Daimler Jahreszahlen Wann endet die Erfolgswelle von Dieter Zetsche?

2015 war ein sehr gutes Jahr für Daimler, Analysten rechnen mit fetten Milliarden-Gewinnen. Der Erfolg ist vor allem Vorstandschef Dieter Zetsche zu verdanken – und das ist zugleich das größte Risiko für den Konzern.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Zetsche ist Daimler's Macher. Quelle: REUTERS

Unterschiedlicher könnte die Stimmung kaum sein: Noch 2012 brodelte es gewaltig in der Daimler-Konzernzentrale in Stuttgart-Untertürkheim. Bei wichtigen Modellen hatte Mercedes den Anschluss verpasst. Audi und BMW hatten die Stuttgarter abgehängt – gerade in dem zu jener Zeit gehypten Wachstums-Mekka China. Zudem bekam Vorstandschef Dieter Zetsche die schrumpfenden Gewinne in der für Daimler so wichtigen Autosparte nicht in den Griff. Die Probleme dort lähmten den ganzen Konzern – was wiederum Kritik an Zetsches Führungsstil provozierte.

Die Folge: Der Vertrag des Vorstandsvorsitzenden wurde nicht wie vorgesehen um fünf, sondern nur um drei Jahre verlängert. Eine öffentliche Ohrfeige. Später sickerte durch, dass sogar die drei Jahre ein mühsamer Kompromiss waren – die Arbeitnehmer wollten Zetsche ganz loswerden, Aufsichtsratschef Manfred Bischoff konnte sie aber noch überzeugen. So oder so: Der Chef mit dem charakteristischen Walross-Bart war angezählt, intern wie extern.

Wie Daimler 2015 abgeschnitten hat

Wenn Zetsche jedoch am morgigen Donnerstag in der Stuttgarter Carl-Benz-Arena auf die Bühne tritt, um die Geschäftszahlen für 2015 zu verkünden, wird von den Unruhen des Jahres 2012 nichts mehr zu sehen sein. Mit der neuen S- und C-Klasse hat Mercedes den Nerv der Kernkundschaft getroffen, mit der neuen A- und CLA-Klasse wurde die Marke auch für jüngere Autofahrer attraktiv. Die komplett neuen oder überarbeiteten SUV verkaufen sich ebenfalls blendend.

Autosparte: Vom Sorgenkind zum Wachstumstreiber

1,99 Millionen Autos der Marken Mercedes-Benz und Smart haben die Stuttgarter im vergangenen Jahr abgesetzt – 14,4 Prozent mehr als 2014. Im Dreikampf um die Premium-Spitze hat Daimler die Konkurrenz aus Ingolstadt wieder überholt. 2016 dürfte der Schwung anhalten: Im April rollt die neue Generation der E-Klasse zu den Mercedes-Händlern.

Diese Erfolgssträhne wird sich auch in den Kennzahlen der Jahresbilanz wiederfinden. Von Reuters befragte Analysten rechnen mit einem Umsatz von 147,6 Milliarden Euro (plus 13,7 Prozent). Das Ebit legt sogar um 27,3 Prozent auf 13,7 Milliarden Euro zu – der optimistischste Analyst rechnet gar mit 14,3 Milliarden Euro. In den Prognosen liegt die Umsatzrendite bei 9,4 Prozent, die einst kränkelnde Autosparte steht mit 10,17 Prozent noch besser da – auch im Vergleich zum Wettbewerb.

Keine Hiobsbotschaft in der Autobranche konnte Daimler zuletzt etwas anhaben. Nach dem VW-Skandal sind die Verkäufe von Mercedes-Modellen mit Dieselmotor nicht zurückgegangen, beteuert der Konzern bis heute. Auch das stark abkühlende Wachstum in China hat sich nicht auf die Bilanz durchgeschlagen. Im Gegenteil: Die Marke Mercedes legte dort um stolze 32,6 Prozent zu und verkaufte rund 373.000 Wagen.

Business-Limousine ab 45.303 Euro
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler

Zwar muss zur Ehrenrettung der Konkurrenz gesagt werden, dass die Stuttgarter den chinesischen Markt erst spät erschlossen haben und immer noch von dem daraus resultierenden Nachholbedarf – etwa beim wachsenden Händlernetz – profitieren. Dieses Potenzial nutzen Zetsche und seine Mannen aber voll aus.

Dennoch: Die Punkte, die 2012 gegen Zetsche ins Feld geführt wurden, zählen heute für ihn. Er hat innerhalb kürzester Zeit Daimler von einem trägen Konzern in ein gut positioniertes Unternehmen mit attraktiven Modellen gewandelt. Sein einziges Problem: Das Rekordjahr 2015 ist vorbei. Und über 2016 stehen einige Fragezeichen.

Das größte Risiko ist Zetsches Abgang


Zum einen die Autokonjunktur selbst: Noch ist unklar, ob die Lage so positiv wie zuletzt bleibt. Zwar ist zumindest der deutsche Automarkt auch im Januar erneut um drei Prozent gewachsen, doch die skeptischen Stimmen mehren sich. Der Zulieferer Bosch hatte vergangene Woche kein einfaches Jahr für die Autobranche prognostiziert. „Die Folgen des VW-Skandals sind final nicht abzuschätzen“, sagte Bosch-Chef Volkmar Denner.

Hinzu kommt die Unsicherheit in China. Daimler habe zuletzt Geschick bewiesen, sagte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass die Wachstumsraten so hoch wie zuletzt ausfielen. Statt dem überproportionalen Zuwachs von 32,6 Prozent dürfte sich auch der Daimler-Boom in Fernost abkühlen – für den chinesischen Markt erwarten Experten ein Plus von rund fünf Prozent.

Auch die Lage im Lkw-Geschäft dürfte sich angesichts der Konjunkturprobleme in wichtigen Märkten wie Brasilien nicht entspannen. Die Truck-Sparte ist mit einem prognostizierten Umsatz von 37 Milliarden Euro das zweite Standbein des Konzerns nach Mercedes-Benz Cars (82,8 Milliarden Euro). Die Analysten gehen jedoch davon aus, dass die Trucks das Ebit von 2015 in den kommenden beiden Jahren nicht erreichen können.

Kosten für E-Klasse-Premiere drücken Quartalsgewinn

Bei den Autos dürfte die Bilanz zumindest im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres eine kleine Delle bekommen. Der Gewinn des Pkw-Geschäfts dürfte nach Einschätzung von Jürgen Pieper, Analyst beim Bankhaus Metzler, durch die Einführung der neuen E-Klasse geschmälert werden.

Teure Werbeanzeigen und Vertriebsaktionen werden notwendig. Solange es keine Probleme und Verzögerungen bei dem Produktionsanlauf des neuen Modells gibt, sind die Analysten für das Gesamtjahr optimistisch: Konzern-Umsatz (plus 5,7 Milliarden Euro) und -Ebit (760 Millionen Euro) werden zulegen – beides getrieben durch die Auto-Sparte.

VW bleibt trotz Dieselgate vor Toyota
Toyota – 1. Halbjahr 2016Der japanische Branchenprimus, zu dem auch der Kleinwagenbauer Daihatsu Motor und der Nutzwagenhersteller Hino Motors gehören, verkaufte zwischen Januar und Juni global 4,99 Millionen Autos. Das ist ein Rückgang zum Vorjahreszeitraum von 0,6 Prozent. Die ganze Halbjahres-Bilanz auch mit Umsatz- und Gewinnkennzahlen legt der japanische Konkurrent am 4. August vor. Quelle: AP
Volkswagen (Konzern) – 1. Halbjahr 2016Krise? Welche Krise? Die Abgas-Affäre scheint die Auslieferungen bei Volkswagen nicht zu bremsen. Pünktlich zum Halbjahr setzt sogar die schwächelnde Kernmarke zur Wende an. Mit 2,925 Millionen verkauften Volkswagen blieb die Marke zwar knapp unter dem Vorjahresergebnis, die Tendenz im Juni zeigte aber um fast fünf Prozent nach oben. Mit dem starken Juni stehen nach sechs Monaten die Zeichen bei den Verkäufen klarer als zuvor auf Zuwachs: 5,12 Millionen Fahrzeuge – vom VW-Up bis zum schweren Scania-Lkw – sind 1,5 Prozent Verbesserung im Vergleich zum ersten Halbjahr 2015. Trotz Diesel-Krise steuert der Konzern damit 2016 bisher auf ein Auslieferungsplus zu. Nach fünf Monaten Ende Mai hatte der Zuwachs lediglich bei 0,8 Prozent gelegen. Zumindest als Momentaufnahme scheint der Autobauer damit zehn Monate nach dem Ausbruch der Diesel-Krise eine Durststrecke zu verlassen. Quelle: dpa
BMW – 1. Halbjahr 2016Zwischen Januar und Juni diesen Jahres wurden weltweit 986.557 BMW verkauft. Damit konnten die Münchner im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 Prozent zulegen. Allein im Juni stieg der Absatz um 9,7 Prozent auf 189.097 – mit den Marken Mini und Rolls-Royce kommt der Konzern sogar auf 227.849 Autos (+9,1 Prozent). Für das Plus sorgte demnach vor allem die hohe Nachfrage in Europa und Asien. In den USA dagegen schrumpfte der Absatz. Mit den knapp 190.000 Fahrzeugen im Juli lag BMW vor den beiden Dauer-Konkurrenten Audi (169.000 Autos) und Mercedes (188.444 Fahrzeuge). Doch wie sieht es im gesamten ersten Halbjahr aus? Quelle: dpa
Audi – 1. Halbjahr 2016Zumindest Audi konnte BMW hinter sich lassen. Die Ingolstädter konnten zwar zulegen, mit 5,6 Prozent fiel das Wachstum aber geringer aus als bei der Konkurrenz aus München – genauso die absolute Zahl an Auslieferungen von 953.200 Fahrzeugen. Dennoch ist die Bilanz für Audi positiv. Man habe den Absatz in allen Weltregionen steigern können, sagte Vertriebsvorstadn Dietmar Voggenreiter. Spaß-Modelle wie das TT Cabrio im Bild tragen traditionell wenig zum Volumen bei. Zu den größten Treibern gehörten die Baureihen A4 mit einem Plus von 12,3 Prozent und das Oberklasse-SUV Q7, das es nach dem Modellwechsel im Vorjahr auf ein Plus von satten 73,6 Prozent bringt. Auch für das zweite Halbjahr ist Voggenreiter optimistisch: Dann stehen die Premieren des überarbeiteten A3 und der komplett neuen Baureihen A5 und Q2 an. Quelle: obs
Daimler – 1. Halbjahr 2016BMW und Audi waren gut, Mercedes war besser. So lässt sich das erste Halbjahr zusammenfassen – sowohl beim Wachstum als auch beim Absatz konnte die Marke mit dem Stern die Konkurrenten abhängen. In den ersten sechs Monaten gingen 1.006.619 Mercedes-Benz an die Kunden – das entspricht eine Zuwachs von 12,1 Prozent. Ganz nebenbei der 40. Rekordmonat in Folge für die Marke. Dabei profitiert Mercedes vor allem von den SUV-Modellen, die inzwischen ein Drittel des weltweiten Absatzes ausmachen. „Das zeigt, dass sich unsere Produktoffensive auszahlt und unser rundum erneuertes SUV-Portfolio hervorragend bei den Kunden ankommt“, sagt Vorstandsmitglied Ola Källenius. Zusammen mit den 73.510 verkauften Smart kommt die Pkw-Sparte des Daimler-Konzerns so auf 1,08 Millionen Fahrzeuge. Quelle: dpa
Porsche – 1. Halbjahr 2016Drei Prozent Wachstum auf 117.963 Fahrzeuge. Das sind die Eckdaten des ersten Halbjahres bei Porsche. Der Sportwagenbauer zeigt sich damit zufrieden und spricht von einer „Stabilisierung auf hohem Niveau“. Viele Modelle wie die Baureihen Cayman, Boxster, Macan und der 911er konnten zwar zweistellig wachsen, bei der Limousine Panamera hielten sich die Kunden wegen des anstehenden Modellwechsels aber spürbar zurück. „Die durchweg positive Resonanz auf die Weltpremiere des neuen Panamera Ende Juni stimmt uns sehr optimistisch. Wir erwarten uns davon einen deutlichen Schub“, sagt Marketing- und Vertriebsvorstand Detlev von Platen. Der neue Panamera kann seit dem 28. Juni bestellt werden und steht in Europa ab November beim Händler. In den USA und im chinesischen Markt ist das Auto ab Januar 2017 verfügbar. Quelle: dpa
Toyota – Gesamtjahr 2015Der japanische Autokonzern Toyota hat seine Stellung als weltgrößter Fahrzeughersteller im vierten Jahr nacheinander behauptet und den durch den Abgasskandal gebeutelten Konkurrenten VW auf Distanz gehalten. 2015 verkaufte das Unternehmen 10,15 Millionen Autos, wie Toyota am Mittwoch mitteilte. VW kam im vergangenen Jahr auf 9,93 Millionen verkaufte Autos, General Motors auf 9,8 Millionen. 2016 rechnet Toyota mit einem Absatz von 10,11 Autos. Im vergangenen Jahr lag die Prognose bei 10,1 Millionen Fahrzeugen für 2015 und wurde durch die Realität übertroffen. VW hatte Toyota bei den Verkaufszahlen im ersten Halbjahr 2015 überholt, war dann aber infolge des Abgasskandals wieder zurückgefallen. Die Autoverkäufe auf den großen Märkten in den USA und Japan haben sich verlangsamt. Darüber hinaus hat sich auch das in den vergangenen Jahren stetige Wachstum auf aufstrebenden Märkten abgeschwächt. Das schlägt sich auch in den Toyota-Zahlen nieder: 2014 hatten die Japaner noch 10,23 Millionen Autos verkauft. Quelle: dpa

Über allen Prognosen über das Geschäftsjahr 2015 hinaus schwebt jedoch die Unsicherheit der Abgas-Diskussion, die der VW-Skandal losgetreten hat. Neue Testverfahren, Grenzwerte und Zulassungsvorschriften könnten die Entwicklungs-Etats und Absatzpläne der Autobauer stark belasten.

"Bei uns wird nicht betrogen"

Daimler haben die offiziellen Nachmessungen bislang kalt gelassen. „Bei uns wird nicht betrogen, bei uns wurden keine Abgaswerte manipuliert“, sagte Zetsche jüngst. „Die Vertreter des Kraftfahrt-Bundesamtes waren zwei Tage bei uns und es wurden Autos getestet. Dabei sind nach meiner Kenntnis keine auffälligen Abgaswerte gemessen worden.“

Wer Zetsche beerben könnte

Ganz dem Generalverdacht entziehen, kann sich aber auch Zetsche nicht: Im Januar musste Daimler den französischen Behörden wegen hoher Abgaswerte bei Straßentests Rede und Antwort stehen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte diese Woche sogar den Entzug der Zulassungsgenehmigung für ein beliebtes Mercedes-Modell – bei Tests in einem niederländischen Institut sollen die Stickoxid-Grenzwerte bei niedrigen Prüftemperaturen dramatisch überschritten worden sein. Am Mittwoch gab die DUH weitere Details bekannt: Demnach räumte Daimler im firmeninternen Intranet ein, dass "Anpassungen an die jeweiligen Betriebsbedingungen" stattfänden, "die den Wirkungsgrad beeinflussen". Damit gebe Daimler zu, eine Abschalteinrichtung zu verwenden, prangert die DUH an.

Trotz der vielen Fragezeichen bei Abgaswerten, China und Konjunktur kann sich der Daimler-Chef einer Sache sicher sein: Sein Vertrag dürfte bald um weitere drei Jahre verlängert werden. Und die drei Jahre sind dieses Mal keine Abmahnung. Bei Daimler gilt das 62. Lebensjahr für Vorstandsmitglieder „als Orientierung“ für den Abschied. Genau dieses Alter hat der Daimler-Boss jetzt erreicht.

In den drei Jahren nach seiner letzten Vertragsverlängerung kommt auf Zetsche und den Aufsichtsrat eine weitere, sehr wichtige Aufgabe zu: Einen geeigneten Nachfolger für den charismatischen und branchenweit geschätzten Vorstandschef zu finden.

Eine Herausforderung, die der Konkurrenz zuletzt nicht gut gelungen ist. Nicht nur deshalb dürften die Chefetagen aus München, Ingolstadt und Wolfsburg ganz genau nach Stuttgart schauen. Der Stern glänzt wieder. Die Frage ist nur wie lange.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%