Defekte Takata-Airbags Lebensretter als tödliche Gefahr

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Autobauer lange getäuscht

Andere Autobauer blieben durch die Geheimniskrämerei lange im Dunkeln. So hatte BMW schon im März 2010 bei Takata schriftlich nach der Gefährdung gefragt. Takata beteuerte, die BMW-Luftsäcke seien nicht betroffen. Das war, wie sich jetzt zeigt, falsch. BMW muss deshalb nun 1,8 Millionen Fahrzeuge in die Werkstatt holen.

Takata, 1933 gegründet, ist vier Jahre älter als Toyota Motor und hat seine Wurzeln ebenfalls in der japanischen Textilindustrie. In den Sechzigerjahren wurde es mit der Herstellung von Sicherheitsgurten groß. Den allerersten Airbag entwickelte die Europa-Sparte nach eigenen Angaben einst mit Daimler. In den Neunzigerjahren gelang es den Takata-Ingenieuren, den Airbag zu verkleinern und zu verbessern.

In Lebensgefahr. Amerikanerin Erdman wurde von einem Metallsplitter eines Takata-Airbags schwer verletzt Quelle: AP

Statt giftiger Azide setzt Takata seitdem als einziger Hersteller einen Chemikaliencocktail auf Basis von Ammoniumnitrat ein, einem Hauptbestandteil von Düngemitteln und Sprengstoffen. Im Falle eines Aufpralls löst ein Sensor die explosionsartige Erhitzung der Stoffe aus, wobei die erforderliche Menge an Gas entsteht, die den Luftsack in Millisekunden aufbläht.

Mangelnde Qualitätskontrolle

Doch die Technik ist anfällig, und die Vorgaben der Autohersteller für Airbags sind hoch. Maximal einer von einer Million Luftsäcke darf nicht funktionieren. Tatsächlich lässt sich die Quote aber nicht unter drei Fehler pro Million drücken.

Daher werden Airbags in Reinraum-Fabriken gefertigt, wo Arbeiter Schuhe gegen Funkenbildung tragen. Der Explosivstoff wird bei Takata zu Stapeln aus mehreren Plättchen verarbeitet und hinter dicken Mauern ferngesteuert abgefüllt. Einige Fehlerquellen hat das Unternehmen identifiziert: In einer Fabrik in Mexiko wurden Plättchen feucht und andere zu schwach zusammengedrückt. Und in einer US-Anlage sortierte eine Maschine mangelhafte Teile nicht automatisch aus.

Qualitätskontrolle wurde offenbar nicht groß genug geschrieben, als der Hersteller die Produktion rasch nach oben fuhr. „Solche Probleme lassen sich durch mehr Qualitätsmanagement schon während der Entwicklung verhindern“, meint Philipp Radtke, Partner von McKinsey in München.

Inzwischen hat Takata nach eigenen Angaben die Explosivmischung und die Verarbeitung zwar geändert. Aber die Gasgeneratoren älterer Airbags bleiben tickende Zeitbomben. So erwischte es im September 2013 die amerikanische Autofahrerin Stephanie Erdman in einem Honda Civic von 2002: Ein langer Metallsplitter aus ihrem Takata-Airbag bohrte sich zwischen Nase und rechtem Auge in ihr Gesicht. Ihr Fall beschäftigte Ende November einen Ausschuss des US-Senats, vor dem sich auch Hiroshi Shimizu, Chef der Qualitätssicherung bei Takata, erklären musste.

Ersatz ist Mangelware

Der Austausch des Gasgenerators im Airbag dauert nur 40 bis 60 Minuten. Aber es fehlt Ersatz. Von Januar an kann Takata monatlich nicht mehr als 450.000 Teile liefern. Der Austausch würde sich also über mehrere Jahre hinziehen. Daher sollen andere Hersteller in die Bresche springen, darunter der schwedische Branchenführer Autoliv mit 25 Prozent Weltmarktanteil, die neue US-Tochter des Getriebespezialisten ZF Friedrichshafen, TRW Automotive, sowie das japanische Unternehmen Daicel.

Auch deren Kapazitäten sind begrenzt. Neue Fertigungslinien wollen sie nur bauen, wenn sie danach im Geschäft bleiben. Bei Toyota würde ein Zulieferwechsel nach eigenen Angaben ein Jahr dauern. BMW, General Motors und Mazda halten einen Wechsel für schwierig, da die Airbags sehr früh an die Fahrzeuge angepasst werden. „Unsere Airbags sind von Takata speziell auf BMW zugeschnitten“, sagt BMW-Sicherheitsingenieur Sam Campbell.

Großkunden von Takata gehen trotzdem auf Distanz. Honda und Toyota organisieren „präventive“ Rückrufe. Neun Autobauer lassen die Airbags demnächst unabhängig untersuchen. Honda-Chairman Fumihiko Ike brachte eine Art Haltbarkeitsdatum für das Treibmittel ins Gespräch.

Das würde den Rivalen von Takata noch mehr helfen. Damit könnte der 2011 verstorbene Gründersohn Juichiro Takada im Nachhinein recht behalten. Er wehrte sich lange gegen die Airbag-Entwicklung für Honda: „Wenn damit etwas passiert, gehen wir pleite“, orakelte er. „Lasst uns diese gefährliche Brücke nicht überqueren!“

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