Rekordabsatz, Rekordumsatz, Rekordergebnis und Rekorddividende: 2015 war für Daimler das Jahr der Superlative. So zeigte sich bei der Vorstellung der Jahreszahlen denn auch ein gutgelaunter, ja fast gelöster Konzernchef Dieter Zetsche auf dem Podium. „Wir wissen aus eigener Erfahrung: Es ist schwer, an die Spitze zu kommen. Aber es ist noch schwerer, vorne zu bleiben. Das ist unser Anspruch: Daimler gehört dauerhaft an die Spitze“, sagte er im Februar.
Selbstbewusst, mit einem wohldosierten Schuss Demut – so dürfte Zetsche auch am Mittwoch in Berlin auftreten, wenn Daimler seine Aktionäre zur Hauptversammlung lädt. Angesichts der sehr guten Kennzahlen und der um 80 Cent gestiegenen Dividende werden die meisten Anleger fröhlich im CityCube erscheinen.
Dennoch sollten sie sich nicht zu sehr von der guten Stimmung mitreißen lassen. Auch nach dem außergewöhnlichen Geschäftsjahr 2015 sind einige Punkte in Stuttgart-Untertürkheim ungeklärt.
Wie Daimler 2015 abgeschnitten hat
Absatz: 2,9 Millionen Fahrzeuge(2014: 2,5 Millionen Fahrzeuge)
Umsatz: 149,5 Milliarden Euro (2014: 129,9 Milliarden Euro)
Ebit: 13,5 Milliarden Euro (2014: 10,8 Milliarden Euro)
Überschuss nach Steuern: 8,9 Milliarden Euro (2014: 7,3 Milliarden Euro)
Dividende: 3,25 Euro je Aktie (2014: 2,45 Euro je Aktie)
Quelle: Geschäftsbericht Daimler
Absatz: 1,99 Millionen Fahrzeuge (2014: 1,722 Millionen Fahrzeuge)
Umsatz: 83,8 Milliarden Euro (2014: 73,6 Milliarden Euro)
Ebit: 8,226 Milliarden Euro (2014: 5,853 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 9,8 Prozent (2014: 8,0 Prozent)
Absatz: 502.500 Fahrzeuge (2014: 495.700 Fahrzeuge)
Umsatz: 37,6 Milliarden Euro (2014: 32,4 Milliarden Euro)
Ebit: 2,576 Milliarden Euro (2014: 1,878 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 6,9 Prozent (2014: 5,8 Prozent)
Absatz: 321.000 Fahrzeuge (2014: 294.600 Fahrzeuge)
Umsatz: 11,5 Milliarden Euro (2014: 10,0 Milliarden Euro)
Ebit: 0,9 Milliarden Euro (2014: 0,682 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 7,8 Prozent (2014: 6,8 Prozent)
Absatz: 28,100 Fahrzeuge (2014: 33.200 Fahrzeuge)
Umsatz: 4,1 Milliarden Euro (2014: 4,2 Milliarden Euro)
Ebit: 0,214 Milliarden Euro (2014: 0,197 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 5,2 Prozent (2014: 4,7 Prozent)
Verleaste oder finanzierte Fahrzeuge: 3,7 Millionen Fahrzeuge (2014: 3,3 Millionen Fahrzeuge)
Gesamtes Vertragsvolumen: 116,7 Milliarden Euro (2014: 99,0 Milliarden Euro)
Ebit: 1,619 Milliarden Euro (2014: 1,387 Milliarden Euro)
Eigenkapitalrendite: 18,3 Prozent (2014: 19,4 Prozent)
Fünf kritische Fragen, mit denen sich der Vorstand über kurz oder lang auseinandersetzen muss:
1. Hat auch Daimler Diesel-Leichen im Keller?
Diese Frage müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat gefallen lassen. Trotz der mantraartigen Beteuerungen, bei Daimler werde nicht getrickst, kommt der Konzern nicht aus den Schlagzeilen – was die Anleger zu Recht verunsichert.
Bei Emissionstests der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sind Mercedes-Fahrzeuge wiederholt negativ aufgefallen. Laut geleakten Dokumenten hat das Kraftfahrt-Bundesamt im Zuge der Tests nach dem VW-Skandal bei einem Smart auffällig hohe Werte gemessen – auf dem Prüfstand, nicht auf der Straße. Zuletzt zeigte ein Bericht der WirtschaftsWoche, dass bei zumindest einer Diesel-Variante der C-Klasse der Tank für das sogenannte Adblue, ein Additiv zur Abgasreinigung, viel zu klein ist – und die Abgasreinigung so auf der Straße dauerhaft gar nicht richtig funktionieren kann.
Die erhöhten Stickoxid-Messwerte der DUH hat Daimler mit einem vom Gesetz erlaubten Bauteilschutz erklärt, wonach die Abgasreinigung bei Temperaturen von unter zehn Grad vermindert sei. Die US-Umweltschutzorganisation ICCT, die auch den VW-Skandal ins Rollen brachte, kommt in einem Gutachten zu dem Schluss, dass „die öffentlichen Erklärungen aus technischer Sicht schwer nachvollziehbar“ seien. „Wir können uns nicht vorstellen“, sagte ICCT-Europa-Chef Peter Mock, „dass dieses Betriebsverhalten der Fahrzeuge mit US-Recht vereinbar ist.“
Diese Einschätzung muss jeden Daimler-Aktionär aufhorchen lassen. Welche verheerenden Auswirkungen ein solcher Skandal und Klagen in den USA auf den Aktienkurs haben können, lässt sich bei Volkswagen beobachten. Und auch, was mit dem US-Absatz passiert: Beides geht extrem nach unten. Von globalen Folgen – auch auf die Beschäftigten in Deutschland – und möglichen Milliarden-Strafen ganz zu schweigen.
2. Daimler erzielt mit seinen aktuellen Modellen hohe Gewinne. Was bietet die Modellpalette der Zukunft?
Die aktuellen Rekordzahlen, vor allem beim Absatz, kommen nicht von ungefähr: Galt die Modellpalette der Stuttgarter um 2010 als angegraut und langweilig, ist heute das Gegenteil der Fall: Die Kompakt-Offensive mit dem neuen Konzept für die A-Klasse samt der Anhängsel CLA und GLA, der richtig antizipierte SUV-Boom vom genannten GLA bis hin zum großen GLS und den fortschrittlichen Umgang mit Fahrassistenten und teilautonomen Funktionen bei der S- und aktuell der E-Klasse zahlen sich aus.
Nicht nur deshalb rechnet das Unternehmen damit, aufgrund „des in allen Geschäftsfeldern sehr attraktiven und besonders wettbewerbsfähigen Produktangebots“ vom dem erwarteten leichten Wachstum der globalen Automobilnachfrage „überdurchschnittlich“ profitieren zu können. Sprich: Der Absatz soll weiter steigen.
Daimlers Baustellen: Trucks und Zetsche-Nachfolge
Das mag auf kurze Sicht funktionieren – sofern nicht die oben beschriebenen Risiken sämtliche Absatz-Pläne über den Haufen werfen. Mittel- und langfristig werden Elektro-Antriebe eine zunehmend wichtigere Rolle spielen – in der öffentlichen Wahrnehmung findet Daimler hier aber kaum statt. Der Elektro-Smart ist vorerst eingestellt, derzeit haben die Stuttgarter nur eine B-Klasse mit E-Motor im Programm. Der Hintergrund: Bei der aktuellen Akku-Technologie hält Daimler den Plug-in-Hybrid für attraktiver als das reine Elektroauto – dementsprechend liegt der Fokus auf Ersteren.
Während in den Schlagzeilen eher Tesla dominiert und Porsche sowie Audi bereits recht konkrete Studien ihrer Elektroautos vorgestellt haben, gibt es von Daimler bislang nur eine Ankündigung: Bis 2018 soll ein Mercedes-Stromer mit 400 bis 500 Kilometern Reichweite auf den Markt kommen, der zwischen der C- und E-Klasse angesiedelt ist. Da kommt also noch was – wenn auch nicht so offensiv kommuniziert wie bei der Konkurrenz.
3. Wie entwickelt sich das Lkw-Geschäft?
Während die Pkw-Sparte von Erfolg zu Erfolg eilt, sieht es für die Nutzfahrzeugsparte weniger rosig aus. Die wappnet sich in diesem Jahr für drohende Rückgänge des Geschäfts in wichtigen Märkten. „Ein schwieriges Umfeld wird eigentlich noch schwieriger“, sagte der Nutzfahrzeugchef Wolfgang Bernhard Ende Februar. Zum Jahresstart hatte sich das Geschäft in Europa sehr stark, in Brasilien und Indonesien dagegen sehr schwach entwickelt.
Weltweit rechnet Daimler mit einem schwächeren Geschäft für mittlere und schwere Lkw – nur Europa dürfte leicht wachsen. Der wichtige nordamerikanische Markt dürfte sich nach einem deutlichen Anstieg im vergangenen Jahr negativ entwickeln. In den USA hatte Daimler bereits reagiert und an zwei Standorten den Abbau von 1250 Stellen angekündigt. Ähnlich düster erscheinen die Aussichten für Brasilien, auch hier sind Kündigungen laut Bernhard nicht ausgeschlossen.
Eine der Lösungen von Bernhard: der Connected Truck. Lkw, die vernetzt im Windschatten fahren, automatisch bremsen oder Frachtpapiere digital verschicken, seien auch in Emerging Markets relevant. „In Ländern wie Brasilien und auch Indien wird der vernetzte Truck schneller kommen, als wir heute alle denken“, sagte Bernhard im Interview mit WirtschaftsWoche Online. „Es ist ein Irrglaube, dass es diese Technologie nur in etablierten Märkten geben wird. Die Chancen in den Emerging Markets sind wahrscheinlich sehr viel größer.“
Die aktuellen Marktschwächen in Brasilien und anderen Ländern – etwa Südostasien – wird Daimler wohl oder übel aussitzen. Ob aufwändig vernetzte Trucks den Nerv der Kunden treffen, wenn sie zur Zeit nicht einmal konventionelle Fahrgestelle kaufen wollen, sei dahingestellt – der ein oder andere Aktionär wird sich aber fragen, ob das der richtige Weg ist.
4. War es klug, sich so früh auf Ola Källenius als mutmaßlichen Kronprinzen für Dieter Zetsche festzulegen?
Mit derzeit 62 Jahren ist Zetsche am Ende der Laufzeit seines Vertrags 2019 im perfekten Alter, um seinen Spitzenposten im operativen Geschäft abzugeben. Nach ein oder zwei Jahren „Abkühlphase“ könnte er dann den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen – der aktuelle Chefkontrolleur Manfred Bischoff ist schon 74 Jahre alt. Ein Szenario wie gemalt, ohne Machtkämpfe und überstürzte Wechsel.
Die Frage, wer beim Vorstandsvorsitz nachfolgen könnte, ist seit Mitte Februar auch so gut wie beantwortet: Zum Jahreswechsel 2016/2017 wird Vertriebschef Ola Källenius – seines Zeichens 2014 im Alter von gerade einmal 45 Jahren in den Vorstand berufen – zum neuen Entwicklungschef. Damit wird in dem vermeintlich perfekten Plan der einzige Makel im Lebenslauf des gebürtigen Schweden ausgemerzt: Er ist kein Techniker.
2016 dürfte für Daimler etwas schwächer werden
Källenius ist direkt im internationalen Management groß geworden, war seit den Neunzigerjahren Teil des Daimler-internen Förderprogramms. Wenn er die Entwicklungsabteilung zwei Jahre lang ähnlich solide und erfolgreich wie zuletzt Thomas Weber führt, kann ihm kein Kritiker im Aufsichtsrat mehr vorwerfen, er habe den Kern der Autos und des Konzerns nicht verstanden. Die Chance hat er jetzt.
Bleibt die Frage, ob es klug ist, bereits drei Jahre im Voraus einen Kandidaten so offensichtlich zu fördern. Schließlich kurbelt Wettbewerb das Geschäft an – und genau diesem Wettbewerb hat Daimler jetzt proaktiv den Wind aus den noch nicht einmal gehissten Segeln genommen.
Sollte es hierzu Fragen geben, haben die Manager um Zetsche auf dem Podium der Hauptversammlung bereits zwei Antworten parat: „Vorstandspersonalien sind Sache des Aufsichtsrats.“ Oder: „Spekulationen kommentieren wir nicht.“
5. Ist Daimlers Dividende sicher?
Einen Tag nach der Hauptversammlung wird Daimler die Dividende für das Geschäftsjahr 2015 auszahlen – der Vorstand schlägt den versammelten Aktionären eine Dividende von 3,25 Euro vor. Das sind 80 Cent mehr als im Vorjahr (+33 Prozent), was wie so viele andere Kennzahlen bei Daimler einen neuen Rekord bedeutet.
Der Autobauer ist einer der größten Dividendenzahler im Dax und bietet mit 5,28 Prozent die bei weitem höchste Dividendenrendite, schreibt Morgan-Stanley-Analyst Harald Hendrikse in einer Studie von Ende März.
Nach der Kursrally seit der Veröffentlichung des Jahresbilanz dürfte es aber wieder etwas abwärts gehen: Die Resultate für das erste Quartal, die später im April anstehen, dürften laut Hendrikse saisontypisch schwach ausfallen. Die Aktie sei zwar immer noch günstig bewertet, aber kurzfristig orientierte Anleger sollten Gewinnmitnahmen in Erwägung ziehen.
Saisonale Schwächen hin oder her: Auch für das Geschäftsjahr 2016 dürfte eine Ausschüttung sicher sein – nur die Höhe ist unklar. Für das laufende Jahr rechnet Daimler mit einem schwächeren Wachstum als im vergangenen. Umsatz und operativer Gewinn dürften leicht zunehmen, wie der Konzern im Februar bei Vorlage der Jahreszahlen mitteilte. Nach der Lesart von Daimler bedeutet das ein Plus von 2,5 bis zehn Prozent.
„Alles deutet darauf hin, dass 2016 ein weiteres gutes Jahr für Daimler wird“, sagte Zetsche damals. „Aber Erfolge muss man sich immer wieder neu erarbeiten.“
Auch das Vertrauen der Aktionäre müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat immer wieder neu erarbeiten. Am besten mit unternehmerisch so guten Entscheidungen wie in den vergangenen Jahren – und der ein oder anderen überzeugenden Antwort.