozent.
Am 31. März endete das Geschäftsjahr 2013/2014 mit einem Umsatz von 19,4 Milliarden Pfund. Vor Steuern blieb ein Gewinn von rund 2,5 Milliarden Pfund (umgerechnet 3,15 Milliarden Euro) beim Unternehmen übrig.
Gesamt: 80.000 Fahrzeuge
Jaguar XK: 3000 Fahrzeuge
Jaguar XJ: 20.000 Fahrzeuge
Jaguar XF: 49.000 Fahrzeuge
Jaguar F-Type: 9000 Fahrzeuge
Gesamt: 118.000 Fahrzeuge
Defender: 17.000 Fahrzeuge
Discovery: 45.000 Fahrzeuge
Freelander: 56.000 Fahrzeuge
Gesamt: 236.000 Fahrzeuge
Range Rover: 46.000 Fahrzeuge
Range Rover Sport: 67.000 Fahrzeuge
Evoque: 123.000 Fahrzeuge
Seit 2009 hat sich die Zahl der Beschäftigten mit 30.000 mehr als verdoppelt. Allein in den vergangenen zwei Jahren wurden 12.000 neue Stellen geschaffen.
„Weg mit dem Staub und den Chesterfield-Sofas – die Zeit ist vorbei“, sagt Deutschland-Chef Peter Modelhart. Sprich: Wer moderne und hochwertige Autos an die solvente Kundschaft bringen will, braucht auch die dazu passenden Autohäuser.
Doch selbst mit Staub und Chesterfield erlebten die britischen Nobelmarken in den vergangenen Jahren einen Kundenansturm. Weltweit stiegen die Zulassungszahlen im ersten Halbjahr um 14 Prozent auf über 240.000 Fahrzeuge. In Deutschland legte Jaguar mit 2.600 Einheiten in den ersten sechs Monaten um 16,8 Prozent zu, Land Rover verbuchte mit 9.074 Verkäufen ein Plus von 16,2 Prozent.
Zwei neue Modelle in einer Woche
Der Sturm auf die Händler von Jaguar und Land Rover dürfte weiter anhalten. Denn in diesen Tagen feiern zwei neue Einstiegsmodelle Premiere: In der Nacht zum Mittwoch hat Land Rover bei einer Online-Präsentation das virtuelle Tuch des neuen Discovery Sport entfernt. Am kommenden Montag folgt die Jaguar-Mittelklasse-Limousine XE.
Beide Fahrzeuge sollen neue Kundenkreise für das Unternehmen erschließen. Glaubt man den Prognosen von IHS Automotive, könnten sich die kleineren Modelle lohnen: Bis zum Jahr 2020 sagt das Analysehaus eine konstant steigende Nachfrage für Premium-Autos in der ohnehin absatzstarken Mittelklasse voraus – egal ob klassische Limousine oder modischer SUV.
Der Discovery Sport löst den Freelander ab, der bislang aus der Baureihen-Gliederung bei Land Rover herausragte. In der neuen Produktstruktur fallen alle Range Rover in die Kategorie „Luxus“, auch der kleine Evoque. Den Bereich „Offroad“ deckt der Defender ab. Und die Discovery-Linie, die weiter ausgebaut werden soll, steht im Land Rover-Prospekt für Familie, Freizeit und Vielseitigkeit.
Beim XE, der gegen Mercedes C-Klasse, BMW 3er und Audi A4 antreten soll, gab es im Jaguar-Prospekt unterhalb des größeren XF kein passendes Modell. Es ist nicht der erste Vorstoß der Briten in die Mittelklasse: 2001 brachte Jaguar unter der Regie des damaligen Eigentümers Ford den X-Type auf den Markt. Dieser teilte sich die Plattform mit dem Ford Mondeo – war aber trotz zahlreicher eigener Bauteile als plumpe Kopie eines Mondeos verschrien.
Richtige Wachstumsstrategie
Dementsprechend floppte auch der X-Type am Markt, in acht Jahren Bauzeit wurden rund 350.000 Fahrzeuge gebaut. Mit genauen Erwartungen an den XE hält sich Jaguar öffentlich zurück. Nur so viel: Man erhofft sich vom XE ein „höheres Volumen als alle anderen Modelle“. Und das waren 2013 immerhin 76.668 Stück.
Frank Schwope von der NordLB hält die Strategie, die Marken nach unten zu öffnen, für richtig. „Durch die niedrigeren Preise der kleineren Modelle erreichen die Autobauer einen deutlich größeren Käuferkreis,“ sagt der Branchenanalyst. „Premium ist nicht eine Frage der Größe eines Autos, sondern des Images, der Ausstattung und des Marketings.“
Der Untergang des Abendlands
An den derzeitigen Höhenflug von Jaguar und Land Rover hat zu Beginn des Jahrtausends wohl kaum jemand geglaubt. BMW schloss das Abenteuer bei Rover 1999 mit dem Rekordverlust von umgerechnet 2,5 Milliarden Euro ab, Vorstandschef Bernd Pischetsrieder musste in München wegen des Desasters auf der Insel seinen Posten verlassen.
Auch Ford scheiterte an dem Versuch, Jaguar, Aston Martin und Volvo zu sanieren. Alle drei Marken hat der Weltkonzern inzwischen verkauft – und allen geht es seitdem deutlich besser.
Als die beiden britischen Marken im Jahr 2008 unter ein Dach zusammengeführt wurden, sah das für viele Branchenbeobachter immer noch nicht nach der Erfolgsgeschichte aus. Dass sich das geändert hat, verdankt das Unternehmen vor allem zwei Männern: Der deutsche CEO Ralph Speth brachte die beiden Autobauer mit einer grundlegenden Neuausrichtung wieder auf Kurs. Und der indische Großindustrielle Ratan Tata finanzierte Speths Vorhaben.
Der Aufschrei war groß, als ausgerechnet ein Inder die britischen Auto-Ikonen übernahm. Ein Industriemagnat aus dem Auto-Entwicklungsland Indien soll das schaffen, woran BMW und Ford gescheitert waren? Das klang in den Ohren britischer Auto-Enthusiasten nach dem Untergang des Abendlands.
Doch sechs Jahre später sind die Kritiker still. Die Briten übertreffen andere Premiumgrößen wie Audi, Mercedes und BMW bei der Umsatzrendite. Jaguar Land Rover kommt bei der wichtigen Kenngröße auf rund 14 Prozent, die deutschen Hersteller kämpfen um die Zweistelligkeit. Nur Porsche liegt schier uneinholbar vorne. „Die derzeit hohe Marge wird mit kleineren Autos nicht zu halten sein, aber wegen des zu erwartenden großen Absatzwachstums wird der voraussichtlich absolute Gewinn steigen – und das zählt am Ende“, sagt NordLB-Mann Schwope.
Privatkredit stellte in der Krise die Banken still
Auf dem Weg zum heutigen Erfolg war eine Entscheidung des 76-jährigen Inders besonders wichtig. „Tata hat die Marken gekauft, um sie zu besitzen, nicht um sie zu führen“, sagt Deutschland-Chef Modelhart. Als es kurz nach der Übernahme brenzlig wurde, stellte Tata die Banken mit einem Privatkredit in Höhe von 1,5 Milliarden Euro still.
Doch anstatt sein Kapital möglichst schnell wiederzubekommen, begnügt er sich mit einer relativ bescheidenen Rendite. Im Rekord-Geschäftsjahr 2013/2014 zahlte Jaguar Land Rover bei einem operativen Ergebnis von rund 3,4 Milliarden Pfund eine Dividende von nur 150 Millionen Pfund an seinen Eigentümer aus.
So bleibt ein Großteil der Gewinne im Unternehmen. Dieses Geld kann Speth in Werke wie das neue Motorenwerk in South Staffordshire oder neue Modelle investieren – zum Beispiel das Kompakt-SUV Range Rover Evoque. Das Modell kam 2011 auf den Markt und sollte mit seinen großstadttauglichen Abmessungen das Angebot neben dem wuchtigen Range Rover samt immer noch stattlichen Sport-Ableger nach unten erweitern – und schlug am Markt ein.
Während der Absatz der Marken Land Rover und Jaguar relativ konstant auf inzwischen 118.000 und 79.000 Fahrzeuge gewachsen ist, hat sich der Range-Rover-Absatz seit 2010 auf inzwischen 233.000 Geländewagen mehr als vervierfacht. Der Evoque hat mit alleine 121.000 Einheiten mehr Verkäufe erzielt als die Land Rover-Modelle Defender, Discovery und Freelander zusammen. Jetzt sollen die Marken Land Rover mit dem Discovery Sport und Jaguar mit dem XE dem Vorbild Evoque nacheifern – zumindest bei den Verkaufszahlen.
Damit hat der Evoque auch ganz entscheidend dazu beigetragen, den Gesamtabsatz aller drei Marken in den vergangenen fünf Jahren mehr als zu verdoppeln, auf zuletzt 435.000 Autos. In der Branche mehren sich die Stimmen, die an einen weiteren Erfolg der Briten glauben. Selbst der sonst kritische Analyst Max Warburton von Bernstein Research geht davon aus, dass Jaguar Land Rover schon 2018 rund 800.000 Autos verkaufen wird – was nochmals einer Verdopplung entspricht.
Der Vorteil des Kleinen
Der Aufstieg der Briten ist aber nicht nur hausgemacht. Auch die deutschen Hersteller ermöglichen durch ihre Expansion kleineren Herstellern, exklusive Nischen zu besetzen. „Die deutschen Hersteller haben einiges an Exklusivität verloren, weil sie in Marktsegmente wie die Kompaktklasse eingestiegen sind“, sagt Branchenexperte und Berater Bernd Hönnighausen.
Dem pflichtet auch Frank Schwope bei. „Ein großer Vorteil von Jaguar und Land Rover ist, dass sie noch keine Massenhersteller sind. Audi, Mercedes und BMW bezeichnen sich zwar selbst als Premiumhersteller, mit einem Absatz von über 1,5 Millionen Fahrzeugen sind sie aber de facto ein Volumenhersteller“, sagt der Auto-Analyst. „So können Jaguar und Land Rover die exklusiveren Autos bauen, die eben nicht vor jeder Garage stehen.“
Der neue Technik-Vorstand ist der langjährige BMW-Manager Wolfgang Ziebart. Er sieht in der Größe einen weiteren Vorteil. „Wir sind schneller und brauchen nicht so viel Aufwand“, sagte Ziebart dem „Handelsblatt“. „Wir haben nicht so viele Leute, die da herumentscheiden.“
So brüsten sich etwa die Briten damit, dass der XE als erste Mittelklasse-Limousine mit einem vollständig aus Aluminium gefertigten Rahmen ist. Und während man bei den deutschen Premiummarken einen Plugin-Hybriden mit Dieselmotor vergebens sucht, will Range Rover noch im Laufe des Jahres ein solches Modell auf den Markt bringen.
Denn Jaguar Land Rover muss ebenfalls bestimmte CO2-Ziele erreichen, wenn auch nicht ganz so tiefe Werte wie größere Volumenhersteller. Im vergangenen Jahr betrug der Flottenwert 181 Gramm je Kilometer - ein Viertel weniger als 2007. 2020 müssen es dann 135 Gramm sein.
Das Schloss mit Kiesweg hat ausgedient
Neben technischen Neuheiten ergeben sich Spielräume für Modelle, die sich von der Konkurrenz abheben – wer nicht zu Audi A6, BMW 5er und Mercedes E-Klasse greifen will, findet inzwischen zahlreiche Alternativen. Japanische Nobelmarken wie Lexus oder Infiniti buhlen mit ihren Hybrid-Limousinen um die umweltinteressierte Kundschaft, Citroën zielt mit dem DS5 auf die Liebhaber extravaganten Designs, Maserati um die Fans des italienischen Dolce Vitas.
Jaguar will hingegen mit seiner „Britishness“ punkten, wobei auch dieser Begriff sich für Jaguar Land Rover gewandelt hat. „Unser Design kommt immer aus England“, sagt Deutschland-Chef Modelhart. „‘British‘ heißt aber nicht das Schloss mit dem traditionellen Kiesweg, sondern ein modernes England – so cool, wie man es bei Olympia 2012 erleben konnte.“
Diese moderne Britishness soll sich auch in der Corporate Identity für die Händler wiederfinden. Es sollen aber nicht nur bestehende Jaguar- oder Land Rover-Autohäuser umgestaltet werden. Die Briten wollen auch ihr Handelsnetz ausbauen und damit an die ständig steigenden Verkaufszahlen anpassen. Bis Ende nächsten Jahres soll es auf 76 Jaguar- und 124 Land-Rover-Betriebe wachsen. Das wäre ein Drittel mehr als noch 2010.
Doch selbst wenn Jaguar und Land Rover mit einem engmaschigeren Händlernetz ihre kahlen Stellen auf der Deutschland-Karte verringern können - eine echte Gefahr beim Absatz werden die Briten für die einheimischen Premiumhersteller in den nächsten Jahren nicht. Doch sie werden ernstgenommen.
Ein Beleg: Im vergangenen Jahr fragte Jaguar bei BMW an, ob man bei leistungsstarken Motoren für die großen Modelle kooperieren könne. Die Antwort aus München: „Nein, warum sollen wir einen Wettbewerber stärken?“