Der erste Versuch im Herbst 1997 sorgte für Hohn und Spott: Die A-Klasse hatte die Neigung, bei heftigen Lenkmanövern aufgrund des hohen Schwerpunkts aus der Balance zu kommen und zu kippen. Die Konstruktionsschwächen, die sich beim sogenannten Elchtest offenbart hatten, wurden durch den Einbau eines elektronischen Schleuderverhinderers und strafferer Federn zwar beseitigt. Doch der Ruf der Marke war dadurch erst einmal lädiert.
Beim zweiten Versuch, mit dem frontgetriebenen Minivan in der Golfklasse Fuß zu fassen, waren die Kinderkrankheiten der A-Klasse zwar beseitigt. Aber ein Hit wurde der Baby-Benz immer noch nicht. In acht Jahren Produktionszeit wurden von dem werksintern W169 genannten kleinsten Mercedes zwar mehr als eine Million Exemplare verkauft. Aber weder erzielte der Konzern mit dem Modell ordentliche Renditen, noch erreichte man mit der A-Klasse die anvisierte jüngere Zielgruppe. Geschätzt wurde das Auto wegen seiner konstruktionsbedingt hohen Sitzposition vor allem von Senioren.
Bei der Entwicklung der dritten Generation der Mercedes A-Klasse, die nächste Woche auf den Markt kommt, entschloss sich die Konzernleitung deshalb zu einem radikalen Neubeginn, einem freiwilligen Sprung zurück auf Los: weg vom Minivan – hin zu einer sportlichen Optik und damit, so hofft Daimler, zu einer jüngeren Klientel: Die hohe Sitzposition in der alten A-Klasse zog eher die Generation 50plus an und ließ Jüngere zur Konkurrenz abwandern. Die neue A-Klasse nun ist eine Kampfansage an die Premiumkonkurrenten Audi A3 und 1er-BMW, aber auch an den neuen VW Golf.
Technische Details A250
4-Zylinder-Reihenmotor
Hubraum: 1991 ccm
Leistung: 155 kW (211 PS)
max. Drehmoment: 350 Newtonmeter bei 1700 Umdrehungen pro Minute
0–100 km/h in 6,6 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit: 240 km/h
Nach ECE-Norm 6,2 Liter Super/100 km (145 g CO2/km)
Testverbrauch: 7,3 Liter/100 km
Tankinhalt: 50 Liter
Frontantrieb, automatisiertes 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe
1445 kg leer, Zuladung 525 kg
341–1157 Liter nach VDA-Norm
Basispreis: 33.498,50 Euro
Testwagenpreis: 48.498,45 Euro
Vertriebschef Joachim Schmidt lässt sich nicht lange bitten, das neue Fahrzeug persönlich vorzustellen. Zur Probefahrt rund um Stuttgart hat sich „Mister Mercedes“ das Top-Modell ausgesucht: einen A250 Blue Efficiency in Sportausführung, 211 PS stark und knallrot lackiert.
Schmidt schwingt sich hinter das Steuer und lenkt das Auto vom Gelände der ehemaligen Konzernzentrale in Möhringen auf die Landstraße nach Leonberg.
WirtschaftsWoche: Herr Schmidt, wenn ich mir die Ausstattung unseres Testwagens ansehe – das ist jetzt aber nicht das Basismodell?
Schmidt: Nein, das ist der A250 mit einem AMG-Kit. Das ist eine der Top-Versionen. Aber Sie sollen das Auto ja von seiner besten Seite kennenlernen.
Der Testwagen ist mit Ledersitzen ausgestattet, auch Armaturenbrett und Lenkrad sind mit Rinderhäuten bezogen. Die Pedalerie glänzt in Aluminium, der Instrumententräger schimmert in Carbonoptik. Alles in allem kommt der Testwagen auf einen Preis von fast 49.000 Euro.
Die meisten Käufer der A-Klasse dürften eine spartanischere Version wählen?
Auch das Basismodell für 24.000 Euro haben wir sehr gut ausgestattet, zum Beispiel mit einem serienmäßigen Kollisionswarnsystem, mit einem sehr guten Audiosystem und mit unserem Müdigkeitserkennungssystem Attention Assist.
Aufregend oder langweilig?
Einschlafwarner ist ein gutes Stichwort. Einige meiner Kollegen finden, Mercedes sei langweilig geworden.
Das ist sehr amüsant, denn anderen Ihrer Kollegen sind wir zu aufregend. Aber ernsthaft: Wir haben so viele begeisternde, auch sportliche Autos. Nehmen Sie nur mal den SL, den SLK, den CLS, den SLS oder das C-Klasse Coupé. Auch die neue A-Klasse ist alles andere als langweilig.
Wie zum Beweis drückt Schmidt das Gaspedal kräftiger durch. Das Auto reagiert sofort, macht einen Schuss nach vorn. Ist das noch die A-Klasse? Das Modell der ersten Generation war eine Mixtur aus Stadtwagen, Familienauto und Mini-Van. Motor und Getriebe waren platzsparend teils vor und teils unter der Fahrgastzelle untergebracht. Dieses Sandwichkonzept gibt es künftig nur noch in der B-Klasse.
Warum dieser Schwenk?
Die alte A-Klasse war sehr erfolgreich, und viele unserer Kunden schätzen ihre erhöhte Sitzposition. Ihnen bieten wir jetzt unsere neue B-Klasse. Jüngere Leute schätzen die höhere Sitzposition dagegen nicht so sehr. Deshalb haben wir uns entschieden, mit der neuen Fahrzeuggeneration eine andere Strategie zu fahren.
Eine B-Klasse für die Senioren und eine A-Klasse für Yuppies?
Sie wären überrascht, wie viele junge Leute sich von unserer neuen B-Klasse angesprochen fühlen, gerade junge Familien. Wobei es nicht bei den zwei Modellen bleiben wird. Wir haben in dem Segment insgesamt fünf Autos in Planung.
Nämlich? Nach der A-Klasse kommt im nächsten Jahr der CLA, ein wunderschönes viertüriges Coupé auf der Basis der A-Klasse. Wenn man so will, dann ist das ein kleiner CLS. Dann wird es noch einen kleinen Geländewagen geben.
Eine Cabrio wäre auch denkbar.
Denkbar wäre es. Aber unter den fünf Autos dieser Generation wird es kein Cabrio geben.
Wie aufs Stichwort kommt uns nur Minuten später ein „Erlkönig“ entgegen. Die Proportionen des mit allerlei schwarzen Folien abgeklebten Kompaktwagens verraten die Verwandtschaft zur A-Klasse, die stark abfallende Dachlinie auf eine Coupé-Variante. Zwei Sekunden später ist der Prototyp im Heckspiegel entschwunden. Schmidt verkneift sich jeden Kommentar dazu – die Zukunft ist Betriebsgeheimnis.
A-Klasse-Allradler
Planen Sie auch einen A-Klasse-Allradler?
Es ist kein Geheimnis, dass wir im nächsten Jahr auch ein AMG-Fahrzeug bringen werden. Das Auto wird so viel Pferdestärken haben, dass wir es sinnvollerweise mit einem Allradantrieb kombinieren werden.
Wir biegen kurz vor Leonberg nach links von der Landstraße ab: Wir fahren nun über die alte Rennstrecke Solitude, auf der in den Sechzigerjahren noch Autorennen ausgetragen wurden. Der Alltag ist vorübergehend vergessen. Aber nicht lange.
Die A-Klasse kommt am 15. September auf den Markt. Die Rahmenbedingungen sind nicht gerade ideal. Erschwert die Euro-Krise den Start des neuen Autos?
Das ist richtig, aber mit einem so attraktiven Auto macht man seine eigene Konjunktur. Wir können die Einführungen von neuen Autos nicht mit Blick auf die Weltkonjunktur planen, sondern tun das nach unseren eigenen Zyklen. Natürlich gehen die Märkte in Südeuropa zurück, aber in Deutschland oder in England ist der Markt stabil – wir haben hier im ersten Halbjahr deutlich mehr Autos verkauft als im Vorjahreszeitraum. Wir sind deshalb ganz optimistisch.
Flacher, breiter, sportlicher - Mercedes A-Klasse
Daimler möchte im Gesamtjahr trotzdem deutlich mehr Autos verkaufen als 2011. Bleibt es dabei?
Durchaus. Wir lagen Ende Juni sieben Prozent über Vorjahr. Nach unserer Prognose wird der Weltmarkt 2012 um rund vier Prozent wachsen. Wir streben an, diesen Wert zu übertreffen. Bislang sieht es gut aus.
Ohne Verkaufsförderung?
Wir planen keine speziellen Rabattaktionen.
Tatsächlich kann sich auch Mercedes dem Druck des Marktes nicht entziehen: Ein Händler gibt ein paar Tage später auf den A180 ohne Gefeilsche einen Nachlass von zehn Prozent auf den Listenpreis.
Viele Autohersteller bringen zum Start ein neues Modell mit speziellen Sonderpaketen. Gibt es das auch für die A-Klasse?
Wir haben ein Paket aus drei populären Sonderausstattungen geschnürt. Aber Sonderaktionen im Sinn von Rabatten? Das wäre kontraproduktiv. Wir wollen das Auto ohne Rabatte verkaufen. Bislang sieht es gut aus: Wir haben bereits jetzt weit über 50.000 Vorbestellungen.
Was lässt sich dieses Jahr noch absetzen?
So viel wir bauen können. Meine Vertriebskollegen aus den Ländern rennen mir derzeit die Bude ein, fordern höhere Kontingente. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Kapazitäten zu erweitern und die A-Klasse nicht nur in Rastatt, sondern für eine gewisse Zeit auch bei Valmet in Finnland bauen zu lassen. Daran können Sie sehen, dass wir die Absatzchancen der neuen A-Klasse optimistisch sehen.
Valmet soll zwischen 2013 und 2016 über 100.000 Einheiten der A-Klasse produzieren. „Das hilft uns, unsere Produktion schnell auf das Niveau zu bringen, das wir für unseren Wachstumskurs brauchen“, sagt Schmidt. Und die Finnen, die im Werk Uusikaupunki zwischen 1997 und 2011 den Porsche Boxster gebaut haben, freuen sich über den neuen Großauftrag.
Hauptmärkte in Europa
Die Hauptmärkte für die A-Klasse sehen Sie demnach weiter in Europa?
Ja. Der wichtigste Markt bleibt Deutschland, gefolgt von Frankreich, Italien und England. Wir sind gerade dabei, die Absatzplanung für 2013 zu machen. Und alle Landesgesellschaften wollen mehr von der A-Klasse haben.
Auch die in China und den USA?
In den USA werden wir mit dem CLA anfangen und sukzessive mehr Kompaktwagen verkaufen. In Asien gibt es ein sehr großes Interesse. Das gilt auch für China. Dort werden wir die A-Klasse als Importfahrzeug einführen und später die Architektur der A-Klasse industrialisieren.
Fürchten Sie nicht, dass Kunden von der C- zur A-Klasse wechseln könnten?
Nein, dafür sind die Fahrzeugkonzepte zu unterschiedlich. Wechsel wird es allenfalls zwischen A- und B-Klasse geben. Aber wir streben an, in erster Linie von den Wettbewerbern Kunden zu gewinnen.
Geht es genauer?
50 Prozent wollen wir erobern, bei VW, Audi und BMW, aber nicht nur dort. Auch bei Hyundai, Honda, Toyota.
Die erste Generation der A-Klasse war nicht unbedingt Premium bei der Materialanmutung im Innenraum. Das ist nun alles Vergangenheit?
Das sehen und spüren Sie doch an jeder Ecke. Alles ist sehr wertig, ein echter Mercedes eben. Ich habe mich auch persönlich sehr dafür eingesetzt, dass das Auto nicht nur ein dynamisches Kleid bekommt, sondern auch viele Sicherheitsfeatures, die man sonst nur in der Oberklasse hat.
Zur Demonstration fährt Schmidt auf ein voranfahrendes Auto bis auf wenige Meter auf. Der radargestützte Abstandswarner erkennt die Gefahr und gibt ein Warnsignal. „Wir sind der Meinung, dass der Fahrer selbst für sein Auto verantwortlich ist“, sagt er: Er erhält eine akustische und optische Warnung, muss aber noch selbst mit dem Fuß auf die Bremse gehen.
Wir haben die Autobahn 8 erreicht, fädeln uns in den dichten Verkehr Richtung München ein. Schmidt überlässt dem 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe die Wahl der Fahrstufe, die Geschwindigkeit regeln Tempomat und Abstandsradar: Entspannt gleiten wir dahin.
Aktionärsklasse
Worauf achtet Mister Mercedes eigentlich, wenn er in ein neues Auto einsteigt? Auf den Sitzkomfort, auf Knistergeräusche oder Spaltmaße?
Die Qualität und Wertigkeit des Fahrzeugs und des Interieurs ist mir sehr wichtig. Mir muss ein Auto aber auch Spaß machen. Ich schaue auf die Instrumente, achte auf das Fahrwerk und darauf, wie der Motor am Gas hängt – ich bin ein sportlicher Fahrer.
Wie sieht denn aus Sicht des Marketingstrategen der typische Fahrer aus?
Da gibt es in unserer Produktstrategie den Zielkunden Lars M., der ist Anfang 30 und always on.
Was heißt das auf Deutsch?
Lars schaut wenig Fernsehen, liest kaum Zeitung und bezieht alle Informationen aus dem Internet. Das ist unsere typische Zielgruppe, die wir unbedingt erreichen müssen.
Wie alt ist heute der Fahrer der A-Klasse?
Jenseits der 50. Wie übrigens auch der typische Fahrer unserer Konkurrenzmodelle.
Die A-Klasse ist ein kompaktes Auto. Normalerweise gilt die Formel „Kleines Auto, kleine Marge“. Wird Mercedes damit dennoch einen ordentlichen Gewinn machen?
Wir werden ordentliche Margen verdienen. Die Bedeutung kleiner Autos und ihr Anteil an den Verkäufen werden wachsen, auch bei uns. Und natürlich müssen sie auch ihre Marge bringen. Die ist sicher in absoluter Höhe nicht so groß wie bei der S- oder E-Klasse, entspricht aber unseren Renditeansprüchen. Das ist auch ein Grund, warum wir auf der Basis fünf Modelle anbieten werden: Wir haben die Chance, mit dieser Plattform- und Komponentenstrategie Synergien und Degressionseffekte zu erzielen. Außerdem haben wir mit Ungarn einen Standort, wo die Produktionskosten deutlich günstiger sind als in Rastatt.
Dann ist die neue A-Klasse also nicht nur Angriffs-, sondern auch so etwas wie die neue Aktionärsklasse?
Schmidt: (Lacht) Das könnte man so formulieren.