Daimler und Co. Juristen sehen Ausnahmen bei Diesel-Abgasen kritisch

Ein Mercedes-Modell stößt unter bestimmten Bedingungen zu viel Stickoxide aus – Daimler begründet das mit einem Bauteilschutz. Laut Bundestags-Juristen kann diese Argumentation zulässig sein – in engen Grenzen.

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Bei einer älteren Variante der Mercedes C-Klasse ist es zu Unregelmäßigkeiten bei Abgastests gekommen. Quelle: dpa

Im Streit über hohe Abgasemissionen von Diesel-Fahrzeugen hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages den Kritikern von Daimler und anderen Autoherstellern Argumentationshilfe geleistet. Nach Einschätzung der nicht namentlich genannten Parlamentsjuristen sind Einrichtungen zum Drosseln der Abgasreinigung nur in sehr engem Rahmen gesetzlich erlaubt. Das geht aus einer Reuters vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der Grünen hervor, über die zuerst das "Recherchenetzwerk Deutschland" berichtete. Die EU-Emissionsverordnung erlaubt dies demnach nur punktuell und nicht regelmäßig oder bei Minustemperaturen nach dem Motorstart maximal 400 Sekunden lang.

Die Deutsche Umwelthilfe hatte Daimler vorgeworfen, bei der älteren Mercedes C-Klasse komme es wegen einer womöglich illegalen Abschalteinrichtung zu unerlaubt hohen Stickoxid-Emissionen. Wie angekündigt hat die DUH eine Unterlassungsklage wegen Verbrauchertäuschung eingereicht, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch am Mittwoch.

Ein Sprecher des Landgerichts Stuttgart bestätigte den Eingang, damit sei das Zivilverfahren eröffnet (Az. : 34 O 21/16 KFH). Eine Daimler-Sprecherin sagte: "Die Klage wurde uns inzwischen zugestellt, wir halten sie für unbegründet." Die "Süddeutsche Zeitung" hatte zuvor darüber berichtet.

von Jürgen Rees, Martin Seiwert, Rebecca Eisert

Der Vorwurf vor Gericht: Der Verbraucher werde mit Werbung über saubere Dieselmotoren in die irre zu führen. Der Verein kritisiert eine Einrichtung, die in einigen Dieselmotoren dafür sorgt, dass die Abgasnachbereitung in bestimmten Temperaturbereichen heruntergeregelt wird. Die Umwelthilfe hatte deshalb den Entzug der Typgenehmigungen eines Modells gefordert und in einem Rechtsgutachten die Praxis für nicht rechtens erklären lassen. Auch ein von den Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages stellt sie in Frage.

Das KBA schweigt

Der Autobauer hatte den Verdacht zurückgewiesen. Zwar werde die Abgasreinigung bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius zum Schutz des Motors heruntergeregelt. Doch diese Technik stehe völlig im Einklang mit dem Gesetz. "Wir sind davon überzeugt, dass die Regelung ... innerhalb der gesetzlichen Vorgaben erfolgt", bekräftigte ein Daimler-Sprecher. "Diese Maßnahme ist eine technische Notwendigkeit, die nicht Mercedes-spezifisch ist." Das eigentlich zuständige Kraftfahrtbundesamt hat sich bislang nicht zu dem Sachverhalt geäußert.

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Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber wollte auf Nachfrage vor der Presse in Berlin keine Stellung dazu nehmen, ob die Abgasreinigung punktuell oder regelmäßig zurückgefahren wird. Die Rechtsauslegung des Wissenschaftlichen Dienstes müsse außerdem erst geprüft werden. Der neue Diesel-Motor, der erstmals in der neuen E-Klasse zum Einsatz kommt, wird Weber zufolge bis zu 80 Prozent weniger Stickoxid ausstoßen. Bis 2017 sollten zehn neue Modelle mit dem OM654 ausgerüstet werden, um die ab dann geltenden strengeren Vorgaben für Emissionstests zu erfüllen. Der Autobauer investiert 2,6 Milliarden Euro, um Motoren sauberer und sparsamer zu machen.

Das für Modellzulassungen zuständige Kraftfahrt-Bundesamt, dessen Rechtsauslegung entscheidend ist, wollte keinen Kommentar zu dem Papier der Parlamentsjuristen geben. Ein Bericht des Amtes über die Ergebnisse einer umfangreichen Prüfung von Diesel-Fahrzeugen aller Hersteller wegen des Dieselabgasskandals bei Volkswagen steht noch immer aus. Der Wolfsburger Konzern hatte zugegeben, bei weltweit elf Millionen Fahrzeugen eine illegale Software zur Manipulation von Stickoxid-Werten auf dem Prüfstand installiert zu haben.

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Alle Autohersteller stehen nun unter Druck, weil Abgaswerte im Straßenbetrieb auch ohne illegale Software viel höher sind als unter Testbedingungen. Die Schadstofflimits werden so nur im Labor eingehalten. Eine Neuregelung zu den Testverfahren wird die Autoindustrie zwingen, ab 2017 die Kluft zwischen Gesetz und Realität zu verringern.

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