Stellen Sie sich vor, es ist Freitagnachmittag, die letzten Akten sind sortiert, die letzte Mail geschrieben. Ein letzter Klick auf die heißgelaufene Maus und es ist Wochenende. Denkste! Denn quasi in der fünften Minute der Nachspielzeit heißt es von ganz oben: „Können Sie das noch kurz fertig machen? Muss unbedingt vorm Wochenende noch raus.“ Heutzutage bedeutet das: Nachsitzen.
Daran wird sich in naher oder ferner Zukunft natürlich nichts ändern. Mit dem großen Unterschied, dass irgendwann dieses Nachsitzen ganz bequem auf dem Nachhauseweg im eigenen Fahrzeug praktiziert werden könnte. Das soll nicht heißen, dass jeder einen eigenen Chauffeur zur Hand bekommt. Das Stichwort lautet: Autonomes Fahren.
Wenn es nach Bundeskanzlerin Angela Merkel geht „werden wir in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbstständig Auto fahren dürfen.“ Angesichts der Hindernisse sowohl auf praktischer als auch theoretischer Ebene wird dieser Kanzlerinnen-Satz aber sehr wahrscheinlich in derselben Rhetorik-Schublade landen, wie der des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“
Doch wie genau darf sich solch eine Fahrt in einem autonom fahrenden Fahrzeug vorgestellt werden und warum werden auch zwei Jahrzehnte nicht für eine komplette Automatisierung ausreichen? Wird das Auto in absehbarer Zukunft zum rollenden Büro oder gar Wohnzimmer auf Rädern?
Wie der Stand der Technik ist
Bislang reicht die Technik der großen Automobilhersteller für eine sichere Fahrt auf der Autobahn. Der Fahrer nimmt die bekannte Position hinter dem Lenkrad ein, startet den Motor und pilotiert das Fahrzeug gen Autobahn. Bereits auf dem Weg dorthin erfährt er spürbar oder auch weniger spürbar Unterstützung von adaptiven Abstandsregeltempomaten, aktiven Spurhalteassistenten und sogar restlichtverstärkenden Kameras für eine sichere Fahrt bei Nacht.
Hinzu kommen City-Notbrems-Assistenten, die einen Auffahrunfall bei städtischem Tempo verhindern und Verkehrsschilderkennungen, die den Städten, welche auf ihre täglichen Blitzereinnahmen angewiesen sind, ein wahrer Graus sind. Anhand der Echtzeit-Verkehrsanzeige wird zudem stets der stauärmste, sprich schnellste Weg errechnet. Die Lieben daheim können die Fahrt an ihren Smartphones sekundengenau mitverfolgen und derweil schon mal mit dem Tischdecken beginnen.
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
Auf der Autobahn angekommen, kann in aktuellen Neuwagen im Premiumsegment nun das Fahrzeug für mehrere Sekunden am Stück die Komplettkontrolle über das Fahrzeug übernehmen. Wir befinden uns somit in der dritten von fünf Stufen innerhalb des autonomen Fahrens. Fährt der Vorausfahrende zu langsam, wird in einigen Fällen sogar schon automatisch zum Überholen angesetzt.
Selbst einen staugeschuldeten Stillstand inklusive das darauffolgende Wiederanfahren haben heute Audi, BMW, Mercedes, VW und einige weitere Hersteller im Angebot. Blickt der Fahrer in solch tempoberuhigter Situation vermehrt auf den Bildschirm in der Mittelkonsole, soll bei Honda ab 2020 das Fahrzeug die Komplettkontrolle inklusive Spurhalten und Abstandeinhalten übernehmen können.
Die nächste Stufe kommt bald
Ganz neu im Straßenverkehr ist folgende Technik: Sollte in modernsten Fahrzeugen wie dem aktuellen VW Arteon der Fahrer aus etwaigen Gründen der mehrmaligen Aufforderung zum Ergreifen des Lenkrades nicht nachkommen, fährt das Fahrzeug selbstständig mit aktivierter Warnblinkanlage an den rechten Fahrbahnrand, hält dort und setzt einen Notruf ab.
Was viele bereits für die vierte Stufe des autonomen Fahrens halten, ist jedoch eher als einer der letzten Schritte innerhalb der dritten Stufe zu sehen. Denn die vierte Stufe beschreibt die Möglichkeit sich auf der Autobahn hinter das Steuer zu setzen, dem Fahrzeug ein Ziel zu nennen und sich dann durch sämtliche Staus und Baustellen dorthin pilotieren zu lassen. Ein Eingreifen des Menschen ist in dieser Stufe nicht mehr notwendig. Eine hintergründige Ab- und Zu-Überwachung aber schon.
Ethische Grundregeln für autonome Autos
Teil- und vollautomatisierte Verkehrssysteme dienen zuerst der Verbesserung der Sicherheit aller Beteiligten im Straßenverkehr. Daneben geht es um die Steigerung von Mobilitätschancen und die Ermöglichung weiterer Vorteile. Die technische Entwicklung gehorcht dem Prinzip der Privatautonomie im Sinne eigenverantwortlicher Handlungsfreiheit.
Quelle: Bundesverkehrsministerium
Der Schutz von Menschen hat Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen. Ziel ist die Verringerung von Schäden bis hin zur vollständigen Vermeidung. Die Zulassung von automatisierten Systemen ist nur vertretbar, wenn sie im Vergleich zu menschlichen
Fahrleistungen zumindest eine Verminderung von Schäden im Sinne einer positiven Risikobilanz verspricht.
Die Gewährleistungsverantwortung für die Einführung und Zulassung automatisierter und vernetzter Systeme im öffentlichen Verkehrsraum obliegt der öffentlichen Hand. Fahrsysteme bedürfen deshalb der behördlichen Zulassung und Kontrolle. Die Vermeidung von Unfällen ist Leitbild, wobei technisch unvermeidbare Restrisiken einer Einführung des automatisierten Fahrens bei Vorliegen einer grundsätzlich positiven Risikobilanz nicht entgegenstehen.
Die eigenverantwortliche Entscheidung des Menschen ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der der einzelne Mensch mit seinem Entfaltungsanspruch und seiner Schutzbedürftigkeit im Zentrum steht. Jede staatliche und politische Ordnungsentscheidung dient deshalb der freien Entfaltung und dem Schutz des Menschen. In einer freien Gesellschaft erfolgt die gesetzliche Gestaltung von Technik so, dass ein Maximum persönlicher Entscheidungsfreiheit in einer allgemeinen Entfaltungsordnung mit der Freiheit anderer und ihrer Sicherheit zum Ausgleich gelangt.
Die automatisierte und vernetzte Technik sollte Unfälle so gut wie praktisch möglich vermeiden. Die Technik muss nach ihrem jeweiligen Stand so ausgelegt sein, dass kritische Situationen gar nicht erst entstehen, dazu gehören auch Dilemma-Situationen, also eine Lage, in der ein automatisiertes Fahrzeug vor der „Entscheidung“ steht, eines von zwei nicht abwägungsfähigen Übeln notwendig verwirklichen zu müssen. Dabei sollte das gesamte Spektrum technischer Möglichkeiten – etwa von der Einschränkung des Anwendungsbereichs auf kontrollierbare Verkehrsumgebungen, Fahrzeugsensorik und Bremsleistungen, Signale für gefährdete Personen bis hin zu einer Gefahrenprävention mittels einer „intelligenten“ Straßen-Infrastruktur – genutzt und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Die erhebliche Steigerung der Verkehrssicherheit ist Entwicklungs- und Regulierungsziel, und zwar bereits in der Auslegung und Programmierung der Fahrzeuge zu defensivem und vorausschauendem, schwächere Verkehrsteilnehmer („Vulnerable Road Users“) schonendem Fahren.
Die Einführung höherer automatisierter Fahrsysteme insbesondere mit der Möglichkeit automatisierter Kollisionsvermeidung kann gesellschaftlich und ethisch geboten sein, wenn damit vorhandene Potentiale der Schadensminderung genutzt werden können. Umgekehrt ist eine gesetzlich auferlegte Pflicht zur Nutzung vollautomatisierter Verkehrssysteme oder die Herbeiführung einer praktischen Unentrinnbarkeit ethisch bedenklich, wenn damit die Unterwerfung unter technische Imperative verbunden ist (Verbot der Degradierung des Subjekts zum bloßen Netzwerkelement).
In Gefahrensituationen, die sich bei aller technischen Vorsorge als unvermeidbar erweisen, besitzt der Schutz menschlichen Lebens in einer Rechtsgüterabwägung höchste Priorität. Die Programmierung ist deshalb im Rahmen des technisch Machbaren so anzulegen, im Konflikt Tier- oder Sachschäden in Kauf zu nehmen, wenn dadurch Personenschäden vermeidbar sind.
Echte dilemmatische Entscheidungen, wie die Entscheidung Leben gegen Leben sind von der konkreten tatsächlichen Situation unter Einschluss „unberechenbarer“ Verhaltensweisen Betroffener abhängig. Sie sind deshalb nicht eindeutig normierbar und auch nicht ethisch zweifelsfrei programmierbar. Technische Systeme müssen auf Unfallvermeidung ausgelegt werden, sind aber auf eine komplexe oder intuitive Unfallfolgenabschätzung nicht so normierbar, dass sie die Entscheidung eines sittlich urteilsfähigen, verantwortlichen Fahrzeugführers ersetzen oder vorwegnehmen könnten. Ein menschlicher Fahrer würde sich zwar rechtswidrig verhalten, wenn er im Notstand einen Menschen tötet, um einen oder mehrere andere Menschen zu retten, aber er würde nicht notwendig schuldhaft handeln. Derartige in der Rückschau angestellte und besondere Umstände würdigende Urteile des Rechts lassen sich nicht ohne weiteres in abstrakt-generelle Ex-Ante-Beurteilungen und damit auch nicht in entsprechende Programmierungen umwandeln. Es wäre gerade deshalb wünschenswert, durch eine unabhängige öffentliche Einrichtung (etwa einer Bundesstelle für Unfalluntersuchung automatisierter Verkehrssysteme oder eines Bundesamtes für Sicherheit im automatisierten und vernetzten Verkehr) Erfahrungen systematisch zu verarbeiten.
Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt. Eine Aufrechnung von Opfern ist untersagt. Eine allgemeine Programmierung auf eine Minderung der Zahl von Personenschäden kann vertretbar sein. Die an der Erzeugung von Mobilitätsrisiken Beteiligten dürfen Unbeteiligte nicht opfern.
Die dem Menschen vorbehaltene Verantwortung verschiebt sich bei automatisierten und vernetzten Fahrsystemen vom Autofahrer auf die Hersteller und Betreiber der technischen Systeme und die infrastrukturellen, politischen und rechtlichen Entscheidungsinstanzen. Gesetzliche Haftungsregelungen und ihre Konkretisierung in der gerichtlichen Entscheidungspraxis müssen diesem Übergang hinreichend Rechnung tragen.
Für die Haftung für Schäden durch aktivierte automatisierte Fahrsysteme gelten die gleichen Grundsätze wie in der übrigen Produkthaftung. Daraus folgt, dass Hersteller oder Betreiber verpflichtet sind, ihre Systeme fortlaufend zu optimieren und auch bereits ausgelieferte Systeme zu beobachten und zu verbessern, wo dies technisch möglich und zumutbar ist.
Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch auf eine hinreichend differenzierte Aufklärung über neue Technologien und ihren Einsatz. Zur konkreten Umsetzung der hier entwickelten Grundsätze sollten in möglichst transparenter Form Leitlinien für den Einsatz und die
Programmierung von automatisierten Fahrzeugen abgeleitet und in der Öffentlichkeit kommuniziert und von einer fachlich geeigneten, unabhängigen Stelle geprüft werden.
Ob in Zukunft eine dem Bahn- und Luftverkehr entsprechende vollständige Vernetzung und zentrale Steuerung sämtlicher Kraftfahrzeuge im Kontext einer digitalen Verkehrsinfrastruktur möglich und sinnvoll sein wird, lässt sich heute nicht abschätzen. Eine vollständige Vernetzung und zentrale Steuerung sämtlicher Fahrzeuge im Kontext einer digitalen Verkehrsinfrastruktur ist ethisch bedenklich, wenn und soweit sie Risiken einer totalen Überwachung der Verkehrsteilnehmer und der Manipulation der Fahrzeugsteuerung nicht sicher auszuschließen vermag.
Automatisiertes Fahren ist nur in dem Maße vertretbar, in dem denkbare Angriffe, insbesondere Manipulationen des IT-Systems oder auch immanente Systemschwächen nicht zu solchen Schäden führen, die das Vertrauen in den Straßenverkehr nachhaltig erschüttern.
Erlaubte Geschäftsmodelle, die sich die durch automatisiertes und vernetztes Fahren entstehenden, für die Fahrzeugsteuerung erheblichen oder unerheblichen Daten zunutze machen, finden ihre Grenze in der Autonomie und Datenhoheit der Verkehrsteilnehmer. Fahrzeughalter oder Fahrzeugnutzer entscheiden grundsätzlich über Weitergabe und Verwendung ihrer anfallenden Fahrzeugdaten. Die Freiwilligkeit solcher Datenpreisgabe setzt das Bestehen ernsthafter Alternativen und Praktikabilität voraus. Einer normativen
Kraft des Faktischen, wie sie etwa beim Datenzugriff durch die Betreiber von Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken vorherrscht, sollte frühzeitig entgegengewirkt werden
Es muss klar unterscheidbar sein, ob ein fahrerloses System genutzt wird oder ein Fahrer mit der Möglichkeit des „Overrulings“ Verantwortung behält. Bei nicht fahrerlosen Systemen muss die Mensch/Maschine-Schnittstelle so ausgelegt werden, dass zu jedem Zeitpunkt klar geregelt und erkennbar ist, welche Zuständigkeiten auf welcher Seite liegen, insbesondere auf welcher Seite die Kontrolle liegt. Die Verteilung der Zuständigkeiten (und damit der Verantwortung) zum Beispiel im Hinblick auf Zeitpunkt und Zugriffsregelungen sollte dokumentiert und gespeichert werden. Das gilt vor allem für Übergabevorgänge zwischen Mensch und Technik. Eine internationale Standardisierung der Übergabevorgänge und der Dokumentation (Protokollierung) ist anzustreben, um angesichts der grenzüberschreitenden Verbreitung automobiler und digitaler Technologien die Kompatibilität der Protokoll- oder Dokumentationspflichten zu gewährleisten.
Software und Technik hochautomatisierter Fahrzeuge müssen so ausgelegt werden, dass die Notwendigkeit einer abrupten Übergabe der Kontrolle an den Fahrer („Notstand“) praktisch ausgeschlossen ist. Um eine effiziente, zuverlässige und sichere Kommunikation zwischen Mensch und Maschine zu ermöglichen und Überforderung zu vermeiden, müssen sich die Systeme stärker dem Kommunikationsverhalten des Menschen anpassen und nicht umgekehrt erhöhte Anpassungsleistungen dem Menschen abverlangt werden.
Lernende und im Fahrzeugbetrieb selbstlernende Systeme sowie ihre Verbindung zu zentralen Szenarien-Datenbanken können ethisch erlaubt sein, wenn und soweit sie Sicherheitsgewinne erzielen. Selbstlernende Systeme dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn sie die Sicherheitsanforderungen an fahrzeugsteuerungsrelevante Funktionen erfüllen und die hier aufgestellten Regeln nicht aushebeln. Es erscheint sinnvoll, relevante Szenarien an einen zentralen Szenarien-Katalog einer neutralen Instanz zu übergeben, um entsprechende allgemeingültige Vorgaben, einschließlich etwaiger Abnahmetests zu erstellen.
In Notsituationen muss das Fahrzeug autonom, d.h. ohne menschliche Unterstützung, in einen „sicheren Zustand“ gelangen. Eine Vereinheitlichung insbesondere der Definition des sicheren Zustandes oder auch der Übergaberoutinen ist wünschenswert.
Die sachgerechte Nutzung automatisierter Systeme sollte bereits Teil der allgemeinen digitalen Bildung sein. Der sachgerechte Umgang mit automatisierten Fahrsystemen sollte bei der Fahrausbildung in geeigneter Weise vermittelt und geprüft werden.
Und genau an dieser Stelle werden die Automobilhersteller und ihre Technikzulieferer noch einige Jahre zu knacken haben. Denn Straßenmarkierungen sind zum Beispiel trotz GPS und HD-Kartenmaterial für die Orientierung im Straßenverkehr nicht wegzudenken. Wenn sie sich, wie in Baustellen überschneiden oder auf frisch geteerten Straßenabschnitten überhaupt nicht mehr vorhanden sind, ist der Mensch wieder in der Pflicht. Zumal das öffentlich genutzte GPS-System nur eine Genauigkeit von maximal einem bis drei Metern erreichen kann. Und das auch nur, wenn zugleich mehrere Korrektursignale empfangen werden können. Hinzu kommen Szenarien mit auf die Straße laufenden Tieren, liegengebliebenen Fahrzeugen und vielem mehr, die ein ständiges Abbremsen eines automatisierten Fahrzeugs zur Folge hätten.
Da kann sich jeder selbst ausmalen, dass es auch innerhalb der kommenden Jahre und Jahrzehnte nahezu keine autonom fahrenden Fahrzeuge im wuseligen Großstadtverkehr geben wird. Ohne Störfaktoren sähe das natürlich ein wenig anders aus. Kein Wunder also, dass die Bürgermeister zahlloser Städte bei den großen Autobauern Schlange stehen, um sich für eine Teststrecke zu bewerben. Was jedoch unter Laborbedingungen funktioniert, ist selbst im strikt reglementierten und im Vergleich zu nahezu allen anderen Nationen perfekt strukturierten deutschen Straßenverkehr bislang undenkbar.
Ein Problem, welches selbst mit präzisester Zukunftstechnologie nicht so einfach zu lösen sein wird, stellt die Ethikfrage dar. Eine aus diesem Grund im September 2016 konstituierte Ethik-Kommission unter der Leitung von Udo Di Fabio stellte vor kurzem erste Ergebnisse dar, die aufzeigen, dass es für gewisse Situationen schlicht und ergreifend keine Lösung zu geben scheint.
Der Fachbegriff, so einfach er auch klingt, lautet in diesem Falle Dilemma-Szenario. Denn wie schaut es mit Situationen aus, in denen der Autofahrer zwar im Recht, der ungeschützte, über Rot gehende Fußgänger aber mit wesentlich schwereren Verletzungen, wenn nicht gar mit dem Tod zu rechnen hat? Sollte das Auto lieber, drastisch formuliert, draufhalten, um weitere Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern oder auch die eigenen Zerstörung zu vermeiden – oder nicht?
Die Designer bekommen neue Freiheiten
Wenn schon sowohl die Praxis als auch die Theorie des autonomen Fahrens das ganze Projekt schier endlos in die Länge ziehen und die Ingenieure und Anwälte an ihre Schmerzgrenze treiben, so gibt es dennoch Abteilungen innerhalb der Automobilindustrie, die sich aktuell so richtig austoben können. Die Rede ist von den Designern – vor allem den Interieurdesignern.
Eine Zukunft, in der die konservative Platzverteilung (Fahrer und Beifahrer vorn, zwei oder mehr Personen im Fond auf eine oder zwei Reihen verteilt) aufgebrochen werden darf, wirkt wie ein paradiesischer Nährboden für Freigeister und kreative Köpfe. Die Marketingfloskel „Wir haben auf einem weißen Blatt Papier begonnen“ trifft hier zum ersten Mal tatsächlich den Nagel auf den Kopf.
In diesen Situationen möchten die Deutschen autonom fahren
63 Prozent aller Deutschen möchten die Kontrolle beim Einparken abgeben. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2015.
45 Prozent möchten im Stau autonom fahren.
Auf der Autobahn möchten 15 Prozent der Befragten die Kontrolle abgeben.
Neun Prozent möchten im Stadtverkehr autonom unterwegs sein.
Sieben Prozent wollen auf allen Straßen die Kontrolle übers Fahren abgeben.
27 Prozent möchten die Kontrolle gar nicht abgeben.
Das autonome Fahren sorgt für ein völlig neues Fahr- und damit auch Komfortgefühl. Ein Gefühl, das durch einen neuen Umgang komplett neue Gestaltungsmöglichkeiten bietet. „Die Wahl der Farben und Materialien im Innenraum eines autonom fahrenden Autos wird immer wichtiger“, weiß nicht nur Serife Celebi, zuständig bei Ford für Farben und Materialdesign. Denn das Auto wird zu einem rollenden Wohn- und natürlich auch Arbeitszimmer.
Und auch bei Mercedes-Benz ist klar: „Wer nur an die Technik denkt, hat noch nicht erkannt, wie das autonome Fahren unsere Gesellschaft verändern wird“, betont Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars. „Das Auto wächst über seine Rolle als Transportmittel hinaus und wird endgültig zum mobilen Lebensraum.“
Wie weit fortgeschritten dieser Gedanke eines rollenden Arbeitsplatzes schon heute ist, zeigen nicht nur Fahrzeugstudien, sondern auch schon auf den Straßen fahrende Premiumfahrzeuge. Vom gewaltigen Flachbildschirm für eine gelungene Präsentation während der Fahrt, über Schnitt- und Ladestellen für Laptop, Smartphone und auch Spielekonsolen bis hin zum W-Lan-Hotspot für mehrere mobile Endgeräte ist schon heute alles an Bord.
Noch viele Hürden für selbstfahrende Autos
Autopiloten sind in Flugzeugen Standard. Auch in Schiffen übernimmt zumindest außerhalb der Häfen oft der Computer das Ruder. Am Ende geht es auch beim autonomen Fahren um einen Autopiloten, der das Fahrzeug steuert. Doch der Autoverkehr ist komplex. Auf der Autobahn können die Prototypen der Industrie bereits ohne größere Probleme ohne Eingriffe des Fahrers unterwegs sein. Im Stadtverkehr wird es schon schwieriger. Halbautomatische Funktionen sind allerdings inzwischen Alltag. Ob Tempomaten, Einparkhilfen, Stauassistenten oder Abstandsregler - viele Funktionen entlasten den Fahrer bereits. Auch etwa Mähdrescher können längst eigenständig über das Feld fahren.
Eins der wichtigsten Argumente ist die Sicherheit. Die meisten Unfälle gehen auf Fahrfehler zurück. Weit oben in der Statistik: zu hohe Geschwindigkeit, zu geringer Abstand oder Abbiegefehler. Automatisch gesteuerte Autos würden solche Fehler minimieren. Denn Risikofreude, Spaß an der Geschwindigkeit und Selbstüberschätzung kennt ein Computer nicht. Er bremst, wenn der Abstand zu gering wird und nimmt nicht aus Unachtsamkeit anderen die Vorfahrt.
Die Entwicklung ist recht weit fortgeschritten. BMW etwa testet seit Jahren automatisch fahrende Autos, auch auf deutschen Autobahnen. Die Fahrzeuge können auch eigenständig überholen. Solche Tests müssen sich die Hersteller aber von Behörden genehmigen lassen. Audi ließ jüngst zur US-Technikmesse CES einen Wagen „autonom“ rund 900 Kilometer aus dem Silicon Valley nach Las Vegas fahren. Auch Daimler präsentierte auf der CES seine Vision für ein selbstfahrendes Auto der Zukunft. Der silberne Mercedes-Prototyp fuhr autonom auf die Bühne nach einer Tour durch die Wüste und die Hotel-Meile der Glücksspiel-Stadt. Zumindest für die Autobahn können sich manche Hersteller pilotiertes Fahren bereits in fünf bis sieben Jahren vorstellen.
Hier beginnen die Schwierigkeiten jenseits der Technik. Die erste Hürde ist das „Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr“ von 1968, das die Basis für die meisten Verkehrsregelungen ist. Darin gibt es zwar Hinweise zu Zugtieren, aber von selbstfahrenden Autos ist nicht die Rede. Dafür aber davon, dass jedes Auto einen Fahrer braucht, der am Ende verantwortlich ist. Dass Autofahrer am Ende Verantwortung und Kontrolle völlig abgeben werden, gilt eher als unwahrscheinlich. Noch fehlen dafür aber Regeln und Gesetze. Bei den bisher fahrenden Prototypen auf normalen Strecken müssen in Deutschland die Fahrer darauf geschult sein.
Europas größter Versicherer, die Allianz, würde auch selbstfahrende Autos versichern. Allerdings würde sich die Risikoeinschätzung ändern, denn das Risiko verlagere sich vom menschlichen Fehler des Fahrers zum Entwickler der Autopiloten. Allerdings glauben die Versicherer nicht daran, dass es vollständig selbstfahrende Auto geben wird. Ein Fahrer werde auch künftig einen Führerschein brauchen, und das Gefährt im Notfall oder in Situationen wo es nötig ist, kontrollieren zu können.
Sicherlich auch, um Kunden mit immer ausgereifteren Extras zu locken. Doch daneben spielt auch die mögliche Konkurrenz durch andere Spieler eine Rolle. So arbeitet etwa auch der Internetkonzern Google seit einigen Jahren an selbstfahrenden Autos.
Studienfahrzeuge wie der F 015 Luxury in Motion von Mercedes-Benz reizen die Möglichkeiten, die sich in einem fahrerlosen Innenraum ergeben, aber erst richtig aus. So ist die zentrale Idee dieses Forschungsfahrzeugs ein kontinuierlicher Informationsaustausch zwischen Fahrzeug, Passagieren und Außenwelt. Hierzu dienen sechs rundum installierte, harmonisch in die Armaturentafel sowie die Rück- und Seitenwände integrierte Displays, die das Interieur zu einem digitalen Erlebnisraum. Die Passagiere können über Gesten oder Berührung der hochauflösenden Bildschirme intuitiv mit dem vernetzten Fahrzeug interagieren.
In wieweit die phantastischen, rollenden, automobilen Phantasiewelten dann tatsächlich irgendwann einmal Realität werden, bleibt natürlich abzuwarten. Die Nachspielzeiten in der Arbeitswelt könnten aber auf jeden Fall angenehmer werden.