Fünf Monate ist es her, da berichteten VW-Mitarbeiter ihrem obersten Chef Matthias Müller, dass das Unternehmen nicht nur bei Angaben über Stickoxidemissionen betrogen habe, sondern auch bei CO2-Werten. Bei Abgastests seien beispielsweise Reifen und Motorenöle manipuliert worden, um einen niedrigeren CO2-Ausstoß vorzutäuschen. Laut VW geht es um rund 36000 Autos und neun verschiedene Modelle.
Weil ein höherer CO2-Ausstoß gleichbedeutend ist mit einem höheren Verbrauch, wurden VW-Kunden betrogen, die mit einem höheren Spritverbrauch leben müssen, als von VW angegeben. Aber auch der Staat wurde geschädigt, weil die Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß bemessen wird.
Während die behördlichen Untersuchungen dieses Falls noch laufen, scheint sich ein viel größerer CO2-Skandal anzubahnen, der weite Teile der Branche erfassen könnte: Das Bundesverkehrsministerium habe, wie Spiegel Online berichtet, bei eigenen Messungen im Zuge des VW-Skandals bei 30 Automodellen auffällig hohe CO2-Emissionen festgestellt. Zu Beginn der Woche erfuhr die WirtschaftsWoche aus Kreisen des Ministeriums, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt diese verdächtigen Messwerte, die ihm bereits seit Monaten vorliegen, weiter unter Verschluss halten will. „Das Bundesverkehrsministerium hat davon Abstand genommen, die gemessenen CO2-Werte zu veröffentlichen“, hieß es aus Kreisen des Ministeriums. Laut Ministerium sind die CO2-Messungen nicht zur Veröffentlichung geeignet, weil sie nicht standardisiert und damit nicht vergleichbar seien.
Die Enthüllungen über Dobrindts CO2-Messdaten kommen wenige Tage nachdem die japanischen Hersteller Mitsubishi und Suzuki eingeräumt haben, ebenfalls bei Verbrauchs- und CO2-Anhaben betrogen zu haben. Mitsubishi hat die CO2-Werte fast aller Modelle in Japan über Jahrzehnte geschönt. Das Geständnis dürfte Milliarden kosten, Konkurrent Nissan sprang per Beteiligung als Retter ein. Suzuki hat ebenfalls Verbrauchs- und CO2-Angaben gefälscht.
Differenz zwischen Test- und Realverbrauch wächst
Auch in Europa mehren sich verdächtige Messergebnisse unabhängiger Forschungseinrichtungen. Besonders dubios scheint dabei der Diesel. Herstellern fällt es immer schwerer, den Verbrauch zu senken. Laut einer Studie im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen sind beim Diesel – anders als beim Benziner – die Potenziale zur Reduzierung des Verbrauchs „weitestgehend gehoben“. Auf dem Papier werden Autos dennoch immer sauberer, weil die Hersteller sie optimal an die Prüfverfahren anpassen. Die dabei ermittelten Werte haben mit der Realität auf der Straße immer weniger zu tun. 2001 verbrauchten Autos acht Prozent mehr als vom Hersteller angegeben, heute sind es rund 40 Prozent. Die Schere geht beim Diesel noch schneller auseinander als beim Benziner.
Die US-Umweltorganisation ICCT, die schon den VW-Skandal ins Rollen brachte, hat etliche Hersteller überprüft. Unrühmlicher Spitzenreiter ist Mercedes. Modelle der A-, C- und E-Klasse verbrauchten im ICCT-Test rund 50 Prozent mehr als angegeben. Auch Modelle von BMW und Peugeot erreichten diese Marke fast. Daimler hält die Untersuchung für nicht repräsentativ. BMW hält die Schlussfolgerungen, die ICCT aus den Daten ziehe für falsch. Während sich an den Testvorgaben nichts geändert habe, sei der "Realverkehr" heute durch mehr Staus und dichteren Verkehr geprägt. Zudem nehme im realen Straßenverkehr das Gewicht anderen Einflussgrößen (siehe Beispiel Klimaanlage) zu.
Test versus Straßenverkehr
Die Klimaanlage darf auf dem Rollenprüfstand nicht angeschaltet sein. Sie kann zu einem Mehrverbrauch von etwa 1 Liter pro 100 km führen. Bei einem älteren Fahrzeug, das einen Verbrauch von 10 Liter pro 100 km aufweist, entspricht das einer Abweichung von 10 Prozent. Bei einem modernen Auto, das nur noch 5 l/100 km benötigt, führt die Nutzung der Klimaanlage zu einer Abweichung von 20 Prozent.
Eine Untersuchung der französischen Regierung entlarvte ähnlich hohe Abweichungen zwischen Labor und wahrem Leben. Anders als die deutsche Regierung veröffentlichten die Franzosen unlängst die Daten. Auch bei ihnen kam Mercedes schlecht weg. Für Daimler sind diese Testergebnisse „nicht nachvollziehbar“. Es gebe keinen Verstoß gegen Rechtsvorschriften.
Ein Beweis für Betrug sind solche Tests noch nicht, denn das Gesetz erlaubt etliche Tricksereien. Nach Meinung von Kai Borgeest, Leiter des Zentrums für Kfz-Elektronik und Verbrennungsmotoren an der Hochschule Aschaffenburg, könnten selbst 50 Prozent Differenz zwischen Realverbrauch und Herstellerangaben noch mit legalen Tricks begründet werden.
Politiker in der EU und im Bundestag sind dennoch alarmiert. In Untersuchungsausschüssen wollen sie den Abgasnebel lichten. „Im Bundestags-Untersuchungsausschuss werden wir nicht nur die Manipulationen von Stickoxid untersuchen, sondern auch anderer Emissionen wie CO2“, sagt Oliver Krischer, Vize-Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Spätestens dann wird Dobrindt auch seine CO2-Daten vorlegen müssen.