Es sind noch 100, vielleicht 120 Meter bis zur Ampel, als Torsten Kolander das Gaspedal – oder besser Strompedal? – seines Elektroautos durchdrückt.
Der Wagen schießt nach vorne, schafft es noch über die Kreuzung, bevor das gelbe Licht der Ampel auf Rot wechselt. „Nicht, dass ich das oft machen würde“, sagt Kolander. „Normalerweise“ fahre er gemächlich. Die krasse Beschleunigungsleistung seines 610-PS-Tesla nutze er nur, wenn es nicht anders gehe. Das liegt nicht unbedingt daran, dass Kolander nicht gerne mal etwas rasanter fahren würde. Sondern schlicht daran, dass ständige Zwischenspurts mit seinem Akku schlecht zu machen sind. Rasen kostet Energie, und die Angst vorm leeren Akku fährt immer mit in den Elektroautos des Jahres 2016.
Ihr begrenzter Aktionsradius ist nur eine der Unbilden, mit denen E-Auto-Fahrer noch kämpfen. Wer heute schon ausschließlich elektrisch Auto fahren möchte – ohne Hybridmotor und ohne den Diesel oder Benziner als Zweitwagen für alle Fälle –, kann das zwar tun. Er braucht aber entweder gut 100.000 Euro für eine E-Luxuslimousine, oder er fährt durch die Mühen der Ebene, wie alle Pioniere eben.
E-Mobilisten müssen ihre Strecken viel genauer planen als Benzin- und Dieselfahrer, weil Ladesäulen dünn gesät sind. Sie sollten sich zu Hause spezielle Ladeboxen installieren, weil sonst das Vollladen bis zu 40 Stunden dauert. Und sie müssen sich, wollen sie die Stromer als Dienstwagen nutzen, mit einer Besteuerung herumplagen, die recht komplexes Neuland ist. Das bei Verbrennern beliebte Leasing etwa ist noch weitgehend unerforschtes Terrain.
Was aber passiert, wenn man sich, wie derzeit etwa 25.000 Damen und Herren in Deutschland, doch auf das Abenteuer Elektroauto einlässt und versucht, das Gefährt in den Job- und Unternehmeralltag zu integrieren?
„Der Beginn einer neuen Ära“
Videoproduzent Kolander besitzt kein anderes Auto, fährt mit dem Elektroauto in den Urlaub, zu Kunden und erledigt private Besorgungen. Für ihn war der 120.000 Euro teure Tesla ein „lange gehegter Wunsch. Als ich 2010 eine erste Designstudie sah, begann ich eisern darauf zu sparen“, sagt er. Er habe zwar immer „gerne auch andere Sportwagen gefahren“, aber neben dem Spaß an der neuen Technik liege ihm eben auch „der Nachhaltigkeitsgedanke am Herzen“.
Mit welchen Hindernissen Elektroautos kämpfen
Noch sind die reinen E-Autos deutlich teurer als ihre Benzin-Pendants. Ein Beispiel: Der E-Golf von Volkswagen ist ab 35 000 Euro zu haben. Ein Golf mit vergleichbarer Ausstattung kostet nur 24 150 Euro. Doch das könnte sich ändern. Laut Berechnungen des Ingenieurbüros P3 sind Elektrofahrzeuge ab dem Jahr 2018 beim Preis wettbewerbsfähig, wenn nicht sogar im Vorteil. Dabei werden neue Batterien zu Grunde gelegt, die einen höheren Nickelanteil vorweisen.
Die Batterietechnologie, die für den Preis verantwortlich ist, ist auch der Grund für einen weiteren Knackpunkt: Für den E-Golf gibt Volkswagen eine Reichweite zwischen 130 und 190 Kilometern an. Für eine Fahrt in den Urlaub dürfte das kaum reichen, zumal die Zahl der Ladepunkte in Deutschland im Vergleich zu den herkömmlichen Tankstellen noch klein ist. Auch das dürfte sich aber mit der Weiterentwicklung der Batterietechnologie ändern.
Vor allem auf dem Land kann die geringe Reichweite zum Problem werden. Deutschland liegt laut der Nationalen Plattform Elektromobilität mit 4800 Ladepunkten an 2400 Standorten im internationalen Mittelfeld. Nach dem Willen der EU Kommission sollen bis 2020 in Deutschland 150 000 öffentlich zugängliche Ladestationen entstehen. Zum Vergleich: Laut ADAC lag die Zahl der herkömmlichen Tankstellen 2013 bei 14 328.
Smart-Chefin Annette Winkler spricht sich schon lange offen für eine Förderung von E-Autos aus. Das müssen nicht unbedingt finanzielle Anreize sein: Der Bundestag erlaubte jüngst Städten und Gemeinden, kostenlose Parkplätze für E-Autos zu reservieren und ihnen die Nutzung von Busspuren zu erlauben. Ob das ausreicht, zweifelt unter anderem VDA-Präsident Matthias Wissmann an. Er fordert finanzielle Impulse - wie zum Beispiel Sonderabschreibungsregeln für Firmenwagen. In anderen Ländern wie den USA, China oder Frankreich bekommen Käufer Cash vom Staat beim Kauf eines E-Autos.
Nach Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) rollten Ende 2014 knapp 19 000 reine E-Autos auf deutschen Straßen. Die Zahl der sogenannten Plug-In-Hybride, die die Bundesregierung zu den E-Autos zählt und die sowohl an der klassischen Tankstelle als auch an der Steckdose betankt werden, lag bei 108 000. Insgesamt waren 44,4 Millionen Pkw in Deutschland unterwegs. Das Ziel der Bundesregierung von einer Million elektrisch betriebenen E-Autos bis 2020 liegt damit noch in weiter Ferne. An der Auswahl kann es nicht liegen: Im vergangenen Jahr kamen laut Verband der Automobilindustrie (VDA) 17 neue Serienmodelle mit Elektroantrieb auf den Markt. 2015 sollen noch einmal zwölf weitere hinzukommen. Selbst der elektroskeptische Porsche-Chef plant offenbar mit einem E-Auto: Zuletzt schloss Müller nicht mehr aus, dass das bis Ende des Jahrzehnts geplante nächste Porsche-Modell rein elektrisch betrieben wird.
Lange bewegten sich Leute wie Kolander in einer engen Nische. Jahrelang redeten die Hersteller sehr häufig von der Elektromobilität als Technik der Zukunft – und änderten sehr selten etwas an der Dominanz von Diesel- und Benzinmotoren. Nun vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein Politiker irgendwo auf der Welt neue Steuervergünstigungen oder Kaufprämien ankündigt. Deutschland bietet E-Auto-Käufern seit Anfang Juli bis zu 4000 Euro Zuschuss. Norwegen will den Anteil an Verbrennungsmotoren reduzieren.
Flut neuer E-Modelle
Die Autokonzerne kündigen nun eine regelrechte Flut neuer E-Modelle an. Im März präsentierte Tesla-Chef Elon Musk einen „Volkstesla“, das Model 3, versprach 350 Kilometer Reichweite zu einem Preis von 35.000 Dollar. 400.000 Vorbestellungen dafür sind ein Überraschungserfolg – und setzen die anderen Hersteller unter Druck. GM will seine Massenmarkt-E-Modelle Chevrolet Bolt und Opel Ampera-e sogar noch vor Teslas Model 3 auf den Markt bringen. Und gerade versprach VW-Markenchef Herbert Diess, bis 2020 eine Million VW-E-Autos zu bauen. Diese Flut neuer Modelle könnte geeignet sein, das Elektroauto aus seiner elitären Marktnische in die Masse zu bringen. denn noch klafft im Alltag eine ziemliche Lücke zwischen Teslas Luxus-E-Autos und dem Rest des Marktes.
Ganz bequem im Premiumsegment
Klaus Baumgärtner, Chef von 500 Computerspezialisten bei Bridging IT, wirkt müde an diesem Sommervormittag auf der A6 bei Mannheim, während sein Wagen leise im Verkehr mitschwimmt. Am Wochenende hat er mit seinen beiden Söhnen einen spontanen Trip nach Bordeaux unternommen, 1300 Kilometer rein elektrisch mit dem Tesla – kein Problem. Vier Mal musste Baumgärtner auf dem Weg an den Atlantik an die Ladesäule, „etwa alle 350 Kilometer“, sagt er, „das würde ich auch mit einem Verbrenner tun; ich will ja nicht 1300 Kilometer am Stück durchheizen.“
Tesla hat seine Schnellladesäulen in ganz Westeuropa über die Autobahnen verteilt; spätestens alle 150 Kilometer können Kunden dort nachladen – egal, in welche Richtung sie unterwegs sind. Mit bis zu 135 Kilowatt schießen die Lader die Elektronen in die Lithium-Ionen-Akkus: drei bis elf Mal schneller als die Konkurrenz. So ist selbst der größte derzeit erhältliche Autoakku in gut 30 Minuten wieder fast voll. „Wenn man mit leerem Akku liegen bleiben will, muss man sich dumm anstellen“, sagt Baumgärtner.
Pause bei einem Burger King auf der A6 zwischen Mannheim und Stuttgart auf dem Weg nach München. Das würde der Wagen zwar laut Bordsystem knapp schaffen. Aber Baumgärtner hat sich angewöhnt, die Ladestopps effizient in seinen Arbeitsalltag zu integrieren: Während der 14 Minuten, die der Tesla an der Säule hängt, um ganz voll zu laden, checkt Baumgärtner seine Mails auf dem iPhone. Dort informiert ihn eine App über den Ladefortschritt des Autos. Das Bordsystem – eine Kombination aus Navi und Akkustandkontrolle – zeigt die nächsten freien Ladeplätze auf dem Weg nach München an. Und die übernächsten, falls wir diese auslassen wollen.
22 E-Autos, davon 18 Tesla Model S, haben Baumgärtners IT-Berater in ihrer Dienstwagenflotte, jeder sechste Firmenwagen ist dort ein Stromer. Die Außendienstler nutzen ihre Tesla „wie jeden anderen Dienstwagen“, sagt Flottenmanager Dirk Braun. Soll heißen: Auch für Langstrecke, auch privat am Wochenende, sie fahren an die See und in den Skiurlaub. Das klappt? „Das klappt“, sagt Braun. Zwar bräuchten die Tesla wegen der halbstündigen Ladephasen auf Langstrecken wie von Hamburg nach München knapp eine Stunde länger als ein Verbrenner. „Aber spätestens nach zwei Stunden ohne Mails wird der gemeine Vertriebsmitarbeiter eh nervös.“
Fast eine Million Kilometer sind die Tesla in der Flotte gefahren, im Dezember 2014 startete Bridging IT das Projekt. „Prämisse war, dass sich die E-Autos voll in den Alltag integrieren lassen“, erklärt Braun. Kein Mitarbeiter soll eine Telefonkonferenz verlegen, weil er noch laden muss; keiner soll am Wochenende extra tanken fahren, um Montagfrüh mit vollem Akku zum Kunden zu starten.
Keiner will zurück zum Verbrenner
Für die Daten der Mannheimer interessierten sich viele Unternehmen, sagt Braun. Er hat das Projekt ab 2013 über Monate minutiös geplant. 40 Mitarbeiter hat Braun angeschrieben, gut die Hälfte sagte sofort zu. Alle mussten sich zu Hause eine Ladewandbox installieren, die zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt wird. Sie müssen 150 Euro im Monat aus eigener Tasche zuzahlen. „Das ist der Gutteil der Differenz zur Leasingrate eines Audi A6 oder BMW 5er“, erklärt Braun, „wir wollten nicht alles auf Firmenkosten leisten.“ Trotzdem: Keiner will zurück zum Verbrenner.
Einer der mittlerweile überzeugten Fahrer ist Gunnar Felgentreu, ein Hardcore-Vertriebler der alten Schule, immer im Dienste des Kunden, zu Hause auf der Autobahn, gerne auf der linken Spur. An die 70.000 Kilometer fährt er pro Jahr. Seit gut anderthalb Jahren voll elektrisch. „CO2 kannte ich früher nur aus dem Chemieunterricht“, sagt Felgentreu, doch als die Kinder kamen, kam auch das Umdenken in Gang. „Ich will mich später, wenn vielleicht die Auswirkungen des Klimawandels gravierend sind, nicht von meiner Tochter fragen lassen: ‚Papa, was hast du eigentlich dagegen getan?‘“
Sportwagenartiges Äußere stößt auf Kritik
Anfangs habe er nur Bedenken wegen des sportwagenartigen Äußeren der Autos gehabt, sagt er. „Wir haben in Schwaben und Bayern viele Kunden aus der Autoindustrie, da macht man sich schon Gedanken.“ Meist bleibt es beim süffisanten Flachsen: „Euch muss es ja gut gehen.“ Einmal nur rief ihn der Vorstand eines Kunden an. Er möge sein Auto doch „nicht so prominent in der Nähe des Haupteingangs“ parken. Als Felgentreu entgegnete, dort sei aber die einzige Ladesäule für E-Autos auf dem Firmengelände, kam der Vorstand aus seinem Büro gelaufen. „Der wollte nicht glauben, dass das ein Elektroauto ist.“
Mühen mit den Massenmodellen
Das sind die Sorgen im oberen Ende des Segments. Im Mittelbau, dort wo Elektroauto nicht gleich Tesla ist, gibt es durchaus praktischere Probleme. Peter Wüstnienhaus etwa fährt seit fünf Jahren elektrisch. Der Rheinländer besitzt einen Renault Twizy und einen Kia Soul EV, mit dem er täglich 60 Kilometer zur Arbeit pendelt. „Bei der Frage, ob reine E-Autos schon alltagstauglich sind, muss man zwischen Lang- und Kurzstrecke unterscheiden“, meint Wüstnienhaus.
Das ist der neue Tesla-Masterplan
Ein integriertes System aus Solarzellen und Hausbatterien soll die Energieversorgung revolutionieren.
Weitere Elektro-Modelle sollen neue Fahrzeugsegmente erschließen, damit alle Kunden zufrieden gestellt werden können.
Die Selbstfahr-Fähigkeit soll dank den Erfahrungen aus der Tesla-Flotte zehnmal sicherer werden als ein menschlicher Fahrer.
Das Auto soll dazu fähig sein, als Teil einer Carsharing-Flotte Geld zu verdienen, wenn der Fahrer es gerade nicht braucht.
Im Unterschied zum Verbrenner ist das E-Auto besonders auf der Kurzstrecke effizient: Beim Bremsen, etwa im Stop-and-go, rekuperiert der Akku Energie. Dagegen macht sich bei höheren Geschwindigkeiten auf der Autobahn der Luftwiderstand bemerkbar. „Wer keine längeren Etappen als 150 Kilometer fahren muss, hat heute kein Problem; wer Langstrecken meistern muss, braucht Glück und gute Nerven.“
Das ändert sich zwar durch viele neue Modelle in den nächsten Jahren. Wer aber schon jetzt ein E-Auto kaufen möchte, sollte ein paar Wochen über das eigene Fahrverhalten Buch führen, rät Wüstnienhaus: Wie lang sind die tagtäglichen Wege zur Arbeit, zum Kindergarten und zum Einkauf? Wie weit die längste Strecke im Monat? „Wahrscheinlich reicht für 99,5 Prozent der Fahrten ein kleines, erschwingliches E-Auto; und wenn es zwei Mal im Jahr mit dem Auto in den Urlaub geht, kann man ein anderes Auto leihen“, meint Wüstnienhaus.
Die Probleme mit den Ladesäulen
Theoretisch geht die Langstrecke auch heute schon im E-Kleinwagen. Aber der Ladeteufel steckt im Detail: In manchen Ländern laden die Säulen noch mit 3,1 Kilowatt, und unerwartete Umwege, etwa durch Streckensperrungen, können die E-Auto-Fahrt jäh beenden.
Die Ladesäulen unterwegs sind ohnehin ein Thema für sich. Wer die einschlägigen Facebook-Gruppen oder Internetforen durchstöbert, findet sie schnell: gestresste und wütende E-Auto-Fahrer, die sich über zugeparkte, defekte oder schlicht zu wenige Ladesäulen ärgern. Zwar hat Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) 300 Millionen Euro für deren Ausbau zur Verfügung. Aber viele E-Auto-Fahrer kritisieren, dass die Dobrindt-Säulen nicht unbedingt dort entstehen, wo sie gebraucht werden: in und um die Ballungsräume der Metropolen. Hinzu kommt, dass sich die deutschen Hersteller mit einem eigenen Steckerstandard von der Konkurrenz abschotten. Das verschärft das Stecker-Chaos: Längst nicht jedes E-Auto passt an jede Ladesäule.
Dabei wird „von der Lade-Infrastruktur maßgeblich abhängen, ob sich das Elektroauto im Alltag durchsetzen kann“, schreiben die Unternehmensberater von PwC in einer aktuellen Studie. Derzeit fehlt es nicht nur an Ladeplätzen, sondern vor allem an der Ladegeschwindigkeit. Ein Elektrokleinwagen wie der Renault Zoë braucht auf der Autobahn so viel Strom beziehungsweise lädt so langsam, dass man pro Stunde Fahrt fast eine Stunde tanken muss. Die meisten öffentlichen Säulen, die sich per Geldkarte oder Handy-App aktivieren lassen, laden nur mit 22 oder gar nur 11 Kilowattstunden (kWh). Das bedeutet: Den 90 kWh-Akku eines Tesla voll zu laden würde zehn Stunden dauern. Im Alltag ist das nicht praktikabel.
Wandboxen beschleunigen den Ladevorgang
Aber auch wer in der heimischen Garage lädt, betritt noch Neuland: Steckdosen in Wohnhäusern sind meist nur mit etwas mehr als zwei Kilowatt (kW) abgesichert; für einphasige Leitungen gibt es zudem eine gesetzliche Obergrenze von 4,6 kW. Zieht das Auto mehr Strom, fliegt die Sicherung raus. Einen Tesla an einer 230-Volt-Steckdose zu betanken würde 36 Stunden dauern, einen Nissan Leaf (rund 200 Kilometer Reichweite) zehn Stunden. Abhilfe bringen Wandboxen: Schnelllader, die an die Garagenwand geschraubt werden. Damit kriegt man den Nissan zu Hause in gut zwei Stunden voll.
„Und was kostet das?“
Mehraufwand, der kostet. Zumal die meisten E-Autos in der Anschaffung derzeit noch zu teuer sind, um sich für den durchschnittlichen Autofahrer in Cent und Euro auszuzahlen. Ein VW e-Golf etwa kostet 7.000 Euro mehr als ein vergleichbarer Benziner; abzüglich der neuen Kaufprämie sind es 3.000. Ein bis zwei Jahre muss sich noch gedulden, wer voll elektrisch fahren und nicht draufzahlen will. Tesla will sein neues Modell ab 35.000 Dollar verkaufen. Der Opel Ampera-e von GM sowie neue Modelle von Mercedes, Ford oder Toyota werden in einer ähnlichen Preisklasse liegen.
Technische Hintergründe zu Akkus
Eine Batterie hat die Aufgabe, beim Aufladen möglichst viele Elektronen aufzunehmen und diese mit möglichst wenigen Verlusten zu speichern. Beim Entladen gibt sie die Elektronen dann wieder ab, um mit diesem Strom zum Beispiel einen Elektromotor oder ein Handy zu betreiben.
Im Akku übernehmen die sogenannten Lithium-Ionen diese Speicheraufgabe: Diesen Atomen fehlt ein Elektron. Daher sind sie elektrisch positiv geladen. Beim Aufladen strömen negativ geladene Elektronen in den Akku und sammeln sich in einem dichten Geflecht aus dem leitfähigen Kohlenstoff Graphit. Dorthin wandern dann auch die positiv geladenen Lithium-Ionen. Jedes von ihnen bindet ein Elektron – man könnte auch sagen, dass jedes Ion ein Elektron festhält, um die Ladungsneutralität zu gewährleisten. Beim Entladen des Akkus verlassen die Elektronen das Graphit nach und nach wieder. Damit wandern auch die positiv geladenen Lithium-Ionen aus dem Graphit-Netzwerk heraus. Später kann der Ladezyklus dann von neuem beginnen.
Je mehr Lithium-Ionen in einen Akku hineinpassen, umso mehr Elektronen und damit Energie können auf gleichem Raum gespeichert werden. Daher arbeitet Bosch schon länger unter anderem daran, den Graphit-Anteil zu reduzieren oder ganz auf das Graphit zu verzichten. Dies würde die Energiedichte des Akkus deutlich steigern. Das scheint jetzt dem Start-up Seeo, das Bosch gekauft hat, gelungen zu sein.
Besser schneidet das E-Auto ab, wenn man nicht nur die Anschaffung, sondern die Gesamtkosten berücksichtigt. Vielfahrer können sogar richtig Geld sparen, wenn sie günstige öffentliche Ladesäulen nutzen oder ihren Solarstrom zu Hause selbst erzeugen. Er spare gegenüber seinem früher gefahrenen BMW 5er Touring 500 Euro im Monat, sagt Hans-Peter Sailer. Der Österreicher pendelt drei Mal die Woche 200 Kilometer von seinem Wohnort bis zum Kunden nach Ingolstadt und abends zurück, im Monat 5.000 Kilometer.
Seinen Tesla lädt er jede Nacht in der Tiefgarage. Das darf Sailer nicht vergessen, sonst kommt er am nächsten Tag nicht zum Kunden, aber: „Das Anstecken an der Wallbox ging mir schon nach ein, zwei Wochen in Fleisch und Blut über, wie Handbremse anziehen und abschließen“, sagt er. Früher bezahlte er im Monat allein für Sprit 850 Euro. Heute braucht er 20 bis 24 kWh Strom für 100 Kilometer, dank günstiger Wasserkraft im Alpenland kosten ihn 100 Kilometer nur vier Euro.
Dieser Vorteil aber hängt am Zugang zu günstiger Energie. „Wer 30 Cent pro kWh zahlen muss für seinen Strom, spart angesichts der niedrigen Spritpreise derzeit kaum“, sagt Wüstnienhaus. „Mein Kia Soul EV braucht für 100 Kilometer 12 bis 18 Kilowatt – je nach Fahrstil.“ Das entspricht zwar nur der Energie, die in zwei Liter Diesel steckt. Aber: Strom ist in Deutschland die teuerste Energieform. 100 Kilometer im E-Auto kosten Wüstnienhaus deshalb 4,50 Euro: „Fast so viel wie mit einem kleinen Verbrenner, der zu einem Euro je Liter Diesel tankt.“
Geringere Wartungskosten bei E-Autos
Vorteile gegenüber dem Benziner oder Diesel haben E-Autos bei den Wartungskosten. Das E-Auto kennt weder Ölwechsel noch teuren Zahn- oder Keilriemenersatz. Selbst die Bremsen halten ewig, weil man zu 90 Prozent mit dem Generator bremst, sobald man den Fuß vom Gas nimmt. Auch die Versicherung ist etwas günstiger als bei Verbrennern. Und von der Kfz-Steuer sind E-Autofahrer befreit; mindestens die ersten zehn Jahre nach dem Kauf eines Neuwagens. Wer ein E-Auto als Firmenwagen nutzt, darf immerhin die Kosten des Akkus abziehen, bevor das Finanzamt den geldwerten Vorteil des zum Teil privat genutzten Wagens berechnet.
Für Firmen braucht es ein Ökostromkonzept
„Eine voll elektrische Flotte lohnt sich innerhalb eines größeren Energiegesamtkonzepts“, sagt denn auch Roland Schüren, Bäckermeister mit BWL-Abschluss aus Hilden. Den Satz hat er schon oft gesagt: zur Lokalpresse, bei der Handwerkskammer, zur Bürgermeisterin. Die Kosten interessieren alle.
Bei der Bäckerei Schüren haben sie das Elektrifizieren ihrer Lieferwagenflotte zur Chefsache erhoben. Schüren fährt ein Tesla Model S, fünf seiner Mitarbeiter fahren kleinere E-Pkws; dazu kommen sieben vollelektrische Kleintransporter für die Backwaren und zwei Twizys; das sind einsitzige Elektro-Quads, ähnlich Kabinenrollern aus den Fünfzigern. „Die dürfen meine Azubis fahren“, sagt Schüren, „auf dem Berufsschulparkplatz sind sie damit natürlich die Kings.“
Schüren will seine Elektroflotte weiter ausbauen. Sein ganzer Stolz sind acht Ladesäulen, säuberlich aufgereiht vor seinem Hildener Stammsitz, überdacht von Solarzellen. Ökologisch vorbildlich. Aber auch ökonomisch? Auf den ersten Blick kann sich Schürens E-Mobilkonzept nicht lohnen: Ein großer, umgebauter Mercedes-Sprinter-Bus kostet 80.000 Euro – 2,5 Mal so viel wie ein baugleicher Diesel. Er schafft gut 180 Kilometer. Für kürzere Touren setzt Schüren die viel günstigeren, aber kleineren Nissan-Elektro-Vans ein. Die kosten etwa 6.000 Euro mehr als die Nissan-Diesel. Weil Schürens Lieferautos enorme Laufleistungen absolvieren, „haben wir die Mehrkosten durch eingesparten Sprit und geringere Wartungskosten nach neun bis zwölf Monaten drin“, sagt Schüren.
Ökonomisch sinnvoll wird die elektrische Backwarenflotte, weil Schüren seinen eigenen Solarstrom erzeugt: eine 185 Kilowatt-Anlage produziert genügend Strom, um Backstube und E-Autos zu betreiben. „Meine Angestellten dürfen ihre Autos hier umsonst laden, aber nicht vor 13 Uhr, da brauche ich den Strom noch in der Bäckerei“, erklärt Schüren. Ab einer Fahrleistung von etwa 40.000 Kilometern pro Jahr lohne sich das E-Auto, so Schüren, wenn man den benötigten Strom mit der eigenen Solaranlage erzeugen kann. „Privatleuten reicht dafür meist eine 10-Kilowatt-Anlage“, sagt Schüren, „die kostet rund 16.000 Euro und kann während ihrer Lebensdauer drei E-Autos nacheinander mit Strom versorgen.“
Schürens Ruf als E-Pionier hat sich im Mittelstand herumgesprochen. Kürzlich erkundigte sich ein Kollege aus Stuttgart bei ihm nach Kosten und Tauglichkeit der E-Flotte. „Der hat seine fünf Filialen alle in der Innenstadt, bei Feinstaubalarm haben seine Diesel Fahrverbot“, erklärt Schüren, „dann bekommt er seine Ware schlicht nicht in die Läden.“
Sind Schürens E-Lieferwagen alltagstauglich? „Theoretisch ja; die längste Tagesstrecke ist 150 Kilometer“, sagt Schüren. In der Praxis ist es wie immer mit der E-Mobilität im Jahre 2016: Nur wenn alle mitdenken, klappt es. Einmal vergaß der Disponent, dass der Fahrer rein elektrisch unterwegs war, und schickte ihn auf dem Weg nach Bochum „noch eben an der Mensa der Uni Wuppertal vorbei“. Liegt ja auf dem Weg. Quasi. Für einen Diesel: ja. Für den E-Mercedes waren das die entscheidenden 13 Kilometer Umweg zu viel: Der Akku lief leer, der Wagen musste eine Stunde an einem Supermarkt per Verlängerungskabel zwischenladen.