Kurz vor dem Anpfiff der Fußball-Europameisterschaft lässt es sich Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber nicht nehmen, ein wenig Fußballer-Jargon in seine Rede einzubauen. Es geht um die Innovations-Highlights der Stuttgarter für das kommende Jahr, die Weber auf dem so genannten TecDay den Fachjournalisten in Halle 6 der Messe Stuttgart präsentiert. "Wir sind auf die Veränderungen in dem Spiel, das vor uns liegt, sehr gut vorbereitet", sagt er im Hinblick auf die immer strengeren CO2- und Emissionsgrenzwerte und zunehmende Elektrifizierung der Motorenpalette.
"Haben wir den Anpfiff bei der Elektromobilität verpasst? Nein, sicher nicht", sagt Weber. Und so dreht sich auf der Technologie-Vorschau fast alles um besonders sparsame und saubere Antriebe. In den kommenden zwei Jahren wird Daimler 14,5 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren. "Mehr als die Hälfte davon fließt erneut in ‚grüne’ Technologien", sagt Weber. Allein bei Mercedes Benz Pkw sind es 5,4 Milliarden Euro pro Jahr.
Und dann legt Weber los mit seiner "tour d'innovation". Die Neuheiten im Jahr 2017, das sind:
- Ein Steckdosen-Hybrid (Plug-In) mit Brennstoffzelle und zusätzlicher, großer Lithium-Ionen-Batterie. Harald Kröger, "Mr. Elektromobilität", wie der Leiter Entwicklung Elektrik/Elektronik & E-Drive bei Mercedes intern genannt wird, verspricht 500 Kilometer Reichweite. Betankbar ist der Wasserstoff-Tank in unter drei Minuten. Der neue Antrieb kommt zuerst im Topseller von Mercedes, dem kompakten Geländewagen GLC auf die Straße und trägt den Zusatz "F-Cell". Der Akku wird platzsparend im Heck des SUV untergebracht.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Er ermöglicht eine rein batterieelektrische Fahrt von bis zu 50 km im Europäischen Testzyklus (NEFZ) und kann an einer haushaltüblichen Steckdose, einer Mercedes-Benz Wallbox oder einer öffentlichen Ladestation aufgeladen werden. Sehen können das neue Modell alle, die im Oktober auf dem Pariser Autosalon zu Gast sind. Dann will Daimler auch Details zum Preis und Ausstattungsvarianten nennen. Kröger rechnet damit, eine vierstellige Zahl von Brennstoffzellen-Plug-In-Hybriden in 2017 verkaufen zu können.
- Partikelfilter in Benzin-Motoren: Bisher waren diese Filter nun in Diesel-Aggregaten verbaut. 2017 soll der Partikelfilter für Otto-Motoren zunächst in Varianten der S-Klasse in Serie gehen. Danach folgt die schrittweise Einführung in weiteren neuen Fahrzeugmodellen, Modellpflegen und neuen Motorgenerationen. Daimler zieht damit den französischen Kollegen nach. PSA hat vor kurzem angekündigt, den Partikelfilter in Benziner zu bringen.
48-Volt-Bordnetz, Dieselmotor OM 654
- Das 48-Volt-Bordnetz wird Standard. Für alle Nicht-Techniker: Bisher sind 12-Volt-Bordnetz Standard. Für den Wechsel auf ein leistungsstärkeres, elektronisches Netz mit 48 Volt Spannung sprechen mehrere gute Gründe:
1. Indem die elektronischen Systeme im Fahrzeug öfter auf die Leistung der Batterie, statt auf die des Motors zugreifen, verringert sich der Kraftstoffverbrauch. Rund 15 Prozent weniger sind möglich und damit auch 15 Prozent weniger CO2-Ausstoß.
2. Die Autohersteller müssen gemäß der europäischen Gesetze ihren CO2-Flottenausstoß bis 2021 auf 95g/km verringern. Die weitere Optimierung der Motoren ist aufwendig und teuer. Eine Möglichkeit zur Abgasreduktion ist die Kombination von Elektro-und Verbrennungsmotor – ein Hybrid-Fahrzeug also. "Echte" Hybride benötigen ein teures Hochvolt-System (ab 110 Volt). Das 48-Volt-Netz zählt als Niedrigvoltsystem, für das auch deutlich geringere Sicherheitsstandards gelten. Mit ihm sind trotzdem bis zu 70 Prozent der Energie- und Emissionsvorteile eine Hochvolt-Systems erzielbar, bei nur 30 Prozent der Kosten. Die wichtigen Hybridfunktionen wie das Wiederbeladen der Batterie bei Bremsvorgängen („Rekuperieren“), die Drehmomentunterstützung des Motors („Boosten“) sowie die Start-Stopp-Automatik und der "Segelbetrieb", also das Abschalten des Verbrennungsmotors während der Fahrt („Coasting") funktionieren auch ohne Hochvolt-Komponenten.
3. Das leistungsstärkere Netz ist die perfekte Grundlage für zusätzliche Systeme, die Energie ziehen, wie Sicherheitsassistenzsysteme und Systeme, die autonomes Fahren und Kommunikation unter Fahrzeugen ermöglichen sollen.
- Der neue Dieselmotor OM 654: Das Aggregat ist bereits in der neuen E-Klasse verbaut und soll nun Stück für Stück in weitere Modellreihen und Varianten Einzug halten. Die wichtigsten Kennzahlen: 13 Prozent weniger CO2-Emissionen, 80 Prozent weniger Stickoxide, bei 17 Prozent bzw. 30 Kilogramm weniger Gewicht. Damit erfüllt Daimler bereits die Vorgaben des neuen Testzyklus für Realverbräuche (Real Driving Emissions).
Zum Abschied gibt Weber noch einen Ausblick auf den Ausbau der Batteriefertigung im sächsischen Kamenz. Daimler investiert dort 500 Millionen Euro in den Aufbau einer zweiten Fabrik. Bei der Daimler-Tochter Deutsche Accumotive werden die Lithium-Ionen-Batterien für den neuen elektrischen Smart, alle künftigen Plug-In-Hybride sowie für Heim- und Großspeicher im privaten wie gewerblichen Einsatz gefertigt.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Anfang Juni hat Mercedes die Gründung einer eigenen Vertriebsgesellschaft für seine Speicherlösungen bekannt gegeben. Im Zuge der Energiewende erhofft sich Daimler vor allem von den Großspeichern, die als Zwischenlager für Strom aus Wind uns Sonne genutzt werden sollen, viel.
"Wir haben dramatische Veränderungen in der Automobilindustrie vor uns", schloss Entwicklungsvorstand Weber seinen Vortrag, "aber auch sehr spannende Veränderungen, die uns motivieren, immer noch besser zu sein." Blieb nur noch zu sagen: "Vive la Mannschaft".