Lange Zeit hat Daimler versucht, die Abgasaffäre im eigenen Haus kleinzureden. Der Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte bei Dieselautos betreffe vor allem den Volkswagen-Konzern, so der Tenor in Stuttgart. Seit September 2015 wird gestritten, ob die auch bei vielen anderen Automarken – eben auch Daimler – festgestellte Abweichung zwischen Prüfstand und Alltagsbetrieb rein technisch bedingt und gesetzeskonform ist oder auf illegale Manipulation hinweist.
Daimler-Chef Dieter Zetsche und seine Kommunikationsexperten hatten sich immer wieder vehement für die erste Interpretation der Messwerte eingesetzt. „Bei uns wird nicht betrogen“, sagte Zetsche in einem Interview kurz nach Bekanntwerden von Dieselgate.
Doch jetzt geistert die Zahl von einer Million manipulierter Daimler-Fahrzeuge durch die Medien. Woher stammt diese Zahl? Was würde das für Daimler bedeuten? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Wie lautet der Vorwurf gegen Daimler?
Am Mittwochabend berichteten die „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart den Autobauer verdächtigt, fast zehn Jahre lang Autos mit einem „unzulässig hohen Schadstoffausstoß“ verkauft zu haben. Die Medien zitieren dabei aus einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart, der die Grundlage für die Razzia in mehreren Daimler-Standorten vor wenigen Wochen gewesen sein soll. Dabei soll es um insgesamt mehr als eine Million Fahrzeuge gehen, die zwischen 2008 und 2016 in Europa und den USA verkauft worden seien.
Was steht noch in dem Durchsuchungsbeschluss?
Im Durchsuchungsbeschluss heiße es, Daimler habe die unzulässige Abschalteinrichtung entgegen den Vorschriften dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) als Genehmigungsbehörde nicht offengelegt. Die Fahrzeuge seien wegen der Abschalteinrichtungen auf dem europäischen Markt nicht zulassungsfähig gewesen. Es bestehe die Gefahr eines Entzugs der Zulassung. Das KBA sehe aber bislang keinen Anlass dafür.
Noch tiefer im Abgas-Sumpf als bisher bekannt
Was sagt Daimler zu den Vorwürfen?
Der Konzern wollte das laufende Ermittlungsverfahren nicht kommentieren. Daimler kooperiere vollumfänglich mit den Behörden, so ein Sprecher. Die Gefahr einer Stilllegungsverfügung – weil die Autos womöglich ohne gültige Zulassung verkauft wurden – sehe der Konzern nicht.
Was sagen die Staatsanwälte zu den Berichten?
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die seit März wegen des Verdachts auf Betrug durch die Manipulation der Abgasnachbehandlung bei Diesel-Autos und strafbare Werbung bei Daimler ermittelt, wollte sich nicht äußern.
Was sagt die Börse?
Als Reaktion auf die Berichte sind die Daimler-Papiere am Donnerstag mit einem Abschlag von drei Prozent gestartet. Damit waren sie das Schlusslicht im Dax. „Ganz neu ist das zwar nicht, aber es sieht so aus, als ob es jetzt dramatischer und drastischer wird“, sagte ein Händler. Auch die Aktien von BMW und VW gaben je etwa 0,3 Prozent nach.
Wie die Adblue-Technik funktioniert
Verbrennt Diesel in Motoren, entstehen Rußpartikel und Stickoxide. Die Partikel dringen in die Lunge ein und können Krebs verursachen, Stickoxide reizen die Schleimhäute der Atemwege und Augen und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Sie fördern zudem die Ozonbildung. Damit möglichst wenig der Schadstoffe in die Umwelt gelangt, werden in modernen Fahrzeugen die Abgase in zwei oder drei Stufen gereinigt – zumindest in der Theorie.
Ist die Verbrennungstemperatur im Motor hoch, entstehen wenig Partikel, aber viel Stickoxide. Bei niedrigen Temperaturen ist es umgekehrt.
Der erste Katalysator filtert rund 95 Prozent der Rußpartikel heraus.
Sensoren messen die Stickoxidkonzentration im Abgas. Die Kontrolleinheit spritzt entsprechend Adblue (Harnstofflösung) in den zweiten Katalysator.
Das Adblue reagiert im zweiten Katalysator – das Verfahren heißt selektive katalytische Reduktion (SCR) – zu harmlosem Wasser und Stickstoff. Mehr als 95 Prozent der Stickoxide werden so entfernt.
Nicht alle modernen Dieselfahrzeuge verfügen über die effektive, aber teure Adblue-Technik. Eine Alternative ist der NOx-Speicherkatalysator. Darin werden auf Edelmetallen wie Platin und Barium die Stickoxide gespeichert. In regelmäßigen Abständen wird der Speicherkatalysator freigebrannt, dabei werden die Stickoxide zu unvollständig verbrannten Kohlenwasserstoffen – und/oder Kohlenstoffmonoxid – weiter reduziert. Zum Teil werden auch SCR- und NOx-Speicherkatalysatoren kombiniert – wie etwa im BMW X5.
Welche Modelle sind von den Manipulationen betroffen?
Die Vorwürfe der Ermittler beziehen sich nicht auf bestimmte Fahrzeugmodelle, sondern auf zwei Motorenbaureihen. Die Ermittler verdächtigen Daimler, bei den Motoren der Typen OM642 und OM651 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut zu haben. Der OM642 ist ein V6-Turbodiesel mit drei Litern Hubraum, der in verschiedenen Entwicklungsstufen seit 2005 eingesetzt wird. Der OM651 ist ein Vierzylinder-Reihenmotor, der mit 1,8 oder 2,1 Litern Hubraum seit dem Jahr 2008 angeboten wird.
OM steht dabei konzernintern seit den 1920er Jahren für „Oel-Motor“, da er mit Leichtöl/Diesel betrieben wird. Die Benzinmotoren tragen bei Daimler nur ein „M“ und die entsprechende Baureihennummer.