WirtschaftsWoche: Die Autoindustrie steht vor einer großen Aufgabe. Sie müssen Verbrennungs- durch Elektromotoren ersetzen und Autos in rollende Smartphones verwandeln – kurz: das Auto der Zukunft schaffen. Was haben wir hier von Ihnen zu erwarten?
Ola Källenius: Wir sind schon auf dem Weg nicht nur Fahrzeughersteller zu sein, sondern auch Mobilitätsdienstleister. Das Auto der Zukunft fährt autonom, hat null Emissionen und ist intelligent mit dem Fahrer und seiner Umgebung vernetzt. Mit der neuen Generation der E-Klasse gehen wir bereits einen großen Schritt in diese Richtung. Das Mercedes-Benz Erlebnis wird sowohl die Emotionen der Kunden ansprechen, wie auch die Vernunft, dank unserer innovativen Technologien.
Riecht es im Mercedes der Zukunft eher nach Heu oder nach Hyazinthen?
Sie spielen darauf an, dass wir in der neuen E-Klasse verschiedene Raumdüfte anbieten.
Zur Person
Ola Källenius, Jahrgang 1969, ist Vorstand für Vertrieb und Marketing bei Daimler. Der gebürtige Schwede hat in St. Gallen und Stockholm internationales Management studiert. 1993 begann Källenius seine berufliche Laufbahn bei Daimler und stieg über verschiedene Stationen – etwa Leiter des US-Werks Tuscaloosa, Geschäftsführer AMG und Bereichsvorstand Vertrieb der Pkw-Sparte – zum 1. Januar 2015 in den Konzernvorstand auf. Zum Jahreswechsel 2016/2017 übernimmt der 46-Jährige den Posten von Thomas Weber als Entwicklungsvorstand, der in Ruhestand geht.
Und 64 verschiedene Farbtöne für die Beleuchtung im Fahrgastraum. Ist das im digitalen Zeitalter wirklich wichtig?
Im Auto der Zukunft ist es mindestens so wichtig die Sinne zu bespielen wie die digitale Welt - mit Düften, Licht oder naturbetonten Materialien. Sie haben im Wohnzimmer ja auch nicht nur eine Stereoanlage und einen Fernseher stehen, sondern auch Möbel und eine Lampe, die für eine gemütliche Atmosphäre sorgen. Im Auto ist es genau so: der Fahrer soll sich wohl fühlen.
Trotz solcher Visionen kommt Ihre neue E-Klasse aber mit zwei schönen 12,3 Zoll großen Displays, jedoch ohne Touchscreens daher. Warum so viel Vergangenheit auf dem Weg in die digitale Zukunft?
Ich halte unsere neuartige Bedienfunkion mit den beiden Touch Control Buttons am Lenkrad für absolut intuitiv und bequem. So lassen sich beide Displays bedienen, ohne dass die Hände vom Lenkrad genommen werden müssen. Alternativ können ja auch die Spracheingabe oder der Drehdrücksteller in der Mittelkonsole genutzt werden. Da lassen wir den Kunden die Wahl.
Sie sprachen eingangs von Intelligenz. Der Begriff wird inflationär gebraucht. Es soll sogar intelligente Kühlschränke geben, die beim Abnehmen helfen. Wobei hilft die E-Klasse?
Die E-Klasse ist ein besonders intelligentes Auto. Ich würde sie als Vorboten der automobilen Zukunft bezeichnen. Wir arbeiten hier mit einer Stereokamera und einer hoch modernen Radar-Sensorik rund um das Auto. Die erfassen Situationen, die dem Fahrzeug und seinen Insassen gefährlich werden könnten und lassen das Auto im Notfall und bei ausbleibender Fahrerreaktion regulierend eingreifen.
Die Deutschen beargwöhnen das autonome Fahren, unter anderem, weil sie fürchten, für Schäden durch Schwächen oder Fehler des Autopiloten haften zu müssen. Wie wollen Sie diese Vorbehalte aus dem Weg räumen?
Im Moment ist der Fahrer in der Haftung. Wir haben die Grenze noch nicht überschritten. Aber es wird beim vollautonomen Fahren der Zeitpunkt kommen, wo die Technik voll verantwortlich ist und damit auch der Hersteller.
Wie verantwortlich fühlen Sie sich für die Daten, die Kunden Ihnen durch die IT-Systeme an Bord zwangsläufig etwa über ihr Fahrverhalten oder ihre Routen übermitteln?
Wir arbeiten mit den höchsten digitalen Sicherheitsstandards. Außerdem gilt: Der Kunde allein bestimmt, welche Mercedes me Dienste er nutzen möchte und willigt im Einzelfall ein, welche Daten wir in seinem Sinne nutzen dürfen. Der Vertrag wird zwischen dem Käufer und Mercedes-Benz geschlossen. Es werden keinerlei Daten an Dritte weitergegeben. Daran haben wir kein Interesse.
"Wir setzen verstärkt auf die Digitalisierung"
Aber ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Auto der Zukunft ist der Verkauf übers Internet. Sie haben ihr Niederlassungsnetz bereits stark verkleinert.
Das sind zwei unterschiedliche Punkte. Mercedes-Benz richtet seinen konzerneigenen Vertrieb in Deutschland für die Zukunft aus. Das Ziel dabei ist, die optimale Betreuung unserer Kunden sicher zu stellen, langfristig wirtschaftlich und profitabel agieren zu können und somit Arbeitsplätze zu sichern. Wir hatten dazu voriges Jahr 63 Standorte zum Verkauf gestellt. Alle Signings sind bis Ende 2015 erfolgt. Bis Mitte des Jahres sollen die Betriebe vollständig übergegangen sein.
...und jetzt beginnen Sie Autos übers Internet zu verkaufen?
Wir sind mit zwei spannenden Pilotprojekten mit unseren Mercedes-Benz Niederlassungen Hamburg und Warschau gestartet. Neu ist unser Onlinestore in Verbindung mit einem virtuellen Showroom für smart Neuwagen in Italien. Dort können unsere Kunden ein Sondermodell exklusiv online kaufen.
Was hat das gebracht?
Die erste Erkenntnis: Wir generieren so sehr viel digitalen Showroom-Traffic. Es ist wie ein Schaufenster-Bummel im Netz. Einige Besucher führen auch online ein Verkaufsgespräch, buchen einen persönlichen Beratungstermin oder eine Probefahrt. Ein paar haben bereits den letzten Klick gemacht und online ein Auto gekauft.
Wie viele waren das?
Uns geht es in erster Linie darum, mit unseren Pilotprojekten Erfahrungen zu sammeln und neue, moderne Zielgruppen anzusprechen. Seit dem Launch in Hamburg und in Warschau haben wir festgestellt, dass sehr viele Menschen dieses Portal nutzen, um mit der Marke Mercedes-Benz in Kontakt zu kommen. Die Schlussfolgerung für uns ist: Wir weiten das Projekt in Deutschland aus. Mit Smart wollen wir sogar europaweit Pilotprojekte aufsetzen.
Wie wollen Sie den Menschen die offenkundige Scheu nehmen, im Internet und nicht beim Händler aus Fleisch und Blut ein Auto zu kaufen?
Das kann man nicht erzwingen. Das wird mit der Zeit einfach kommen. Jeder war bei seinen ersten Käufen im Netz etwas skeptisch. Bei einem Buch ist ein Fehlkauf aber nicht so schlimm, bei einem Auto für 75.000 Euro will man nichts falsch machen. Und ein Auto kauft man nicht wie ein Hemd oder Elektronikgerät. Man will es vor dem Kauf spüren, ausprobieren und mit einem Fachmann darüber reden. Deshalb spielen auch unsere Händler vor Ort weiterhin eine entscheidende Rolle. Aber die digitale Anbahnungsphase vor dem Kauf wird substanzieller, die Kunden vertiefen den Dialog.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Mit der Vertriebs- und Marketingstrategie „Best Customer Experience“ richten wir unsere Vertriebsorganisation seit 2013 noch gezielter auf sich verändernde Kundenwünsche aus. Der Mercedes-Benz-Vertrieb investiert dieses Jahr weltweit einen dreistelligen Millionenbetrag. Dabei setzen wir verstärkt auf die Digitalisierung. Wir werden zum Beispiel gemeinsam mit dem Handel massiv in die Digitalisierung der Vertriebsprozesse investieren.
Wie Daimler 2015 abgeschnitten hat
Absatz: 2,9 Millionen Fahrzeuge(2014: 2,5 Millionen Fahrzeuge)
Umsatz: 149,5 Milliarden Euro (2014: 129,9 Milliarden Euro)
Ebit: 13,5 Milliarden Euro (2014: 10,8 Milliarden Euro)
Überschuss nach Steuern: 8,9 Milliarden Euro (2014: 7,3 Milliarden Euro)
Dividende: 3,25 Euro je Aktie (2014: 2,45 Euro je Aktie)
Quelle: Geschäftsbericht Daimler
Absatz: 1,99 Millionen Fahrzeuge (2014: 1,722 Millionen Fahrzeuge)
Umsatz: 83,8 Milliarden Euro (2014: 73,6 Milliarden Euro)
Ebit: 8,226 Milliarden Euro (2014: 5,853 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 9,8 Prozent (2014: 8,0 Prozent)
Absatz: 502.500 Fahrzeuge (2014: 495.700 Fahrzeuge)
Umsatz: 37,6 Milliarden Euro (2014: 32,4 Milliarden Euro)
Ebit: 2,576 Milliarden Euro (2014: 1,878 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 6,9 Prozent (2014: 5,8 Prozent)
Absatz: 321.000 Fahrzeuge (2014: 294.600 Fahrzeuge)
Umsatz: 11,5 Milliarden Euro (2014: 10,0 Milliarden Euro)
Ebit: 0,9 Milliarden Euro (2014: 0,682 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 7,8 Prozent (2014: 6,8 Prozent)
Absatz: 28,100 Fahrzeuge (2014: 33.200 Fahrzeuge)
Umsatz: 4,1 Milliarden Euro (2014: 4,2 Milliarden Euro)
Ebit: 0,214 Milliarden Euro (2014: 0,197 Milliarden Euro)
Umsatzrendite: 5,2 Prozent (2014: 4,7 Prozent)
Verleaste oder finanzierte Fahrzeuge: 3,7 Millionen Fahrzeuge (2014: 3,3 Millionen Fahrzeuge)
Gesamtes Vertragsvolumen: 116,7 Milliarden Euro (2014: 99,0 Milliarden Euro)
Ebit: 1,619 Milliarden Euro (2014: 1,387 Milliarden Euro)
Eigenkapitalrendite: 18,3 Prozent (2014: 19,4 Prozent)
Zur Digitalisierung des Autos zählt auch der Ausbau des Kartendienstes Here, den sie gemeinsam mit Audi und BMW von Nokia erworben haben. Wie wichtig ist die Kooperation mit Ihren Konkurrenten?
Das ist eine wichtige strategische Kooperation, die zeigt, dass Zusammenarbeit auch unter Wettbewerbern funktioniert.
Suchen Sie sich auch andere Partner?
Kooperationen mit Tech-Firmen kann ich mir gut vorstellen. Unsere Kollegen im Silicon Valley sind ständig mit etablierten Firmen wie auch Start-Ups in Kontakt. In einer digitalen Welt muss man für neue Partner offen sein.
"Wir hätten gerne mehr weibliche Kunden"
Für Tesla scheinen Sie nicht mehr besonders offen zu sein. Die Zusammenarbeit wurde beendet.
Wir haben die Kooperation nicht aktiv beendet. Wir arbeiten bei der B-Klasse Electric Drive mit Tesla zusammen. Derzeit gibt es aber noch kein Folgeprojekt.
Ärgern Sie sich, dass Tesla als Pionier für E-Autos und autonomes Fahren gilt?
Ich ärgere mich nicht über die Wettbewerber, sondern konzentriere mich darauf, was wir machen können.
Können Sie beim aktuellen Mangel an IT-Fachkräften überhaupt so schnell und so viel digitalisieren, wie Sie müssten?
Wir rekrutieren aktiv und wir bilden unsere Mitarbeiter intern weiter. Wir spüren den verstärkten Wettbewerb um qualifizierte Kräfte. Dabei sind wir als erfolgreiches Unternehmen mit der Marke Mercedes-Benz aber sehr gut aufgestellt und nicht nur in Deutschland unterwegs. Wir sind seit über 20 Jahren im Silicon Valley und in dieser Zeit stark gewachsen, wir waren dort der erste OEM mit eigenem Standort. Dort entwickeln wir Technologien der Zukunft und haben seit kurzem auch ein kleines Team, das nach innovativen Prozessen im Vertriebsbereich Ausschau hält. Wir sind sehr stark in Bangalore in Indien mit einem großen IT- und Entwicklungszentrum aufgestellt. Wir bauen zudem unsere Entwicklungskapazitäten in China auf. Es ist bereits heute ein internationales Entwicklungs-Netzwerk. Hauptstandort unserer Forschungs- und Entwicklungszentren bleibt aber weiterhin Stuttgart Sindelfingen.
Ist der Mercedes der Zukunft ein Frauen-Auto?
Wir haben in Deutschland bereits gut 20 Prozent weibliche Kunden, wenn Sie das meinen.
Ich bin im Internet auf Ihr Angebot She's Mercedes gestoßen. Ein Networking-Portal für Frauen. Das muss einen Grund haben.
Wir hätten tatsächlich gerne mehr weibliche Kunden. Die Initiative She's Mercedes, mit der wir noch stärker als bisher die Bedürfnisse und Wünsche von Frauen in den Fokus rücken, haben wir 2015 gestartet. Unser Ziel ist es, Mercedes-Benz bis 2020 als die attraktivste Luxus-Automobilmarke für Frauen zu etablieren. In den USA etwa liegt der Anteil weiblicher Kunden bei rund 40 Prozent - also doppelt so hoch wie hierzulande. Das bietet in Deutschland noch viel Potenzial nach oben.