Continental-Chef Degenhart "Wer zu früh dran ist, der verbrennt Milliarden"

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„Reifen für Elektroautos sind anspruchsvoller“

Soll ein Auto entscheiden, ob es in eine Menschengruppe oder gegen eine Mauer fährt?
Wir müssen unseren Ingenieuren weltweit Regeln an die Hand geben, die darüber entscheiden, wie die Autos programmiert werden sollen. Es ist gut, dass Deutschland – übrigens leider bislang als einziges Land – eine Ethikkommission hat, die darüber diskutiert. Wir werden nie alle nur denkbaren Situationen vorher erfassen und das Auto dafür programmieren können. Man darf es aber auch nicht zu kompliziert machen.

Das heißt?
Droht eine Kollision, fragen wir als Erstes: Lässt sich die Kollision über Ausweichmanöver vermeiden? Ist das nicht möglich, ist die nächste Priorität, die Geschwindigkeit zu reduzieren, um die Folgen einer Kollision zu verringern. Als Nächstes stellt sich die Frage, wessen Schutz vorgeht – der Schutz der Fahrzeuginsassen oder der Schutz anderer Menschen außerhalb des Autos? Eine Möglichkeit könnte sein, dass der Schutz des Schwächeren Vorrang hat. Ein Fußgänger hat keine Knautschzone. Die Entscheidung könnte also lauten, dass das Auto eine Beule bekommt und dabei das Risiko in Kauf nimmt, dass sich der Fahrer eine Beule holt.

Wie Continental 2015 abgeschnitten hat

Woher bekommt das Auto die Daten, die es braucht, um auszuweichen?
Neben den Signalen und Informationen der Sensoren an Bord ist es wichtig, dass möglichst viele Autos miteinander vernetzt sind. Jedes Auto muss Informationen bekommen, die die Sensoren anderer Autos in der Umgebung bereitstellen. Nur wenn wir wissen, was auf der Strecke vor dem Fahrzeug passiert, wenn wir die Landschaft kennen, die Straße, das Wetter, kann sich das Auto bestmöglich darauf einstellen.

Ich muss dazu meine Fahrdaten teilen?
Dafür bekommen Sie einiges. Zum Beispiel können Sie Sprit sparen und Emissionen senken. Statistisch steht jeder deutsche Autofahrer 1,5 Jahre im Stau. Künftig weiß das Auto anhand der Daten anderer Fahrzeuge, wo der Verkehr flüssiger läuft.

Audi, BMW und Daimler haben den Kartendienst Here übernommen, über den Autos künftig Informationen bekommen. Wollen Sie bei Here noch mitmachen?
Absolut. Da laufen Gespräche.

Wollen Sie eine Beteiligung?
Wir sind seit 20 Jahren Partner von Here und daran interessiert, diese sehr gute Partnerschaft aufrechtzuerhalten. Ob das am Ende über eine Beteiligung erfolgt, ist nicht entscheidend. Falls das gewünscht ist, sind wir auch dafür offen, es werden aber wohl keine 20 Prozent werden.

Womit die Zulieferer zu kämpfen haben

Ihre margenstärkste Sparte ist das Reifengeschäft. Elektroautos haben schmalere Reifen. Verdienen Sie an denen weniger?
Die Reifen werden zwar schmaler, aber der Durchmesser nimmt zu. Das hat einen positiven Einfluss auf den Rollwiderstand und damit auf die Reichweite von E-Autos. Und die Reifen sind technisch anspruchsvoller. Der Antrieb wird leiser, das Geräusch der Reifen dringt stärker durch, wir müssen noch mehr Aufwand treiben, um die Reifen leiser zu machen. Und die Reifen verschleißen schneller, denn das Drehmoment der E-Motoren ist viel höher als beim Verbrenner. Das Reifengeschäft stärken wir insgesamt – erst vor wenigen Wochen haben wir zum Beispiel Hoosier gekauft, den Weltmarktführer für Rennreifen.

Wann setzt sich das E-Auto durch?
Der Übergang vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität wird erst zwischen 2025 und 2030 massiv Fahrt aufnehmen. Irgendwann dazwischen wird die Zahl der Verbrennungsmotoren global ihren Spitzenwert erreichen und dann moderat fallen.

Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland 2009-2015

Wir müssen Emissionen schon heute einsparen. Warum dauert der Wandel so lange?
Batteriezellen können heute noch nicht, was sie können müssen, und sind noch erheblich zu teuer. Sowohl Volumen als auch Gewicht der Batterien müssen wir halbieren. Wir müssen es zudem schaffen, dass der Fahrer die Batterie in der Kaffeepause auf 70 bis 80 Prozent aufladen kann. Und wir brauchen mehr Reichweite. Es ist zwar schon heute kein Problem, auf 500 Kilometer Reichweite zu kommen – aber man braucht dann eben statt 150 Kilogramm rund 350 Kilo Batterie. Der gesamte Antriebsstrang kostet dann 30.000 Euro. Auch Subventionen können Kunden nicht zwingen, eine noch nicht wettbewerbsfähige Technologie zu kaufen.

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